Angst als Grundemotion ist ein überlebensnotwendiges Gefühl. Sie gehört wie Freude, Trauer, Ekel, Überraschung, Wut und Verachtung zu unserer menschlichen Existenz und ist eine lebenslange Begleiterin. Jede:r kennt das Gefühl: die Angst vor dem Versagen, um geliebte Menschen, vor dem Verlust um den Arbeitsplatz und um die Zukunft. Sie kann Energie freisetzen oder uns in Schockstarre versetzen. Angst kennt keine sozialen Grenzen und betrifft alle Gesellschaftsgruppen. Die Angst vor bedrohlichen oder schwer kontrollierbaren Situationen, vor der Macht und dem Einfluss der Internetgiganten, Klimawandel, Terror, Veränderung, ›dem Fremden‹ und Einsamkeit beeinflussen unser Zusammenleben. Unter dem Motto »C the unseen« wird in der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 nicht nur das Ungesehene oder das Übersehene ins Blickfeld gerückt, sondern auch Zukunftsvisionen erzeugt. Um solche definieren zu können, müssen auch die Tabuthemen Angst und Einsamkeit ins Blickfeld gerückt und verhandelt werden. Wie könnte dies kunstvoller gelingen als mit den Werken des Wegbereiters der Moderne, Edvard Munch, der mit seiner Malerei Seelenlandschaften erschuf und uns an die Konzentration auf das Wesentliche – »Leben, Liebe und Tod« – erinnert?
Der norwegische Maler Edvard Munch war ein Existentialist. Durch seine gefühlsdurchdrungene Malerei wurde er zu einem Seismografen einer ganzen Zeit und goss gleichzeitig das Fundament der Kunst neu. Der junge Künstler reiste erstmals 1892, noch nicht ganz 30 Jahre alt, nach Deutschland und blieb mit Unterbrechungen bis 1908 in seiner neuen Wahlheimat. Hier entstanden zahlreiche Hauptwerke, die dem Maler Förderung und Bekanntheit einbrachten und ihm zum internationalen Durchbruch verhalfen. Zu seinen Förderern gehörten auch Herbert Eugen und Johanna Esche, auf deren Einladung Munch 1905 nach Chemnitz kam, um die Familie des Industriellen für deren Jugendstilvilla zu porträtieren. Seine Kunst beeinflusste Künstler aus der Region wie Karl Schmidt-Rottluff und die weiteren Mitglieder der Brücke. Mit dem Bildnis Herbert Esche und dem Blick aufs Chemnitztal sind zwei Gemälde, die in der Villa Esche in Chemnitz entstanden, als Leihgaben in der Ausstellung präsent. Und nach fast 90 Jahren ist das Werk Zwei Menschen. Die Einsamen (1906–1908), das 1928 nach mehrjährigen Bemühungen für die Städtische Kunstsammlung Chemnitz angekauft und in der Zeit des Nationalsozialismus veräußert wurde, nun als Leihgabe aus den USA, erstmals wieder in Chemnitz zu sehen.