Aufbau West

Solidarpakt Die Bürgermeister der hochverschuldeten Städte im Ruhrgebiet wollen nicht länger für den Solidarpakt an die neuen Bundesländer zahlen

Lange haben sie gewartet auf den richtigen Zeitpunkt. Der schien ihnen jetzt ideal. Die Bürgermeister der hochverschuldeten Städte im Ruhrgebiet haben Alarm geschlagen: Sie wollen nicht länger für den Solidarpakt II zahlen. Es könne nicht sein, dass sie sich verschulden müssten, um ihren Anteil am Solidarpakt zu finanzieren, mit dem im Osten Bürgermeister Straßen, Gebäude, ganze Städte sanieren, die dann in besserem Zustand sind als Essen, Duisburg oder Dortmund, so der Tenor.

Der Hilferuf kommt pünktlich zum Wahlkampfbeginn: In Nordrhein-Westfalen wird am 13. Mai gewählt. Die Oberbürgermeister fordern von der kommenden Regierung eine Bundesratsinitiative, die das Ende des Solidarpakts II zum Ziel haben soll. Seit Jahren kämpfen die Städte im Ruhrgebiet mit hohen Schulden. Von den 400 Kommunen haben nur zwei einen ausgeglichenen Haushalt. Einige Städte mussten in den vergangenen Jahren hunderte Millionen Euro Schulden aufnehmen, um ihre Beiträge für den Solidarpakt II leisten zu können. Währenddessen stehen Bundesländer wie Sachsen oder Thüringen in ihrer Schuldenbilanz vergleichsweise gut da.

In Sachen Infrastruktur schneiden manche Städte im Osten inzwischen besser ab als im Westen, etwa im Ruhrgebiet. Und von einer "Infrastrukturlücke" und einer "unterproportionalen kommunalen Finanzkraft" kann oft keine Rede mehr sein. Davon, dass der Osten in der Breite glänzend dastehe gegenüber dem Westen, allerdings auch nicht.

Doch ist der Solidarpakt ein Lehrbeispiel, wie eine gute politische Idee in ihrem Sinn umschlagen kann, wenn nicht rechtzeitig nachgesteuert wird. Eine pauschale, langfristige Förderung anhand der Himmelsrichtung macht über 20 Jahre nach der Deutschen Einheit weniger Sinn als eine, die nach finanzieller Bedürftigkeit ausgerichtet ist. Den Länderchefs im Osten ist kein Vorwurf zu machen, wenn sie auf die Einhaltung des Solidarpakts bis 2019 pochen und sagen: es bleibt noch viel zu tun. Wer verzichtet schon freiwillig auf zugesagte Milliardeneinnahmen pro Jahr? Insgesamt 156 Milliarden Euro sind im Solidarpakt II für die Jahre 2005 bis 2019 an Zahlungen für die ostdeutschen Länder eingeplant; die Summe nimmt jedes Jahr ab, 2019 wird sie nur noch bei zwei Milliarden Euro liegen. Zahlen müssen Länder, Städte und Kommunen – wie Duisburg oder Essen.

EEG: Transfer von Ost nach West

Der Solidarpakt ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass Milliardensummen durch die Republik wandern. Mehr als die sieben Milliarden Euro, die der Bund 2012 im Rahmen des Solidarpakts an die neuen Bundesländer ausschütten wird, machen inzwischen zum Beispiel die jährlichen Transfers der EEG-Umlage aus: Jeder Deutsche zahlt über den Strompreis die EEG-Umlage von 3,59 Cent je Kilowattstunde mit, um die Erneuerbaren Energien auf dem Markt zu fördern. Wieder eine gute politische Idee. Problematisch ist jedoch die Begleiterscheinung: Die Umverteilung von Ost nach West und von Nord nach Süd.

So zahlt ein Mieter in Halle über seine Stromrechnung die Solaranlagen auf dem Dach einer Eigentumswohnung in Böblingen mit. Weil Solaranlagen – derzeit jedenfalls noch – den größten Anteil an der EEG-Umlage einnehmen, fließt ein Großteil der Fördergelder nach Bayern und Baden-Württemberg, wo viele Bauern mit Solar- und Biogasanlagen einen Zusatzverdienst suchen. 3,3 Milliarden Euro strichen die Betreiber von Solar-, Wind- und Biogasanlagen in Bayern 2011 ein, mit großem Abstand folgen Niedersachsen und Baden-Württemberg. Nordrhein-Westfalen kommt zwar an vierter Stelle, weil es mit den meisten Einwohnern aber auch am meisten zahlt, ist die Bilanz mit über zwei Milliarden Euro Minus unter den Bundesländern mit großem Abstand am schlechtesten.

Der jüngste Beschluss, die Solarförderung zu kürzen, könnte Nordrhein-Westfalen etwas entlasten – ironischerweise hatte sich Norbert Röttgen, der für die CDU Ministerpräsident in NRW werden will, als Bundesumweltminister lange gegen die Kürzung gewehrt. Jetzt als Wahlkämpfer, so könnte man annehmen, schließt er sich der Kritik der Oberbürgermeister am Solidarpakt an und fordert dessen Abschaffung. Doch weit gefehlt: Der Pakt sei bis 2019 rechtlich verbindlich, sagte er. „Wenn man das für falsch hält, hätte man das damals erkennen müssen.“

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