In der gläsernen Fabrik

Kanzlerin Selten wurden die zwei Prinzipien der Medien­demokratie – Verblödung und Unterforderung – so offenbar wie hier: Über Merkel, Jauch und die Mechanik der Machtverwaltung

Die Vertrauensfrage wird sie nicht stellen. Weder an diesem Donnerstag noch in Zukunft. Es ist ein dramatischer Akt der Demokratie, wenn sich ein Kanzler entblößt und sein Schicksal in die Hand der Abgeordneten legt. Aber das Theater der Politik inte­ressiert Angela Merkel nicht. Ihre Sache ist der Machterhalt. Während sich das Schicksal des Euro und das Schicksal der Regierung entscheiden, kann das Wahlvolk in das Getriebe von Merkels Machtverwaltung schauen wie in eine gläserne Fabrik.

Der Euro nähert sich seiner Krise. Also dem Wendepunkt der Krankheit. Darauf folgt Genesung oder Untergang. Zur gleichen Zeit tritt auch die deutsche Regierung in die Phase ihrer Krise ein. Diese Koalition, die das Beiwort „bürgerlich“ jedenfalls nicht wegen der von ihr vertretenen Tugenden verdient, steht kurz vor ihrem zweiten Geburtstag. Zum Feiern wird niemandem zumute sein.

Dass ihr der Koalitionspartner FDP unter den Händen stirbt, ist nicht die Schuld der Kanzlerin. Ihre Schuld ist aber, wenn in einem entscheidenden Moment ihrer Kanzlerschaft die eigene Fraktion von der Fahne zu gehen droht. Merkel hat – erneut – zu spät gehandelt. Der griechische Gott Kairos hat nur vorne einen Haarschopf und ist hinten kahl. Wer ihn packen will, wenn er bereits vorübergegangen ist, greift ins Leere. Merkel hat die Bedeutung der Euro-Abstimmung im Bundestag zunächst heruntergespielt und so getan, als handele es sich um ein Gesetz wie jedes andere. Das hat die Abweichler ermutigt. Am Ende musste Merkel doch auf die Bühne.

Wenn es sein muss, das nimmt man staunend zur Kenntnis, beherrscht Merkel die Kunst der süßen Rede. „Dafür habe ich Sie zu gerne, und dafür habe ich noch viel zu viel mit Ihnen vor“, säuselte sie den Unionsabgeordneten vor der entscheidenden Abstimmung noch in die Ohren. Beim wichtigsten deutschen Fernsehmoderator musste sie sich solche Mühe nicht machen. Der gab sich freiwillig hin – und alle journalistischen Grundsätze auf.

Sendung mit der Maus

Es war Merkels Glück, dass ausgerechnet Günther Jauch den wichtigsten Sendeplatz des deutschen Fernsehens übernommen hat. Auf diesen Moderator kann sich die Kanzlerin besser verlassen als auf die eigenen Leute. Am vergangenen Sonntag lud sich Merkel erst selber ein und hielt dann eine durch unangenehme Nachfragen weitgehend ungestörte einstündige Regierungserklärung. Jauch bewies in seiner ganzen nuschelnden Harmlosigkeit, dass man auch eine politische Talkshow zu einem komplizierten Thema so moderieren kann wie die Sendung mit der Maus.

Selten wurden die zwei zentralen ­Prinzipien der deutschen Medien­demokratie – Verblödung und Unterforderung – so offenbar wie hier in der harmonischen Zusammenarbeit von Politiker und Moderator. Unversehens geronn die europäische Krise, die nicht zuletzt durch deutsches Zutun ihre Zuspitzung erfahren hat, zu einer kurzweiligen Lach- und Sachgeschichte.

Hätte Jauch die Arbeit eines Journalisten gemacht, hätte er die Kanzlerin nach dem deutschen Beitrag zur europäischen Krise befragt, nach dem Zusammenhang zwischen dem phänomenalen deutschen Exportüberschuss und dem Defizit der EU-Partner. Und er hätte über den Lohnverzicht gesprochen, der den deutschen Arbeitnehmern aufgezwungen wurde und der ihre europäischen Kollegen in die Arbeitslosigkeit getrieben hat. Es liegt allerdings die Vermutung nahe, dass Jauch der beliebteste Moderator des Landes ist, weil er diese Fragen nicht stellt.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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