So funktioniert das Land

Ratko Mladic Die Festnahme Mladics hat wenig mit Vergangenheitsbewältigung zu tun. Sie bedeutet vor allem eines: Die Regierung hat in Serbien wieder die Kontrolle erobert

Die Verhaftung von Ratko Mladic gibt dem In- und Ausland wieder Gelegenheit, viel über Vergangenheitsbewältigung, Srebrenica, nationale Versöhnung – auch über Souveränität und internationale Gerichtsbarkeit nach­zudenken. Das ist alles gut und wichtig, lässt aber aus dem Blick geraten, was diese Festnahme zunächst einmal bedeutet: Die Regierung hat im Land wieder die Kontrolle erobert.

Zehn Jahre lang spekulierte die internationale Öffentlichkeit darüber, ob Belgrad den Mann ernsthaft sucht, ihn indirekt schützt oder gar versteckt hält. Das ging an der Sache vorbei – dieses Belgrad gab es nicht, wie es etwa ein Moskau gibt, als Chiffre also für organisierte Staatsgewalt und ihren Willen. Radovan Karadzic wurde vor drei Jahren von eben den Polizisten verhaftet, die ihn zuvor beschützt hatten. Damit aus den Wächtern Ermittler wurden, hat damals irgendwo im Apparat, vermutlich auf der mittleren Hierarchie-Ebene, jemand einen Schalter umgelegt. So funktioniert Serbien: Jeder nutzt das bisschen Macht, über das er verfügt, für seine Zwecke. Alles kann und alles muss auf allen Ebenen ausgehandelt werden. Wer einfach Befehle umsetzt, ist ein verachtenswertes gesellschaftliches Nichts. Im Sicherheitsapparat hat sich dieses Verhältnis verheerend ausgewirkt. Die Offiziere, die alle ihr eigenes Spiel spielten, waren korrumpiert und schützten mit gesuchten Kriegsverbrechern zugleich sich selbst: Wichtig war, wer zu einem von ihnen den Zugang regelte. Zu allem Überfluss pflegen selbst die gefallenen Engel aus Polizei und Geheimdienst ihre Kontakte und damit ihre Macht bis zum Lebensende. Was anderswo als institutionelles Wissen weitergereicht wird, teilten sich in Serbien die alten Titoisten mit den Nationalisten, den Demokraten und den Günstlingen der Tycoons und trieben in den Belgrader Cafés damit Handel.

Bei Mladic war das erstmals anders. Um an den Mann heranzukommen, musste sich Innenminister Ivica Dacic die Kontrolle über den gesamten Polizeiapparat sichern. Das hat er geschafft; Insubordinationen – wie sie zu Zeiten der Premiers Djindjic und Kostunica an der Tagesordnung waren – kommen nicht mehr vor. Dieser neue, kontrollierte Polizeiapparat musste mit der Suche von vorn anfangen. Gefasst wurde Mladic dann im Netzwerk seiner Familie, nicht im Kreise professioneller Bewacher.

Geführt hat die Ermittlungen die Belgrader Sonderstaatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen und organisierte Kriminalität. Diese Behörde ist für die ganze Region ein Novum, denn sie hält sich von politischen Interventionen erfolgreich frei. Trotzdem wurde gleich eifrig darüber spekuliert, was der Zeitpunkt der Verhaftung politisch wohl bedeuten würde: ein Geschenk für Catherine Ashton, die am gleichen Tag in Belgrad erwartet wurde? Eine Ohrfeige für den Haager Ankläger Serge Brammertz, der Belgrad kaum 14 Tage zuvor mangelnde Kooperation vorgeworfen hatte?

Die Spekulationen reflektieren nur den Unglauben, dass eine Behörde tatsächlich ihren eigenen Regeln folgen könnte. Die Wirklichkeit ist immer kompliziert, und hinter der einen Wahrheit steckt immer eine andere. Was einfach ist, erscheint allen nur als besonders rätselhaft. Bis eine Mehrheit einfach eins und eins zusammenzählt, wird es wohl noch ein paar ­Mladic-Festnahmen brauchen.

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