Es war die Überraschung des Wahlabends, auch wenn mit ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus schon zu rechnen war: Mit 8,9 Prozent mischen die Piraten die Berliner Politikszene auf. 129.795 Zweitstimmen holt die Partei in der Endabrechnung und liegt damit nicht mehr weit hinter der Linken. In deren Reihen wird nun gefordert, Lehren aus dem Erfolg des Neulings zu ziehen.
Es gibt gute Gründe dafür. Die Piraten haben Bürgerrechte, Demokratie und Netzpolitik hoch auf die Agenda gesetzt, „da müssen wir intensiver ran“, twittert themengemäß Linkenvize Halina Wawzyniak. Dem Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow zeigt der Piraten-Erfolg, dass auch die Linke „endlich begreifen“ müsse, „dass es nichts hilft, ein analoges Programm zu
inke „endlich begreifen“ müsse, „dass es nichts hilft, ein analoges Programm zu haben, aber digital keine Ahnung zu haben“. Ramelow fordert deshalb eine stärkere programmatische Profilierung „bei der Frage des Web 2.0“.Nun zeigt ein Blick auf die so genannten Wählerwanderungen zwar, dass es vor allem SPD und Grüne waren, bei denen Piraten erfolgreich frühere Anhänger abzogen. Und mehr noch sogar der Zustrom aus dem Lager der Nichtwähler und Kleinstparteien kam. Genau hierauf aber zielte bisher einer der Selbstanspruch der Linken: die Enttäuschten mit dem Angebot einer glaubhaften Alternative ins parteiendemokratische Geschehen zurückzuholen.Als Themenphänomen lässt sich der Erfolg der Piraten ohnehin nicht hinreichend erklären. Das Ergebnis der Partei ist viel mehr noch ein Protestphänomen und zeigt, dass gerade eine Berliner Linke, die aus einer unter ihren Anhängern auch skeptisch betrachteten Regierung heraus Wahlkampf machen musste, nicht mehr in dem Maße wie früher auch die Enttäuschten für sich mobilisieren kann. Dabei geht es keineswegs nur um die nun viel zitierten netzaffinen, jung-urbanen und modernen Milieus, bei denen die Piraten stark abschneiden. Sondern es geht auch in jenen sozialen Lagen, aus denen sonst vor allem die Protestwähler kommen. Das entspricht durchaus dem verbreiteten Image der Partei: Die Piraten, hat die Forschungsgruppe Wahlen bei Befragungen vor und nach der Berlinwahl herausgefunden, würden für 80 Prozent „aus Unzufriedenheit mit den anderen Parteien“ gewählt – aber nur für zehn Prozent „wegen der Inhalte“. Auch bei den eigenen Wählern spielt der Faktor Denkzettel (59 Prozent) eine wichtigere Rolle als etwa der Faktor „Freiheit des Einzelnen“ (51 Prozent). Einen Hinweis auf den zumindest partiellen Charakter der Piraten als „klassische Protestpartei“ findet sich zudem in der Struktur ihres Elektorats: So schneiden die Piraten etwa mit 13 Prozent weit überdurchschnittlich bei den Erwerbslosen ab.Die Piraten stehen noch für ein weiteres Problem der Linken: die offenbar von einem schon schwachen Ausgangsniveau weiter abnehmende Fähigkeit, jüngere Wähler zu mobilisieren. Bei Infratest sagen mit Abstand die meisten Piratenwähler über ihre Partei, diese würde dafür sorgen, „dass endlich auch mal die Jüngeren etwas zu sagen haben“. Die Piraten holen 21 Prozent bei den männlichen Erstwählern, sie sind mit 15 Prozent in der Gruppe der unter 30-Jährigen repräsentiert (20 Prozent bei den Männern bis 30 Jahren). Die Linke fällt hier im Vergleich besonders weit zurück: Unter Erstwählern holt sie nur 8 Prozent, auch bei Wählern zwischen 25 bis 34 und 35 bis 44 schneidet die Linkspartei mit 8 Prozent sehr schwach ab – in allen drei Altersgruppen liegt die Linke hinter den Piraten. Ein beträchtlicher Teil ihres Ergebnis wird von Wählern über 60 beigetragen, was der Stern auf die Formel bringt: „Junge Wähler hat die Linke nicht, die alten Genossen aus DDR-Zeiten sterben allmählich weg.“Ein Problem für die Linke wird noch in einem weiteren Aspekt sichtbar: Insgesamt wird die Kompetenz der Piraten auf dem Feld „soziale Gerechtigkeit“ mit vier Prozent von den Wählern außerordentlich schwach bewertet – auch im Vergleich zur Linken (17 Prozent). Die Anhänger der Piraten bewerten die Kompetenz ihrer eigenen Partei bei dem Thema ebenfalls eher gering (22 Prozent – beim Datenschutz sind es 55, bei der Transparenz 42). Auf der anderen Seite ist den Piratenwählern die soziale Gerechtigkeit als wahlentscheidendes Thema mit 45 Prozent ziemlich wichtig. Trotzdem haben sie sich – immerhin über 120.000 Berliner - nicht für die Linke entschieden, sondern für eine Partei, der insgesamt weder bei der Kompetenz noch den Durchsetzungschancen auf diesem Feld besonders viel zugetraut wird.Das lässt für die Linke zwei vorläufige Schlüsse zu: Es gibt Themen wie den Datenschutz und die Verwaltungstransparenz, die bei einer großen Gruppe von Wählern weit oben rangieren, die aber in diesen Fragen der Linken nicht viel zutrauen. Zugleich nimmt die Anziehungskraft einer Kernkompetenz der Linkspartei, die soziale Gerechtigkeit, offenbar ab. Könnte sein, dass dabei eine Rolle gespielt hat, dass die Piraten mit Forderungen wie der nach einem Grundeinkommen und kostenlosem Nahverkehr auf sehr populäre sozialpolitische Versprechen gesetzt haben, während die Linkspartei nach fast zehn Jahren an der Regierung schon vom eher zurückhaltenden Geist der begrenzten politischen Realisierungschancen durchdrungen ist. Auch darüber wird die Linke jetzt zu reden haben. Nicht nur über das netzpolitische Phänomen Piraten, auf das zu reagieren schon ausreichen würde, aus dem „analogen Tiefschlaf“ (Ramelow) aufzuwachen.Dass es der Partei gelungen ist, zumindest den positiven Eindruck einer anderen politischen Kultur, einer geringeren Distanz zwischen Wählern und nun Gewählten sowie neuer Formen der internen Partizipation zu hinterlassen, muss dabei ja nicht hinten runterfallen. Forscher wollen übrigens schon jetzt wissen, dass das Berliner Ergebnis der Piraten „eher exzeptionell“ sei, also kein „Startschuss für einen grandiosen Erfolg“ auch außerhalb der Hauptstadt.Den wird die Partei aber trotzdem habe, sie hat ihn ja schon. Die Aufforderungen innerhalb der Linken, aus dem Ergebnis Lehren zu ziehen, bezeugen ihren realen politischen Einfluss ebenso wie die ungezählten Leitartikel an diesem Montag, die das Beispiel der Linux-Demokratie loben und die Vorreiterrolle der Piraten auf dem Weg zu einer Politik als „freier Software“ der Gesellschaft loben.