Der große Bluff

US-Defizit Der Streit um die Schuldenobergrenze ist eine Waffe, die sich auch gegen die Wall Street richtet. Schon deshalb werden die Republikaner irgendwann einlenken müssen

Bei den Gesprächen über eine anzuhebende Schuldenobergrenze nimmt die Anspannung immer mehr zu, je näher die Deadline 2. August 2011 rückt. Finanzminister Geithner zufolge wäre dies der Tag, an dem die Regierung kein Geld mehr hätte, Rechnungen und Schulden zu begleichen – eine absolute Katastrophe für das Finanzsystem. Es würde zu einem eben solchen Einfrieren der Kreditverkehrs kommen, wie wir das bereits nach dem Crash von Lehman Brothers im September 2008 erlebt haben – mit dem einzigen Unterschied, dass es dieses Mal viel schlimmer wäre.

Wären die von der US-Regierung ausgestellten Schuldscheine nicht mehr länger die felsenfeste Säule des Weltfinanzsystems, würde den Banken umgehend ein Großteil ihres Kapitals stiften gehen. Denn sie müssten nicht nur die Schulden der Regierung abschreiben, sondern auch alle Anlagen, die von der Regierung gestützt werden, wie beispielsweise die hypothekarisch abgesicherten Wertpapiere bei den beiden Hypotheken-Giganten Fannie Mae und Freddie Mac. Dies würde die Großbanken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zahlungsunfähig machen – JPMorgan, Citigroup, Goldman Sachs und der Rest hingen plötzlich wieder am Tropf, wobei die Hilfe sie mit großer Sicherheit nicht wieder wie 2008 zu vormaliger Stärke und Profitabilität führen würde. Wäre die Regierung zahlungsunfähig, erhielte die Wall Street eine derartige Abreibung, dass sie danach nie wieder der Mittelpunkt des Weltfinanz-Systems wäre.

Tritt ins Gesicht

Deshalb darf man sich stets sicher sein, dass die Republikaner im Senat mit ihren Drohungen nicht ernst machen können – sie würden eine Staatspleite riskieren. Diese Leute haben offensichtlich Spaß daran, den Armen ins Gesicht zu treten, den Arbeitern ihre hart verdienten Löhne und ihre Sozialhilfe wegzunehmen und Rentner auf die Straße zu schmeißen – doch dürfte es die republikanische Kongressführung nicht darauf ankommen lassen, es sich mit der Wall Street zu verscherzen. Denn wer zahlt schließlich für die Wahlkämpfe der Republikaner?

Es stand von vornherein fest, dass die Republikaner einknicken würden, wenn Obama standhält. Die Frage war nur: Wann und wie? Mitch McConnell, Führer der oppositionellen Republikaner im US-Senat, hat uns diese Frage vor ein paar Tagen beantwortet, als er einen komplizierten Plan vorstellte, der es Obama im Grunde erlauben würde, die Schuldengrenze unilateral anzuheben. Im Gegenzug müsste der Präsident dem Kongress im Laufe der kommenden sechs Monate Budgetkürzungen von insgesamt 700 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren (1,6 Prozent der Ausgaben ) vorschlagen. Über diese Vorschläge solle dann direkt abgestimmt werden: Dafür oder dagegen.

Mit einem solchen Vorgehen könnte Präsident Obama jede Menge Spaß haben. Der Plan von Senator McConnell würde es ihm nämlich erlauben, jede beliebige Art von Kürzung vorzuschlagen – zum Beispiel könnte eine erste Runde komplett durch Ausgabenkürzungen in McConnells Heimatstaat Kentucky bestritten werden. Wären noch weitere Einschnitte notwendig, um das 700-Milliarden-Ziel zu erreichen, könnte Obama weitere Kürzungen in Ohio vorschlagen, in der Heimat von John Boehner, Sprecher des Repräsentantenhauses. In späteren Runden böten sich dann Einschnitte in Virgina an, woher der hitzköpfige republikanische Minderheitenführer Eric Cantor kommt. Es wäre bestimmt aufschlussreich zu verfolgen, wie die Republikaner über diese Kürzungsvorschläge abstimmen.

Absurde Vorstellung

Natürlich ist das albern, aber die ganze Debatte über die Schuldenobergrenze ist albern. Würde es dem Kongress nur darum gehen, die Ausgaben zu kürzen, bräuchte er dem Präsidenten lediglich niedrigere Rechnungen zu schicken. Sie können das machen, wann immer sie wollen. Die Vorstellung aber, dass die Republikaner im Kongress tiefgreifende Einschnitte bei den wichtigsten Sozialprogrammen des Landes wie Social Security (Rente), Medicare and Medicaid (Gesundheitsversorgung für Ältere und Behinderte) erzwingen, indem sie die Wall Street mit der Schuldenobergrenze in Geiselhaft nehmen, ist absurd. Präsident Obama müsste es einfach darauf ankommen lassen. Das Entscheidende ist, dass die Schuldenobergrenze eine Waffe darstellt, die in erster Linie auf den Kopf der Wall Street gerichtet ist.

Und es ist ausgeschlossen, dass es den Republikanern gestattet ist, wirklich abdrücken.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Dean Baker | The Guardian

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