Atompolitik, nein Danke!

Alternativen Beinahe 60 Prozent würden derzeit die Opposition wählen. Warum eigentlich? Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung von Themen, die einen Unterschied machen

Ihr Aufstieg war kometenhaft: mühelos nahmen die Grünen eine Wahlhürde nach der anderen. Doch der Reiz des Neuen ist dahin.“ Man wird sich diesem Urteil nicht leichterhand anschließen. Schließlich stammt der Aufsatz, in dem es steht, aus dem Jahr 1985. Die Probleme der Grünen sind heute andere. Und doch drängt sich angesichts der schwarz-gelben Energiepolitik ein Gedanke auf: Wenn die CDU-Kanzlerin mit dem Atomausstieg das große Konfliktthema seit dem Bundestagswahlkampf 2009 durch Einverleibung ruhigstellt, was bleibt dann noch der Opposition zur Profilierung?

In der Woche von Angela Merkels „Energiewende“ haben sich die Grünen dafür entschieden, erst einmal nichts zu entscheiden – das soll ein Sonderparteitag Ende Juni tun. Lehnt die Partei das schwarz-gelbe Gesetz ab, weil die Meiler nicht schnell genug abgeschaltet werden und Hintertüren offenstehen, wird man ihr mit der „Dagegen-Partei“ kommen. Tritt sie dem großen Merkel-Konsens bei, wird der Wutbürger-Lack rascher abblättern, als sich die Grünen als Volkspartei neu erfunden haben.

Und doch hat die Öko-Partei, verglichen mit der SPD, geradezu Luxusprobleme. Wofür die Sozialdemokraten stehen, lässt sich zurzeit kaum sagen. Außer für den schwarz-gelben Atomausstieg, den man mittragen wird, schon deshalb, weil jede Chance ergriffen wird, sich ein bisschen von den Grünen abzusetzen. Wozu allerdings der Unterschied gut sein soll, erfährt man nicht – es leuchtet weder beim Dauerthema Atom noch jenseits davon eine große Erzählung aus Deutschlands ältester Partei heraus.

Ein Problem, eine Lösung

Bleibt die Linke, die sich ihrer eigenen Probleme schämt und auch nicht recht weiß, wie aus der völlig richtigen Forderung nach einem ökologischen und sozialem Umbau politischer Treibstoff zu saugen ist. Die rot-grüne Umfragemehrheit steht der Partei als Mentekel der eigenen parlamentarischen Bedeutungslosigkeiten vor den verängstigten Augen, was sie, erfolglos, ausgerechnet mit atompolitischen Vorschlägen zu bekämpfen sucht. Oder dem Hinweis auf die Vergangenheit von SPD und Grünen, die den Ausstieg ja auch schon einmal versemmelt hätten.

Wenn nur die Hälfte davon stimmt: Warum würden derzeit trotzdem beinahe 60 Prozent die Opposition wählen? Wegen der Atompolitik? Dann hätten SPD, Grüne und Linke jetzt ein Problem. Und zugleich die Lösung: Denn das Gerede vom „Ein-Parteien-Staat“, das nun angesichts des Ausstiegs die Runde macht, ist nicht nur keine halbe Wahrheit, sondern eine ganze Lüge. Der „Konsens“ verdeckt, wo die großen Konfliktlinien liegen: Von einer umverteilenden Steuerreform über eine den Föderalismus überwindende Kulturoffensive bis zum gesetzlichen Mindestlohn jenseits der acht Euro; vom so wichtigen Schritt zur Bürgerversicherung bis zum Ausstieg aus der sicherheitspolitischen Verschärfungsspirale seit 2001 – es gibt genügend Herausforderungen, bei denen Rot-Grün-Rot (bei aller Verschiedenheit) den Unterschied macht.

So wichtig der Atomausstieg war: Er wird kommen und im besten Falle geht das irgendwann einmal sogar noch schneller und gründlicher. Doch die politische Frucht ist geerntet, die neuen Trauben hängen woanders. Es müsste nur endlich wieder über sie geredet, um sie gestritten werden. Dann wüssten die 60 Prozent auch, warum sie bei der nächsten Wahl für eine der Parteien der mehr oder weniger linken Opposition stimmen sollten. Dass die drei zur­­zeit nicht an der Regierung sitzen, ist allein ja noch kein guter Grund.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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