Vorwort
Ein sonniger Tag vor etwa 300 000 Jahren. Eine offene Savannenlandschaft mit Waldinseln, ein Fluss, eine Büffelherde, im Hintergrund das Schwarzdunkel von Urwald. Schon vor einer ganzen Weile hatten wir uns von unseren gemeinsamen, affenartigen Vorfahren getrennt und waren unter dem Label »Homo sapiens« auf den Beinen.
An jenem sonnigen Tag also – vielleicht hat es auch geregnet – stellte ein Exemplar dieser neuartigen Säugetierart zum ersten Mal eine Frage. Dieser Urmensch wusste damals nicht, dass das, was er soeben von sich gegeben hatte, eine Frage war. Aber er merkte sofort, dass diese Silben eine viel stärkere Kraft entfalteten als alles bisherige Grunzen, das »Stein« oder »Baum« oder »dort« bedeutete. Vielleicht war es eine simple Frage, ein »Wo?« oder ein »Was?«. Vielleicht war es eine größere Frage: »Wer bist du?«
Sofort war klar, dass Fragen etwas völlig Neues vermochten: Fragen stießen Türen auf, Türen zu einem größeren Universum. Plötzlich war alles, was da war – die Landschaft, der Urwald, der Fluss, der Himmel, die anderen Wesen – , nicht mehr einfach gegeben. Man konnte die Dinge infrage stellen, begreifen, umdenken.
Von jenem Tag an durfte man diese neue Säugetierart als »Mensch« bezeichnen. Die Fähigkeit, Fragen zu stellen, macht den Menschen zum Menschen. Keine Pflanze schafft das, kein Tier, auch keine künstliche Intelligenz.
Fragen sind turbogeladene Sätze. Sie beschleunigen das klare Denken. Sie machen weiser. Manchmal sind sie wie Handgranaten; sie zertrümmern Denkmuster. Vor allem aber sind Fragen die Wegbereiter einer immer neuen Welt.
Fragen sind meine Leidenschaft. Im Jahr 2007 schrieb ich mein erstes Fragebuch Wer bin ich?. 2014 folgte der Band Fragen an das Leben.
In den letzten zehn Jahren habe ich anderes geschrieben: Romane, Aphorismen, Sachbücher. Doch nichts macht mir mehr Freude, als Fragen zu erfinden.
Da ich ein bisschen älter geworden bin, hat sich der Charakter meiner Fragen leicht verändert. Nun sind es Fragen aus der Mitte des Lebens und für die Mitte des Lebens.
Dieses Buch ist das Gegenteil eines Page-Turners. Nehmen Sie sich Zeit bei der Lektüre. Ruhen Sie bei den einzelnen Fragen aus, bevor Sie zur nächsten hüpfen. So haben Sie am meisten davon. Ja, jetzt sind Sie gefragt.
Viel Vergnügen
Rolf Dobelli, 2025
Sehen Sie in Ihrer Lebensgeschichte noch einen roten Faden?
Möchten Sie als Sie selbst wiedergeboren werden?
Gesetzt den Fall, Sie hätten Ihren Mann / Ihre Frau durch einen Vermittler kennengelernt. Rückwirkend betrachtet: Welches wäre eine angemessene Provision gewesen?
Glauben Sie, dass Gott die Erschaffung der Welt geplant hat – das heißt, der Punkt stand auf seiner To-do-Liste? Oder ist anzunehmen, dass es sich um einen mehr oder weniger spontanen Einfall handelte?
Fällt es Ihnen schwer, über Ihr früheres Leben zu sprechen?
Wäre es für Sie eine Erleichterung, wenn man den Sinn des Lebens ab sofort online bestellen könnte?
Wenn Ihr Grab dereinst aufgehoben werden wird, um Platz für neue Gräber zu schaffen, was gemäß jeder Friedhofsordnung der Routine entspricht: Wen wünschen Sie sich als Ihren Nachfolger, bzw. wen würden Sie als Ihren Nachfolger nicht akzeptieren?
Wie viel inneren Frieden brauchen Sie, damit Ihnen der äußere egal ist?
Was passiert öfter in Ihrem Leben?
a) Sie verpassen die Einfahrt
b) Sie verpassen die Ausfahrt
Bald wird es möglich sein, Neandertaler aus den Genen zu klonen. Falls das gelingt, wohin gehört das Neandertaler-Baby?
a) In den Zoo
b) In ein Labor
c) In eine Gastfamilie
Falls sie c) gewählt haben: Würden Sie das Kind aufnehmen?
Was wären Sie bereit, für eine Lampe zu bezahlen, die Dunkelheit erzeugt?
Angenommen, Sie hätten den Auftrag, ein neues Testament zu schreiben:
was müsste drinstehen?
Stichworte genügen.
Haben Sie sich von Gott in gegenseitigem Einvernehmen getrennt?
Hätten Sie eine größere Bedeutung verdient?
Reisen Sie eher, um zu sich selbst zu finden oder um von sich selbst wegzukommen?
Würden Sie von einer fairen Welt profitieren?