Zurück zur Natur

Interview Ernst Paul Dörfler spricht über die Vorzüge eines Lebens als Selbstversorger und den persönlichen Freiraum, der hierbei entsteht. Er erklärt außerdem, wie leicht sich persönlicher Konsum einschränken lässt und welche Gewinne wir damit machen können
Zurück zur Natur

Foto: MARCO BERTORELLO/AFP via Getty Images

Lieber Herr Dörfler, im Juli erscheint Ihr neues Buch Aufs Land! Wege aus Klimakrise, Monokultur und Konsumzwang – ein Thema, das Menschen bewegt. Verstädterung war jahrzehntelang der große Trend. Laut einer aktuellen Studie würden 35 Prozent der Städter derzeit lieber auf dem Land leben. Was hat Sie zu Ihrem Plädoyer für das Landleben bewegt?
Das Leben in der Stadt hat viele Vorzüge, aber eben auch Nachteile, wie stressige Enge, Lärm und schmutzige Luft. Vor allem aber fehlen in den deutschen Großstädten zwei Millionen bezahlbare Wohnungen, während fast ebenso viele Wohnungen im ländlichen Raum leer stehen, trotz niedriger Wohnkosten. Wo liegt das Problem? Es mangelt an Arbeitsplätzen und die vorhandene Arbeit wird schlecht entlohnt. Dabei ist der ländliche Raum systemrelevant: Er versorgt die Städte mit Nahrung, mit Rohstoffen, mit Erholungsräumen, mit frischer Luft und sauberem Trinkwasser. Mehr noch: Wenn wir die größten Herausforderungen der Menschheitsgeschichte lösen wollen, brauchen wir intakte ländliche Regionen, denn der Klimaschutz, die Energiewende, die Agrar- und Ernährungswende und die Bewahrung der biologischen Vielfalt sind ohne ein starkes Engagement im ländlichen Raum nicht zu stemmen. Ohne Land stirbt die Stadt. So wie die Care-Berufe in der Stadt aufzuwerten sind, braucht es auch auf dem Land Green-Care-Jobs, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern. Es gibt viele gute Gründe sich für ein Leben auf dem Land zu entscheiden, darunter die Sehnsucht nach einem ursprünglichen Lebensgefühl in einem überschaubaren Umfeld.

Sollen jetzt, ganz salopp gefragt, alle Städter aufs Land ziehen oder kann man Natur auch in der Stadt finden?
Zunehmend entscheiden sich Städter für ein Landleben, denn mit der Etablierung von Homeoffice ist es egal, wo man wohnt. Dennoch braucht es lebenswerte Städte mit mehr grün-blauer – statt grauer – Infrastruktur. Wir alle und ganz besonders unsere Kinder benötigen für ihre gesunde Entwicklung Gärten und Grünanlagen, Blühwiesen und Wasserflächen, um mit der Natur in Kontakt zu treten. Ich plädiere für mehr öffentlichen Raum für zwischenmenschliche Begegnungen im Freien ohne Abgase und ohne Verkehrslärm. In vielen europäischen Städten beweisen die entstehenden Öko-Viertel, dass es keine Utopie sein muss, Natur in die Stadt zu holen und gleichzeitig Ressourcen zu schonen. Soziale wie ökologische Dorfstrukturen können auch in Städten Einzug halten. Wie wäre es mit „Dorfbrunnen“ und „Tanzlinden“ als Treffpunkten?

Sie zeichnen ein Bild der verheerenden Entwicklungen, die die Natur und die Gesundheit von jedem Einzelnen bedrohen. Einen Ausweg sehen Sie in der Annäherung an die Natur und ein Leben mit weniger Konsum. Sie nennen Reduktion als ersten Schritt, um sich unabhängig zu machen und umzudenken. Wie kann der Einzelne damit beginnen?
Der massenhafte Konsum ist billiger Ersatz für echtes Naturerleben – ein Ersatz, der uns und unserer Erde teuer zu stehen kommt. Die naturfremde Lebensweise macht nicht nur uns selbst, sie macht auch unseren Planeten krank. Immer mehr Menschen leiden unter neuartigen körperlichen und psychischen Krankheiten während die Erde im Klimafieber liegt. Wir erkennen zunehmend, dass permanentes Wirtschaftswachstum ähnlich negativ wirkt wie permanente Gewichtszunahme. Wir leiden mehr am Überfluss als am Mangel materieller Güter. Dennoch lassen wir uns zu immer mehr Konsum verführen. Aber macht es uns glücklicher? Ich finde mein Glück in der Reduktion von Verbrauch und Lebensgeschwindigkeit. Weniger zu konsumieren heißt auch weniger arbeiten zu müssen. Für mich ist das kein Verzicht, sondern ein Gewinn an frei verfügbarer Zeit, an Leichtigkeit, an Lebenszufriedenheit und an Gesundheit. Jeder hat die Freiheit für sich zu entscheiden, was er auf die Streichliste setzen möchte. Das Beste daran ist: Man kann sofort damit beginnen. Reduzieren wir unseren Konsum und damit unseren Energie- und Rohstoffverbrauch, schonen wir nicht nur unser Klima, wir entlasten auch unsere Kinder von der späteren Tilgung angehäufter Schulden. Es ist Fakt: Den größten Teil unserer Krisen verursacht unser maßloser Konsum. Die Wirtschaft produziert, was nachgefragt wird. Mir persönlich verschafft es eine tiefe Befriedigung, von Jahr zu Jahr weniger Ressourcen in Anspruch zu nehmen und dafür mehr Souveränität zu gewinnen.

Ihr Buch benennt die Zusammenhänge und Aufgaben im Naturschutz, aber es ist gleichzeitig auch persönlich in seinen Lösungswegen. Wie war das damals, als Sie zu DDR-Zeiten die Entscheidung trafen, ihren sicheren Job aufzugeben und auf dem Land unabhängig zu leben?
Ich hatte einen wahnsinnig aufregenden Job in der DDR. Ich hatte Zugang zu allen möglichen Daten, um die Umweltbelastungen zu bewerten und darüber landesweite Umweltstudien zu verfassen. Ich genoss einen großen Erkenntnisgewinn, doch alle Umweltinformationen über Schadstoffe im Wasser, in der Luft und in der Nahrung waren striktes Staatsgeheimnis. Nichts durfte an die Öffentlichkeit, bei Verletzung der Geheimhaltung drohten unkalkulierbare Strafmaße. Ich litt unter dem verordneten Maulkorb und schmiss hin. Für die Staatssicherheit stand ich als „freier Vogel“, gepaart mit meinem Umweltwissen, unter dem Verdacht, „einen Zusammenschluss zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele“ herbeizuführen, um „negativ gegen die Natur- und Umweltschutzpolitik der DDR aufzutreten“. Mit hohem Aufwand an Überwachungstechnik wurde ich bis in die Privatsphäre verfolgt. Den Umfang der Observation konnte ich nicht erahnen, witterte aber die Gefahr. Die Rettung suchte ich mit meiner jungen Familie in einem Leben auf einem kleinen Dorf am Rande eines Naturschutzgebietes. Mit einem hohen Maß an Selbstversorgung entstand so ein persönlicher Freiraum, um an Büchern zu arbeiten, darunter Zurück zur Natur?.

26.07.2021, 09:53

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