Sprachbilder sind ja erstaunlich resistent gegenüber den Veränderungen in der Wirklichkeit. Obwohl wir die kopernikanische Wende längst vollzogen haben, sprechen wir ohne Skrupel von der Schönheit eines Sonnenuntergangs, und nur ein paar Schriftsteller in der Tradition eines Gustave Flaubert wollen sich nicht damit abfinden, dass unsere so genannt natürliche Sprache hinter den Wahrheitsansprüchen der Moderne hoffnungslos zurückbleibt. „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben“, schrieb vor rund hundert Jahren Friedrich Nietzsche.
Heute ist nicht nur die Schreibmaschine, mit der Nietzsche als einer der ersten Philosophen schreibend experimentierte, ein Anachronismus, sondern auch die Vorstellung des Com
ng des Computers als einer Art Optimierung dieser Schreibmaschine. Aus den Buchstaben eines antiken Alphabets besteht dessen Tastatur trotzdem, auch die Tastatur, auf der dieser Text hier gerade entsteht. Und so wundert es nicht, dass jemand beim Griff in die Metaphernkiste auf ein simples Holzpferd aus der griechischen Mythologie gestoßen ist, um eine hochkomplexe Überwachungssoftware vorstellbar zu machen.Vorstellbar machen, heißt einen Sachverhalt in eine Narration übersetzen. Wenn man, frei nach dem Philosophen Hans Blumenberg, die Welt schon nicht begreifen kann, so soll sie sich doch erzählen lassen. Natürlich sind Veranschaulichungen nicht immer verkehrt. Metaphern funktionieren ähnlich wie Vergleiche über Ähnlichkeiten zwischen dem Bild und dem Gemeinten. Die Software, die der Chaos Computer Club (CCC) da gehackt hat, muss also etwas mit einem trojanischen Pferd gemein haben. Sieht harmlos aus, dringt aber ins Innerste eines Gehäuses ein und richtet dort großen Schaden an. Weil nun aber solche Vergleiche nicht einfach wahr oder unwahr sind, sondern Geschmackssache, wundert es nicht, dass nicht alle Gefallen am Bild vom Bundestrojaner gefunden haben. Der Journalist Wolfgang Michal schreibt in seinem Blog:„Hören Sie also zunächst auf, den Sympathie-Begriff ‚Bundestrojaner‘ zu verwenden. Denn schon in der Schule haben wir gelernt, dass der tolle Trick mit dem hölzernen Pferd der Trick ‚der Cleveren‘ war. Der ‚Bundestrojaner‘ ist eher mit einer digitalen ‚Drohne‘ zu vergleichen, einer ferngelenkten Waffe. Denn die Schnüffelsoftware ermöglicht es, jeden einzelnen Computer, der mit dem Netz verbunden ist, anzusteuern und komplett auszuforschen.“InkompetenzkompensationskompetenzDie Drohne für den besseren Vergleich zu halten, heißt, die Dinge noch drastischer erzählen zu wollen. Was aktuell über diesen „Staatstrojaner“ zu lesen ist, ist ja eine große „Erzählung“, wie sie als Postulat in der politischen Publizistik attraktiv geworden ist. Dabei handelt es sich einfach um einen weiteren Fall von „Inkompetenzkompensationskompetenz“ (Odo Marquard). Je komplexer die Verhältnisse werden, desto dringlicher wird der Ruf nach einer solchen Kompetenz. Aber wer kennt sich schon aus mit Programmierung?Vor dem Gott der Algorithmen und Codes sind wir ja fast alle gleich – und das heißt gleich dumm. Wie sehr es da die Erzählung braucht, zeigt schon der Name der Partei, die für die neuen Verhältnisse wie keine zweite steht. Es ist ja kein Zufall, dass die Piratenpartei so heißt, wie sie heißt; hochkomplexe Verhältnisse provozieren archaische Reaktionen. Wie der Piraten-Name ein rechtlich unklares Gewaltverhältnis assoziiert, so ruft die Rede von Trojaner und Drohne eine irgendwie kriegerische Situation aus.Was ist davon zu halten? Schwer zu sagen, denn die Vorstellung eines Cyberwars scheint ja fast schon zwingend, aber es fehlen ihm nun einmal die Insignien eines klassischen Kriegs. Tote lassen sich keine zählen, Kosten nicht beziffern. Vor diesem vagen, aber irgendwie konsequent gefühlten Hintergrund, der auch noch mit unscharfen totalitären Zügen daherkommt, wie Dietmar Dath in der FAZ schreibt, ist es äußerst schwer, eine andere Erzählung durchzusetzen.Man könnte ja auch sagen, dass sich mit der Entschlüsselung der Software eines Nachrichtendienstes erst einmal Fragen des Datenschutzes stellen, und die Gründe der Dramatisierung dieses Vorgangs weniger in der Natur der Sache, als möglicherweise mehr in einer politisch-publizistischen Gemengelage liegen.Anatomie eines digitalen Ungeziefers lautete, metaphorologisch wenig sensibel, die Überschrift zum riesigen Aufmacher im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), verfasst von Frank Rieger, einem der Sprecher des CCC. Aber vermutlich ist der sehr wortreiche Artikel gar nicht der wichtigste in diesem Feuilleton der FAS. Der eigentliche Aufmacher erstreckt sich über fünf Seiten und ist Abdruck jenes „getarnten Teils der Spionagesoftware, der das illegale Nachladen von Programmen aller Art ermöglicht“. Es ist ein Code, der, wie es zu Recht heißt, trivial für Informatiker ist, aber für Laien, und das meint eben auch für Journalisten oder Richter, ein rätselhaftes Idiom bleibt.Ein Code, der das lateinische Alphabet längst hinter sich gelassen hat, und es nur noch wie in einem Zitat benutzt. Ein Code, so wahr, wie im narrativen Gedächtnis nicht speicherbar. Er markiert die Grenze der Erzählung – was von ihm bleibt, ist die Buchstabenfolge „0zapftis“, die ein digitaler Scherzbold in ihn reingeschrieben hat. Bierzelthumor war allerdings nicht unbedingt die Konsequenz, die sich ein Flaubert oder ein Nietzsche aus der Unbegreiflichkeit der Welt erträumt hatten.