Bahnhass, leicht gemacht

Mentalitätsforschung Keine Frage: Ausgefallene Klimaanlagen im ICE sind eine Tortur. Aber wer die perfekte Bahn will, macht Deutschland kälter.

Als ich noch jung war und mit Interrail durch Italien reiste, landete ich einmal auf einem Abstellgleis in Rom. Da standen wir dann. Unser Wagen war einfach abgehängt worden. Es war heiß und schwül und niemand hatte uns informiert. Wir stöhnten und waren verzweifelt und doch glücklich. Wir waren im SÜDEN. Wir waren ein Teil von ihm.

Es ist überhaupt nicht schön, in einem ICE zu sitzen, in dem die Klimaanlage ausgefallen ist. Es ist auch nicht schön, wenn man jung ist und in Berlin war und gefeiert hat, gerade dann ist es nicht schön.

Aber der Hass, der nun wieder der Bahn entgegenschlägt, steht doch in keinem Verhältnis zu diesen Vorkommnissen (auch wenn er natürlich durch die Hitze mitbedingt ist). Unter den vielen Sündenböcken, die Deutschland kennt – Ausländer, Politiker, Hartz 4-Empfänger, Juden, Muslime – hat die Deutsche Bahn seit vielen Jahren einen Premiumplatz. Daran konnte auch der Rücktritt des Hasssymbols Nr.1, Bahnchef Mehdorn, nichts ändern. Damals kannte man seinen Vornamen nicht, er war einfach der Bahnchef Mehdorn. Den Namen des aktuellen Bahnchefs kennt überhaupt keiner mehr. Der Hass aber ist geblieben.

Dagegen würde vermutlich auch keine (wünschenswerte) Niederigpreispolitik helfen. Ganz sicher aber nützten alle bisherigen Imagekampagnen nichts. Keinen Humor verstand man, als die Bahn die Neurosen ihrer Nutzer in einem Werbespot ein wenig auf die die Schippe nahm:

Im Spot sieht man einen größeren Bahnhof. Leute warten auf einen Zug. Eine Lautsprecherdurchsage: „Der Zug verspätet sich voraussichtlich um drei Minuten!“ Es folgt lautes Nörgeln seitens der Wartenden: „Drei Minuten sind zu viel!“. Man sieht Menschen demonstrieren: „Nicht mit uns, drei Minuten sind zu viel!“ Im Bundestag verkündet ein Abgeordneter „Drei Minuten sind zu viel!“ „Auch dieses Jahr ist die Deutsche Bahn wieder das zuverlässigste (pünktlichste) Verkehrsmittel. Mit den Zuverlässigsten ist man am strengsten“ endet der Spot.

Er lief nur kurz.

Als eine Kollegin einmal nach Irland (!) reiste, wurde ihr als erstes beschieden, dass man "nicht in Deutschland" sei und die Bahn schon mal eine Dreiviertelstunde Verspätung haben könnte. Nun gut, sie richtete sich ein und packte für alle Fälle ein gutes Buch in die Tasche.

Es ist doch so: Jeder Schritt, der Deutschland weg von Deutschland bringt, jeder Schritt also, der dieses Land südlicher und weltoffener macht, muss unbedingt begrüßt werden. Dazu gehört dann eben auch, dass die Züge nicht ganz so pünktlich sind, dass mal eine Klimaanlage ausfällt (auch wenn man alles dafür tun sollte, dass es möglichst nicht passiert) und dass es den einen oder anderen Zugbetreuer gibt, den man lieber nicht zum Nachbarn hätte. Mit anderen Worten: Die Bahn, wie sie nun einmal ist, ist ein Kernstück der "bunten Republik Deutschland" (Christian Wulff).

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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