Abgesehen vom Krieg ist nichts wichtiger für die Zukunft der Menschheit, als unserer Städte ökologisch gesund zu machen – schrieb einst der Stadt-Ökologe Richard Register. Es spricht einiges dafür, dass er Recht hat. Denn seit 2007 lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. 90 Prozent des weltweiten Bevölkerungswachstums wird in den nächsten Jahrzehnten in urbanen Milieus stattfinden. Und die Bewohner der Metropolen verursachen schon jetzt 80 Prozent der menschgemachten Klimagase.
Auch in Deutschland gibt es diesen Trend. Hierzulande gibt es mehr Metropolen als in jedem anderen Land Europas: 17 von 125 Städten mit Metropolcharakter liegen in der Bundesrepublik, ergab kürzlich eine Studie des Bonner Instituts f
tituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Nicht nur Hamburg erfüllt die Kriterien, sondern auch der Hunsrück, wenn man sich das Gebiet um den Frachtflughafen Hahn ansieht. Von 21 europäischen Metropolräumen liegen fünf in Deutschland, darunter das Rhein-Main-Gebiet. Städte sind wie Magneten, sie ziehen die Menschen an, weil diese glauben, dort bessere Chancen zu haben.Für den Schutz der Umwelt und der Ressourcen ist deshalb entscheidend, wie sich die Städte entwickeln werden. Denn obwohl Metropolen wie Delhi (28 Millionen Einwohner), Mumbai (25 Millionen) oder Los Angeles (18 Millionen) schon jetzt ein enormes Konfliktpotenzial bergen, können nachhaltig gestaltete Städte auch die Lösung des Problems sein. Sie könnte einen Lebensraum der kurzen Wege zwischen Wohnen, Arbeit und Einkaufen bieten, versorgt von erneuerbaren Energien und gebaut in einer ebenso modernen wie naturorientierten Architektur.In China und Abu Dhabi versucht man, neue Modellstädte zu erfinden und eins zu eins aus dem Boden zu stampfen (siehe auch die nebenstehende Grafik). Aber die Schwierigkeiten solcher Projekte springen inzwischen ins Auge. Man entdeckt erst in der Verwirklichung, dass bei der Planung Naturbedingungen übersehen wurden; man kann nicht weiterbauen, weil erst die Weltfinanzkrise abgewehrt werden muss; es fällt schwer, sich mit denen zu verständigen, die die neuen Städte bewohnen sollen. Es gibt auch den umgekehrten Versuch die Städte aus sich heraus zu verändern. Das war der Weg, den die UN-Umweltkonferenz von Rio 1992 beschritt, als sie den Kommunen in aller Welt die „Lokale Agenda 21“ empfahl. An ihm ist problematisch, dass es langsam, ja oft gar nicht vorangeht. In Berlin zum Beispiel hatten sich sofort Agenda-Gruppen gebildet, die mit Politik und Wirtschaft verhandelten. Doch der Erfolg blieb bescheiden.Von Dorf zu DorfHeute kandidiert mit Renate Künast eine Grüne für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, und man kann sehen, was sie sich unter ökologischem Stadtumbau vorstellt: ausgeglichene Energiebilanz, viele Grünflächen und ein integriertes Verkehrssystem mit mehr Carsharing und öffentlichem NahverkehrReicht das? Die Stadt der kurzen Wege steht nicht auf dem Programm. Weil man sie nicht durchsetzen könnte? Am Abstand von Wohnung und Arbeitsplatz, Einkauf und Kinderladen ändert sich nichts, er wird weiter mit den bekannten Verkehrsmitteln überbrückt, allerdings, wie man hofft, bei sinkendem Anteil der Privatautos.Weil beide Ansätze nicht voll befriedigen, der Modellansatz so wenig wie die Idee, den Status quo zu ändern, fragt man sich, ob es noch andere Möglichkeiten gibt. Vielleicht helfen die Überlegungen, die kürzlich in der Heinrich-Böll-Stiftung vorgestellt wurden? Den Diskussionsstand ökologisch orientierter Architekten zusammenfassend, haben drei Organisationen – Raumbüro, Stiftung neue Verantwortung und das Architekturnetzwerk Cityförster – drei Wege zur Zukunft unterschieden.Schauen wir uns die „Szenarios“ einmal an. Ausgangspunkt ist, dass die Existenz von Städten und das Phänomen Individualisierung untrennbar zusammengehören. Im ersten Szenario müssen sie sich weit zurücknehmen: Ökologische Gerechtigkeit und knappe Finanzen zwingen allen Menschen rigide Regeln der Solidarität auf. Im dritten mangelt es an nichts, weil man gelernt hat, sich den unendlichen Reichtum der Sonnenenergie zunutze zu machen. Da brauchen die Individualisten nicht solidarisch zu sein, sondern jeder macht, was er will, und kämpft allenfalls mit der Sinnkrise.Die vernetzte GesamtstadtDas zweite Szenario vermittelt zwischen den Extremen. Hier ist die große Stadt in eine „Ansammlung von Dörfern“ zerlegt. In ihnen leben Gleichgesinnte zusammen, die sich, bei allem Individualismus, leicht auf gemeinsame Projekte einigen. So kann es das Village der Kinder und Familien, das Ökodorf mit Modellprojekten und CO2-freier Mobilität und das Kibbutz-Kollektiv „mit überdurchschnittlichem sozialen Sinn“ nebeneinander geben, hinzu mögen noch andere „Dörfer“ kommen. Da in jedem alle Stadtfunktionen realisiert sind, vom Wohnen übers Einkaufen bis zum Arbeiten ist überall für kurze Wege gesorgt.Es wäre sicher falsch, die Methode der Wahl zwischen Szenarien zu verabsolutieren. Denn auch der Modellversuch „von oben“ kann neue Wege öffnen. Er hat eine lange Tradition, man braucht nur an die Muster-Hauptstadt Brasilia zu denken. Wenn heute ökologische statt Herrschaftsmuster auf der Agenda stehen, wer wird sich darüber beklagen? Das System unterirdischer Kabinentaxis, das für die Ökostadt Mazdar in Abu Dhabi gebaut werden sollte, war wirklich ein interessanter Gedanke. Und auch gegen Versuche, die am Status quo ansetzen, ist gar nichts einzuwenden. Wenn der grüne Marburger Bürgermeister Franz Kahle versucht, jedes Dach per Vorschrift mit einer Solaranlage zu versehen, und die schwarz-gelbe hessische Regierungskoalition das Baurecht ändern muss, um das zu verhindern, ist das ein produktiver Konflikt. Dennoch mag dem dritten Weg, der Methode, zwischen Zukünften zu wählen, eine Schlüsselrolle zukommen. Sie wäre flexibel, effektiv und demokratisch.Es geht nicht darum, zwischen den drei Szenarien zu wählen. Sie alle stellen eine Frage: nach dem Schicksal der Individualisierung. Man kann anders fragen. Sind auch „Dörfer“ innerhalb einer Stadt vorstellbar, die gerade nicht aus „Gleichgesinnten“ – womöglich auch finanziell gleich Ausgestatteten – bestehen, in denen man sich aber dennoch auf Gemeinsames einigt, weil man sich kennt und alles noch überschaubar ist? Dann wäre die Gefahr weniger groß, dass die „Dörfer“ in Gentrifizierung ausarten. Es könnte das Ökodorf neben dem Familien-Village geben, ohne dass in dem einen nur Ökologen, in dem andern nur Familien leben. Die Gesamtstadt wäre vernetzt und hätte dennoch ihre gut überlegten Schwerpunkte. Den Weg dahin könnte man sofort beginnen, denn die Städte haben schon ihre Bezirke. Die Bewohner könnten den Bezirks-Charakter zuspitzen oder zurücknehmen.