Der Freitag hat einen Aufruf zum Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan veröffentlicht. Die Unterzeichner des Aufrufs im Freitag, darunter die Schriftsteller Walser und Jelinek und die Fernsehleute Willemsen und Roche, glauben, dass es sich in Afghanistan um einen Konflikt handelt, der nicht mit Waffengewalt zu lösen ist. Diese Überzeugung fasst sich im Satz des Aufrufs zusammen: "Der Gegner ist keine Armee sondern eine Kultur". Thierry Chervel hat diesen Satz zum Anlass genommen, im Perlentaucher einen kurzen Text zu schreiben, der nicht unkommentiert bleiben soll. Chervel setzt den Freitag, die Unterzeichner des Aufrufs und die gesamte Linke gleich. Das ist als polemische Überhöhung ganz lustig, also nicht wirklich schlimm. Nicht so lustig ist sein Satz, dass die Linke an den "verlorenen Gewissheiten der Rechten festhält: Kultur, Tradition, Sitte, Kopftuch, Religion, Unterwerfung. Die Rechte war dabei ehrlicher, weil sie diese Werte und die daraus resultierenden Zwänge auch fürs eigene Milieu einforderte. Die Linke aber hat für die ,anderen Kulturen’ ein anderes Programm als für die eigene. Sie ist also nicht nur reaktionär, sondern rassistisch." Das geht über die Grenze der Polemik hinaus. Aber schlimmer als das: Es ist eine Dummheit.
Wenn man über den Krieg nachdenkt, jeden Krieg, lohnt es sich, die realpolitische Perspektive von der moralischen zu unterscheiden. Wenn der Krieg in Afghanistan gewonnen würde, wäre es leichter, ihn auch moralisch zu rechtfertigen. Er wird aber nicht gewonnen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen im Gegenteil, dass die Lage des Westens in diesem Land immer prekärer wird. Wie reagiert der Westen darauf? Er kann mehr Waffen einsetzen und mehr Soldaten. Das ist die Strategie, für die die USA sich offenbar entschieden haben. Menschen, die an die Macht des Fortschritts, der Technik, der Moderne, der Waffen, des Geldes glauben, mögen das für eine erfolgversprechende Methode halten. Mehr, mehr, mehr. Bombt die Feinde aus den Tälern und Bergen! In Vietnam beschlossen die Amerikaner die Bäume zu entlauben, um den Gegner aufzuspüren. In Afghanistan sprengen sie die Berge. Wir erinnern uns an die Daisy Cutter Bombe, mit der die Al-Kaida-Festung Tora Bora zu Splittern zerlegt wurde.
Osama Bin Laden entkam dennoch. Und das war vermutlich kein Zufall, kein lässliches Versagen einer ansonsten klugen Strategie. Es war ein Symbol. Konflikte, die kulturelle Wurzeln haben, sind mit Waffengewalt nicht zu lösen. Für jeden getöteten Taliban kommen zwei neue. Ist das ein Gedanke, der sich nur den von Thierry Chervel geschmähten Linken aufdrängt? Während wir streiten, breiten sich die Taliban in Afghanistan weiter aus und dringen in Gebiete vor, aus denen man sie längst vertrieben glaubte. Die Vernunft würde jetzt nach anderen Antworten verlangen, selbst wenn die Moral es nicht schon längst täte.
Es sind keine leichten Antworten. Und keine schnellen. Und sie kommen nicht ohne einen Preis. Der Preis liegt in der Demut des Westens und in der Ehrlichkeit. Wir wollen da nicht zu tief in die Kiste greifen und uns keinen Spaß aus der Aneinandereihung von altbekannten -ismen machen. Aber dennoch: Der Universalismus der Menschenrechte droht unter den Bedingungen des globalen Kapitalismus leicht zum Kultur-Imperalismus zu werden. Das zu leugnen hat mit Aufklärung nichts zu tun. Das ist, wie Bloch sagen würde, Aufkläricht. Wenn man sich die Früchte westlicher Arbeit in Afghanistan ansieht, dann kommt in der alten Gegenüberstellung Herder gegen Voltaire, Kultur gegen Universalismus, der einst als deutschtümelnder Prä-Nationalist missverstandene Weimarer inzwischen ziemlich gut weg.