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Politik : Die Nation braucht ihre Pflanzen

Warum erst Baumbesetzungen den Konflikt um Stuttgart 21 so richtig eskalieren ließen

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Dass die Situation am Stuttgarter Hauptbahnhof in der vergangenen Woche derart außer Kontrolle geriet, überraschte offenbar alle gleichermaßen, die Medien wie die Teilnehmer der Proteste. Vor nicht allzu langer Zeit hatten Demonstranten noch das Dach eines bereits teilweise abgerissenen Flügels des bisherigen Bahnhofs erklommen – und die Polizei hatte sie erst einmal gewähren lassen. Ganz anders dagegen, als die Bäume ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerieten. Diejenigen Widerständler, die vorige Woche die Baumkronen im Stuttgarter Schlosspark besetzten, wurden von der Exekutive zurück auf den Boden geholt, wenn es sein musste auch mithilfe von Wasserwerfern und Tränengas. Und obwohl der Erhalt der Bäume kein vordringliches Anliegen der Stuttgart-21-Gegner darstellt, sammelte die Bewegung aus diesem Anlass doch all ihre Kräfte zusammen und entlud sich just an diesem Vorhaben doch der ganze Volkszorn, der vielleicht nie nur das Projekt des Neubaus gemeint hatte.

Einen deutschen Baum fällt man eben nicht so einfach. Vor allem, wenn es Bedenken von Seiten des Naturschutzes gibt, haben es kommerzielle Interessen schwer. In Stuttgart gab es offenbar solche Einwände, da Juchtenkäfer die Bäume um den Bahnhof herum besiedeln. Diese Bedenken wurden allerdings erst bekannt, nachdem bereits 25 Stämme abgeholzt worden waren. Nun soll ein Gericht prüfen, ob die Aktion rechtswidrig war. Was den 25 Bäumen freilich nicht wieder zum Leben verhilft.

Im Grunde hätte man eine solche Eskalation erwarten können, ja müssen. Denn Bäume sind zweifellos die politischsten Gewächse dieses Landes. Gerade, wenn sie gefällt werden. Damit beginnt nicht nur jedes Sesshaftwerden, sondern zum Beispiel auch die Geschichte des hessischen Christentums: Von Franken aus kam, so will es jedenfalls die Legende, einst der Missionar Bonifatius ins Land. Neben dem Kreuz trug er eine Axt im Gepäck, um das Heiligtum der germanischen Heiden, eine dem Gott Donar geweihte Eiche, zu fällen. Das sollte nicht nur die Ohnmacht Donars beweisen, sondern lieferte auch gleich das nötige Holz für den Bau eines Gotteshauses – das nach dem Heiligen Petrus benannt wurde, jenem ersten Beamten der Kirche.

Erst Menschen gefällt, dann Bäume

Dass einem Menschen das Fällen eines Baumes im Herzen weh tut, ist mithin nicht allein auf seine fehlgeleitete Natursehnsucht zurück zu führen, sondern mehr noch auf die Erkenntnis, dass eine solche Tat einen Gründungsakt symbolisiert, der, wenn er nicht vom Volke, sondern von der Herrschaft ausgeht, jederzeit imstande ist, nicht nur der Natur, sondern auch dem Menschen Gewalt anzutun. An Bäumen entzündet sich der Konflikt zwischen Volk und Gesetz gerne, denn Bäume spielen eins gegen das andere aus, da stehen Nation und Staat einander plötzlich als Feinde gegenüber. Letzterer will dann sein institutionelles Recht durchsetzen, erstere ein wie auch immer geartetes Naturrecht, das Bestand, Rasse und Artenschutz des Baumvolkes sichert. Das ist der Grund, warum Naturschutz manchmal diesen unappetitlichen Nachgeschmack hat.

Es ist ja auch kein Zufall, dass die „Wir sind das Volk“-Rufe noch vor der Deutschen Einheit das Pflanzen eines Baumes zur Folge hatten: Da wurde neu in der Erde verwurzelt, was die Teilung des Landes einst gerodet hatte. Zu verdanken ist die „Freiheitslinde“, die seit April 1990 vor dem Reichstag wächst, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, die sich 1947 zusammenschloss, um den deutschen Wald wieder aufzuforsten, nachdem die Alliierten ihn als Reparationskonto begriffen und entsprechend großzügig abgeholzt hatten. Die deutsche Nation braucht eben ihre Bäume, weil sie mit ihnen steht und fällt. Und das ist viel wörtlicher zu verstehen, als einem lieb sein kann: Auch in Stuttgart wurden erst die Menschen gefällt, bevor man sich an die Bäume wagen mochte.

Katrin Schuster ist freie Journalistin und betreibt die Webseite katrinschuster.de

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