Unter Feuer aus allen Rohren

Piraten Von wegen Toleranz: In der Bundesrepublik kämpfte Alt schon immer gegen Jung. Jetzt werden die Piraten das Ziel harscher Kritik

Man fühlt sich als Ostdeutsche in der Bundesrepublik ja immer wieder wie eine Art teilnehmende Beobachterin und würde den eigenen Status Status als embedded beschreiben. Zu den frühesten Erfahrungen gehört dabei, dass Westdeutsche sich zwar für wahnsinnig tolerant halten, es aber eigentlich nicht mögen, wenn jemand wirklich mal etwas anders machen will. Und so erinnere ich mich beispielsweise daran, wie Claudia Roth, die Vorsitzende der Grünen, mir ziemlich rüde das Wort verbieten wollte, nur weil ich meinte, die Zeit sei reif für einen neuen Feminismus. Von wegen, schrie sie fast, uns jungen Frauen gehe es doch heute wunderbar. Früher hingegen, zu ihrer Zeit …

Nun steht Claudia Roth erneut auf den Barrikaden, diesmal wettert sie gegen die Piraten. Einerseits ist das natürlich ihr Job, aber andererseits denkt man, die Frau kann gar nicht anders. Sie entstammt einer Generation, die für sich in Anspruch nimmt, immer im Recht zu sein. Damit steht sie – ausgerechnet – in der Tradition ihrer Eltern. Jener Nachkriegsgeneration, die Konrad Adenauer verehrte, weil der nach dem Krieg „Keine Experimente“ versprach. Das war 1957 der CDU-Wahlkampf-Slogan, und 50,2 Prozent der Wähler stimmten dafür.

In einer individualisierten Gesellschaft gewinnen die Generationen dann an Identität, wenn sie sich von der jeweils vorangegangenen unterscheiden. Das ist ein einfaches Gesetz, es hat die Bundesrepublik bis in die Haarspitzen geprägt. Nach der Adenauer-Restauration kam der antiautoritäre Protest der 68er, dann deren Idealisierung bis weit in die achtziger Jahre. Erst nach der Wiedervereinigung begann schließlich ihre Entzauberung. Sie wurde von jener Generation betrieben, für die uns nur das doofe Wort Generation Golf zur Verfügung steht. Psychologen wie Wolfgang Schmidbauer jedoch bezeichnen diese Kohorte als entwertete oder gar phobische Generation: Aus Angst vor den immer rechthabenden Eltern zogen sich die um 1970 in Westdeutschland Ge­borenen oft in die hedonistische und ostentativ unpolitische Pose der Ironie zurück – während wir im Osten den Gegensatz von Politik und Style immer lächerlich fanden.

Schluss mit der ironischen Distanz

Jetzt aber hat der alte Westen einen neuen Feind gefunden: Die Piraten. Und jetzt ist Schluss mit aller ironischen Distanz. Ausgerechnet die kleinen, noch unsicheren und schlecht gekleideten Geschwister nehmen sich das Recht raus, anders, uncool und ganz ernsthaft politisch zu sein. Und dafür bekommen sie Feuer aus allen Rohren. Dabei finden sich die Generationen Roth und Golf im Kampf gegen die Piraten Seite an Seite. Denn so unterschiedlich sie sonst auch sind, in ihrer Abgrenzungswut gleichen sie sich wie Zwillinge. Diletantismus, Unkenntnis und, ja auch, Chaotentum werfen sie der neuen Partei vor. Die Piraten sind die Halbstarken von heute und holen sich jetzt auf dem politischen Schulhof ihre ersten Beulen.

An sich ist das nicht schlimm. Die Partei ist erfolgreich. Sie wird ernst genommen. Die Chancen stehen gut, dass sie im Gegenwind um so schneller wachsen wird. Aber für die alte Bundesrepu­blik wäre das mal eine Gelegenheit, sich von einer ihrer uncoolsten Selbsttäuschungen zu verabschieden: Auf die verändernde Kraft der Jugend nämlich hat sie – entgegen ihrer toleranten Selbstwahrnehmung – nie gesetzt. Stattdessen wurden die Jungen stets mit allen Mitteln des Rechtsstaates – und manchmal auch mit anderen Mitteln – bekämpft. Vielleicht war das mal ein Erfolgsrezept. Aber mit Toleranz hat das nichts zu tun.

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