Ein streitbarer Dichter am Puls der Zeit

Zur Ausstellung Stefan Heym widmete sich intensiv Themenfeldern wie Antifaschismus, Demokratie und Sozialismus, der Geschichte der Arbeiterbewegung sowie gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten von Schriftsteller*innen in einer sich medial rasch wandelnden Welt
Stefan Heym bei einer Buchlesung
Stefan Heym bei einer Buchlesung

Foto: Stefan-Heym-Nachlass

Stefan Heym selbst verstand sich als Erzähler und Publizist, ein «rigoroser Wahrheitsvermesser»[1], der auf die impulsgebende Kraft des Wortes setzte, um die Wirklichkeit transparenter zu machen. Mit seiner scharfzüngigen Publizistik hat er die jeweiligen aktuellen gesellschaftlichen Diskurse begleitet und sich kontinuierlich eingemischt, zuweilen unter dem Motto, dass es notwendig ist, «zu rufen, auch wenn es scheint, als ob nichts als Wüste um einen herum ist».[2] Dem wiederholt geäußerten Vorwurf, seine Bücher seien zu oft mit reportagehaften Elementen versehen und im Grunde lediglich epische Umsetzungen aktueller Themen, begegnete er mit eher amerikanischer Lässigkeit:

«Alltagsliteratur ist unter den Gattungen der Literatur ungefähr das, was die Infanterie unter den Waffengattungen ist: Ohne Infanterie ist es aber unmöglich, einen Krieg zu gewinnen.»[3]

Sein 1972 in der DDR veröffentlichter Roman «Der König David Bericht» ist eine Abrechnung mit dem Stalinismus und zwei Jahre später kann Heym seine Bücher nur noch in westdeutschen Verlagen veröffentlichen. In den 80er-Jahren engagiert er sich zunehmend in der Bürgerrechtsbewegung der DDR. Nur wenige Tage vor dem Fall der Berliner Mauer hält er am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz eine seiner wohl bekanntesten Reden seines Lebens.

In der wiedervereinigten Bundesrepublik kämpft er nun für eine politische Alternative zum gesamtdeutschen Kapitalismus. «Ich bin gegen den Alleinvertretungsanspruch der Westdeutschen Politikerkaste – sie macht mich politikverdrossen!», sagt er einmal.

Erstmals kommt – vier Jahre nach der deutschen Vereinigung – ein Abgeordneter aus den ostdeutschen Bundesländern zu Wort. Stefan Heym hat als Parteiloser auf der offenen Liste der PDS kandidiert und ein Direktmandat erlangt. Der 81-Jährige ist der älteste Abgeordnete des 13. Deutschen Bundestages. Nach der Geschäftsordnung und der Tradition eröffnet Stefan Heym als Alterspräsident die erste Sitzung.

Unverdrossen hing Heym auch in den letzten ihm verbleibenden Jahren nach 1990 der Idee einer sozialistischen Utopie an, die er gegen alle Zumutungen des «real existierenden Sozialismus» verteidigte. Gleichsam vermächtnishaft wandte er sich 1998 mit dem Roman «Pargfrider» der Frage zu, was von den großen Ideen der Menschheitsbefreiung übrig geblieben ist, was aus dem versprochenen Menschheitswohl, das zu erreichen das 20. Jahrhundert angetreten war. Der Blick von Pargfrider, dem «Fetzentandler» am österreichisch- ungarischen Hofe, richtet sich zwar auf die Französische Revolution, aber es ist erkennbar auch der etwas wehmütig daherkommende Blick des Autors Stefan Heym auf die Tragödien und Komödien, auf die Kämpfe und die Resignation, den Aufbruch und die Desillusionen des Jahrhunderts. Im Buch und in der Wirklichkeit hat Pargfrider seine Lebensbilanz mit einem Freimaurerspruch ausgedrückt, der in seiner Gruft zu lesen ist:

Ihr glaubt, die Zeit vergeht!/ Toren!/ Weil ihr‘s nicht versteht!/ Die Zeit steht!/ Ihr vergeht!

Am 16. Dezember 2001 starb der unbequeme Denker, Schriftsteller und Politiker Stefan Heym im Alter von 88 Jahren in Israel.

«Seine Romane und Essays und kritischen Wortmeldungen zum Zeitgeschehen machten Stefan Heym zu einer ebenso umstrittenen wie verehrten literarischen Persönlichkeit», schreibt Therese Hörnigk in dem von ihr 2013 herausgegeben Buch «Ich habe mich immer eingemischt». Diesen Titel hat sie bewusst auch für die aktuelle Ausstellung gewählt. Die Literaturwissenschaftlerin macht mit der Publikation Erinnerungen von Freund*innen und Weggefährt*innen aus Literatur, bildender Kunst, Wissenschaft und Politik zugänglich: Egon Bahr, Lothar Bisky, Annekatrhin Bürger, Daniela Dahn, Gunnar Decker, Gregor Gysi, Fritz Pleitgen, Bettina Wegner – um nur einige wenige zu nennen – 52 Personen erinnern sich mit sehr unterschiedlichen Perspektiven an Stefan Heym.

Die Erstellung der Publikation wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Die Erinnerungen werden von bis dahin unveröffentlichten Fotodokumenten ergänzt und ermöglichen in ihrer Vielfalt einen neuen Blick auf das Leben und Schaffen Stefan Heyms.

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[1] Joochen Laabs zit. nach: Ich habe mich immer eingemischt. Erinnerungen an Stefan Heym, hrsg. von Therese Hörnigk, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2013, S. 85.

[2] Heym, Stefan: Stalin verläßt den Raum. Politische Publizistik, hrsg. von Heinfried Henniger, Reclam, Leipzig 1990, S. 304.

[3] Ebd.

27.03.2023, 14:14

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