Wir sind Wulff

Disziplin der Empörung Jedes Volk bekommt den Präsidenten, den es verdient. Wenn wir unseren jetzt gerne eine Nummer größer hätten, haben wir eben Pech gehabt

Das Haus steht in Burgwedel bei Hannover, es kostete 415.000 Euro, und das Grundstück ist 658 Quadratmeter groß. Ganz gleich, was man von Christian Wulff hält: Man kann ihm nicht vorwerfen, dass Person und Lebensstil nicht zueinander passen würden. Wulff ist bürgerlicher Durchschnitt durch und durch. Das Wildeste an dem Mann ist die Tätowierung seiner Frau. So durchschnittlich wie Wulff selbst sind auch die politischen Auffälligkeiten, die ihn umgeben. Einmal durfte er sich bei einem Überseeflug mit einem Economy-Ticket in die Business-Klasse setzen. Er verbringt seine Ferien gern bei reichen Freunden. Und jetzt kommt raus, dass er sich bei solchen Freunden auch das Geld für sein Haus geliehen hat.

Das Wort Skandal mag man dafür nicht in den Mund nehmen. Aber dennoch gerät der Bundespräsident zu Recht unter Druck. Und wir haben uns zu Recht nicht daran gewöhnt, dass das Regelmäßige auch das Rechtmäßige ist.

Wir üben uns gerade in Disziplin. Und zwar in der Disziplin der Empörung. Das ist gut. Die Empörungsfähigkeit ist die Immunabwehr des politischen Systems. Wenn sie verlorengeht, verfällt der politische Körper.

Der in Hannnover offenbar übliche politische Alltag des allzu engen Miteinanders reicher Leute und ihrer Freunde aus der Politik erhält auch nicht dadurch mehr Rechtfertigung, dass es um so wenig geht: 6.600 Euro, liest man, habe Wulff durch den Freundes-Kredit im Jahr an Zinsen gespart. Die Summe ist erschreckend klein: Man wünscht sich, dass die politische Glaubwürdigkeit selbst eines niedersächsischen Ministerpräsidenten mehr wert ist. Aber ver­mutlich liegt der wahre Schrecken darin, dass Wulff bis zur Anfrage der Grünen gar nicht auf die Idee gekommen war, hier könne seine politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stehen. Es ist eine provinzielle Affäre, in provinziellen Maßstäben mit provinziellen Beteiligten. Nur dass einer von ihnen heute Bundespräsident ist.

Eine angenehme Überraschung

Jedes Volk bekommt den Präsidenten, den es verdient, möchte man da sagen. Und wenn wir unseren jetzt gern eine Nummer größer hätten, haben wir eben Pech gehabt. Wir sind Wulff. Und seine Mittelmäßigkeit ist unsere. Die Beliebtheit dieses Mannes erklärt sich dadurch. Dass von ihm kein einziges Zitat zur schlimmsten Systemkrise, die wir seit Bestehen der Bundesrepublik erleben, in Erinnerung ist, tut dieser Beliebtheit offenbar keinen Abbruch.

Dass Wulff wegen seines Häusle­kredits überhaupt unter Druck gerät, ist eine angenehme Überraschung und sicher nicht im Sinne der Kanzlerin. Angela Merkel hatte im Frühjahr versucht, die politischen Standards im Land zu senken, als sie an ihrem Guttenberg festhalten wollte, obwohl er als Betrüger entlarvt worden war. Gewichtige Medien stützten damals dieses Kurs: Das Haus Springer stand fest zu Guttenberg, und auch der Chefredakteur der Hamburger Zeit erklärte das Plagiat zur lässlichen Sünde. Aber es gab ein großes Murren in jenem Teil des Bürgertums, der noch eine Erinnerung an die eigenen Werte hatte. Guttenberg musste gehen.

Es ist bemerkenswert, dass die Bild-Zeitung diesmal auf der anderen Seite steht. Das Haus Springer wendet sich gegen einen Bundespräsidenten der CDU. Haben Fleiß und Glück den Kollegen die gute Geschichte in die Hände gespielt und sie sind einfach ihrem journalistischen Ethos gefolgt? Oder gibt es hier eine verborgene Agenda? Wer weiß. Nietzsche sagt: „Nicht dass Du mich belogst, sondern dass ich dir nicht mehr glaube, hat mich erschüttert.“

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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