Irgendwie schwirrt als Vorbild immer noch Barack Obamas Wahlkampf in der Gegend herum, wenn es um Bürgerbeteiligung in der digitalen Gesellschaft geht. Wir erinnern uns: Yes we can. „Wir“ statt „Mach ich einfach“. Simpel, aber wahlkampfstrategisch gelungen. Und nach George W. Bush, der selbst Innerfamiliäres als Kriegsgrund anzuführen wusste („Saddam versuchte, meinen Dad umzubringen“), debatten- und somit netzkulturell ein Neuanfang.
Obamas Team ballerte die Welt zu mit Mails und Updates, der Wähler verbreitete seine Botschaften viral weiter – und wurde so zum Sprachrohr seines bevorzugten Politikers. Das schadete nicht nur der Politikverdrossenheit, daraus leitete sich auch das Versprechen ab, das Obama zwischen den Zeilen gab:
eilen gab: dass er die Wähler vage mitnehmen würde – schon deshalb, weil er sie in der vernetzten Gesellschaft brauchte.Obama versprach nicht, jede politische Entscheidung mit seinen Millionen Buddys im Netz zu diskutieren, aber er vermittelte den Eindruck, man könne ihm sein Herz ausschütten. Wie die kleine Momo in Michael Endes Roman, die geduldiges Zuhören bei Spaghetti ohne Soße zum Maßstab jedes Problemlösungsprozesses macht.Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestags, im März 2010 einberufen, ist etwas völlig anderes als Obamas Emo-Wahlkampf. Schon der Name hat ja diesen Goût von Thermoskannenkaffee. Und doch: Im Grunde soll sie ein wenig obamaisieren, also dafür sorgen, dass auch die nicht-präsidentielle Demokratie Deutschlands digital durchgelüftet wird. Wenn es gut läuft, dann nicht nur im Bereich der Netzpolitik. Wenn es schlecht läuft, war vielleicht alles nur ein Placebo.Nicht so das Kampfthema Zunächst einmal geht es freilich darum, wichtige netzpolitische Fragen anzugehen. Zehn Jahre zu spät, aber immerhin. Zwei Jahre gab man sich für ein Programm, für das man auch zwölf hätte gebrauchen können. Nach einem einschläfernden Tätigkeitsbericht vom April hat nun die Abstimmung über die Handlungsempfehlungen begonnen. Zunächst jene für die vier Teilbereiche Netzneutralität, Datenschutz, Urheberrecht und Medienkompetenz, bevor dann bis zum Sommer 2012 auf acht weiteren Großbaustellen zu Themen wie Open Source, Bildung oder Demokratie und Staat gearbeitet werden soll. 17 Abgeordnete aller Fraktionen und 17 externe Sachverständige – von Netznutzervertretern bis zu Lautsprechern der Musikindustrie, die ihre Kreativwirtschaft möglichst weitgehend gegen Kreativität abschotten wollen – stritten bislang über Fragen wie: Das bestehende Urheberrecht rabiat anwenden und damit den Abmahnindustriestandort Deutschland fördern, oder es – eher die Oppositionsposition – veränderten digitalen Bedingungen gemäß verändern? Soll Netzneutralität, und damit die Gleichheit der Inhalte, gesetzlich verankert werden? Oder regelt das – so die Position der IT-Branchenvertreter, die mit der Regierung bei Facebook sozusagen viele Freunde teilen – schon der Markt gerecht, woran die Opposition angesichts nur weniger großer Player nicht glauben kann?Auch in den Handlungsempfehlungen der Enquete spiegelt sich die Uneinigkeit in vielen Fragen, zumindest im Kleingedruckten. Ein Konsens innerhalb der Kommission zeichnet sich nur im Bereich Medienkompetenz ab – „nicht so das Kampfthema“, wie ein Sachverständiger sagt. Hier dürfte, wie eine Abgeordnete andeutet, empfohlen werden, dass Medienkompetenz eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ ist, die aber gerne mit Laptops im Unterricht unterstützt werden darf. Zumal die Notebooks ja dann – durchaus mitentscheidend für die pädagogische Praxis – auch noch bei irgendwelchen IT-Unternehmen gekauft werden müssten.Ist man bereit, zuzuhören?Andererseits muss man eben sagen: Es passiert wenigstens etwas – was vor drei Jahren noch undenkbar schien, als sich Politiker diverser Fraktionen vor allem mit der Forderung hervortaten, das Internet dürfe nicht sein, was es eh nicht ist, nämlich „ein rechtsfreier Raum“: Es gibt eine Auseinandersetzung über netzpolitische Zukunftsfragen. Die sei unabhängig von den Ergebnissen, also an sich schon wichtig – so lautet jedenfalls eine gängige Erwiderung von Enquete-Verteidigern auf die spitze Kritik, solche Kommissionen seien an sich unnütz, da ihre Arbeit am Ende zu oft in der Gedankenmülltonne lande.Und dann soll die Internet-Enquete ja vor allem als Experimentierfeld für den Aufbruch in die Zukunft dienen. „Abweichend von der herkömmlichen Praxis anderer Enquete-Kommissionen“ seien nicht nur alle Sitzungen im Internet zu verfolgen, sondern, hieß es zum Start, es würden „zudem Beteiligungsmöglichkeiten angeboten, die Anregungen aus der Öffentlichkeit in geeigneter Weise in die Arbeit der Kommission einfließen lassen können“.Noch nach Obamas Wahlkampf lautete die das Social Web betreffende Hauptfrage, die im Raum stand: Warum jubelt eigentlich keiner, wenn Hubertus Heil von der SPD „Yes we can“ sagt? Insofern ist es theoretisch ein großer Fortschritt, dass es nun wirklich um die Etablierung (oder Zurückweisung) des besagten Momo-Prinzips geht: Ist man bereit, zuzuhören?Also: Ist man bereit? Das Zwischenergebnis nach 15 Monaten ist durchwachsen. Die „größtmögliche Beteiligung“ des „18. Sachverständigen“, also der interessierten Öffentlichkeit, wurde großspurig versprochen. Dann aber wurde zunächst Technologie aus dem Mittelalter dafür benutzt, konkret aus den neunziger Jahren. Schließlich verzögerte der Ältestenrat, der nicht umsonst so heißt, die Nutzung des neuen, von der Kommission gewollten Adhocracy-Systems, über das jeder Interessierte Vorschläge machen kann, die dann, je nach Widerhall, sogar berücksichtigt werden.Und nun, da es Adhocracy gibt, ist die Beteiligung geringer als erhofft – wohl auch, weil nicht übertrieben laut kommuniziert wurde, dass jetzt wirklich was gehen würde. Vielleicht, hofft mancher, ändert sich das, wenn die Arbeitsgruppe „Demokratie und Staat“ tagt – und all das Anwendung findet, was bisher noch zu oft Wortgeklingel ist: Übertragung tatsächlich aller Sitzungen und Einbeziehung des 18. Sachverständigen nach Momo-Art.