Hochgradig amüsant

Leseprobe In seiner Autobiografie führt McGee die Leser in die Szenerie des hedonistischen Labels, von provozierten Randalen um „The Jesus And Mary Chain“, dem unerschütterlichen Glauben an seinen Freund Bobby Gillespie und der Eroberung der Welt durch „Oasis“
Kevin Shields von „My Bloody Valentine“.
Kevin Shields von „My Bloody Valentine“.

Foto: Larry Busacca/Getty Images

Vorwort

Alan McGee verdanke ich die erste Dienstreise meines Lebens. Eine PR-Agentur hatte als Köder für deutsche Journalisten einen »Tag mit Alan McGee« in London ausgeheckt, selbstverständlich »exklusiv«. Und ich biss begeistert an. Es war Ende der 80er Jahre, ich arbeitete in Hamburg für ein Magazin namens Tempo, das perfekt zu dem schottischen Plattenfirmenboss passte: Beide waren neu im Spiel und fest entschlossen, die bestehenden Verhältnisse aufzumischen.

Dass die Tempo-Chefredaktion die Geschichte damals abnickte ist rückblickend ein kleines Wunder, da Alan McGee in Deutschland völlig unbekannt war, mal abgesehen von den Großstadt-Nerds, die in jenen Jahren auch hierzulande jeden Donnerstag aufgeregt zu den wenigen internationalen Kiosken pilgerten, um sich – so wie ich – britische Fachblätter wie den New Musical Express, Melody Maker oder Sounds zu kaufen. Im kunterbunten Universum, das diese Magazine zelebrierten und das im Kulturbetrieb des englischen Insel­könig­reichs tatsächlich von Bedeutung war, galt McGee als Lichtgestalt, denn mit den großen Aufregungen, die das Popgeschäft letztlich zum Leuchten bringen, jonglierte er so kunstvoll wie nur die Aller­besten der Branche. Zum Beispiel hatte er seine so maulfaulen wie mürrischen Kumpels von The Jesus and Mary Chain, denen er den ersten Bestseller seines Schlafzimmer-Labels Creation-Records zu verdanken hatte, quasi nebenher, mit einem Taschenspielertrick, als Rebellen insze­niert, als die in den Büroräumen der großen und an ihnen interessierten Plattenfirma Warner zu Gast waren. Einer der Knaben hatte, dort müde an einer Wand lehnend, versehentlich ein paar goldene Simply-Red-Platten heruntergerissen. Sie waren da kaum aus der Tür, als McGee befreundeten Journalisten schon steckte, dass die Band das Büro der Firma verwüstet habe, als Protest gegen was-auch-immer, was The Jesus and Mary Chain umgehend auf die Titelseiten der Musikmagazine brachte. Es soll sogar polizei­liche Ermittlungen gegeben haben, behauptete später zumindest McGee.

Fest steht, dass Alan McGee in den ersten Creation-Jahren im Inselkönigreich damals berühmter war als alle Musi­ker seiner Plattenfirma zusammen. Als Beleg dafür dient immer noch der lustige Rumpel-Hit von The Pooh Sticks: »I know someone, who knows someone, who knows Alan McGee quite well.« Kein Wunder, dass McGee zeitweilig als lebensgroße Pappfigur in britischen Plattenläden rumstand. Auch mein Vertrauen in seinen Geschmack war so umfassend, dass ich Platten von völlig unbekannten Bands erwarb, einzig und allein, weil sie bei Creation erschienen waren. Was sich manchmal als Irrtum erwies, oft als Treffer und immer wieder als Sensation. McGee-Ent­de­ckungen wie The House of Love oder The Jesus and Mary Chain waren der Soundtrack meiner Jugend.

Entsprechend erwartungsvoll stieg ich am Flughafen Heathrow in eines der so klobigen wie komfortablen schwarzen Taxis, das mich zu McGees Hauptquartier bringen sollte. Von Google Maps war noch keine Rede und mein Exemplar der damals üblichen »A–Z«-London-Stadtpläne hatte mir klargemacht, das mein Ziel überraschend weitab vom Schuss zu sein schien, irgendwo im grünen Londoner Umland weitab von jeglicher Anbindung ans U-Bahn-Netz. Als der Fahrer schließlich im gefühlten Nirgendwo vor einer chinesischen Wäscherei hielt, war ich überzeugt, dass er sich verfahren haben musste. Nach eini­gem Hin und Her machte er mir deutlich, dass es exakt die Anschrift sei, die ich ihm gegeben hatte, brauste davon und ließ mich etwas ratlos zurück. Ich war bereit, frustriert den Rückzug anzutreten, als ich doch noch die angelehnte Tür rechts neben dem Laden entdeckte und dahinter die schmale, herausfordernd steile Treppe, die zu einem Büro unterm Dach führte – der Heimat von Creation.

Edward – Ed – Ball nahm mich am Eingang unter seine Fittiche. Ein freundlicher, kahlköpfiger Hüne, dessen Platten mit den Television Personalities und The Times ich liebte (und immer noch liebe) und der nebenbei so etwas wie der inoffi­zielle Creation-PR-Mensch war. Eine Menge freundlicher junger Menschen wuselte in dem angemessen chaotisch daherkommenden Großraumbüro herum. Alan McGee hatte selbstverständlich ein eigenes Büro und ebenso selbstverständlich keine Zeit für mich. Als ich mich vorstellte, besprach er sich gerade mit seinem fröhlich-verstrahlten Jugendfreund Bobby Gillespie, rief mir aber zu, dass ich ihn ja später zu einem Termin begleiten könne.

Der Termin, zu dem er mich dann mitnahm, war eine Besprechung in einem Pub bei einem Pint Bier zu Mittag. Zwei verhuschte Typen mit ungesunder Gesichtsfarbe, die aussahen, als würden sie seit Jahren im Keller eines Plattenladens hausen, warteten auf uns. Jungs, die eher nicht wie Stars daherkamen und nach der Veröffentlichung ihrer Debutsingle – einer Neil-Young-Coverversion, die für Aufsehen gesorgt hatte – mit Alan McGee, der sie als Manager beriet, besprechen wollten, wie sie nachlegen könnten. Was er ihnen damals riet, habe ich vergessen, erinnere mich aber daran, dass die beiden voller Ehrfurcht an seinen Lippen hingen. Ein paar gute Ratschläge dürften dabei gewesen sein, denn die zwei machen, als Saint Etienne, immer noch durchaus erfolgreich Musik.

Vermutlich ist Alan McGee ein fabelhafter Geschäftsmann, aber durch die Musik reich zu werden, ist nie sein entschei­dender Antrieb gewesen. Paradiesvögel wie er sind im Musikgeschäft rar geworden. In diesem mittlerweile überwiegend von Bürokraten bestimmten Gewerbe führte Alan McGee die Tra­di­tion legendärer Labelmacher fort, so wie Ahmet Ertegün (Atlantic), Jac Holzman (Elektra), Tony Wilson (Factory Records) oder Daniel Miller (Mute). Allesamt musikvernarrte Egomanen mit einer klaren Vision davon, welche Musik die Welt dringend braucht.

Alan McGee ist ein Romantiker, der seine Rock-and-Roll-Träume in die Realität umsetzen will. Obwohl Creation Records zur Erfolgsgeschichte wurde, setzte er immer wieder auf Musiker, die ihn fast in den Wahnsinn oder Ruin oder beides getrieben hätten. McGee veröffentlichte begeistert Platten, bei denen klar war, dass sie es nicht einfach haben würden, so wie 1999 Kevin Rowlands kontroverses Soloalbum »My Beauty«, das lange als spektakulärer Flop galt und heute als Klassiker gefeiert wird. Der Widerwille dagegen sei nicht nur in den Medien groß, sondern sogar bei den Creation-Mitarbeitern spür­bar gewesen, erinnerte sich der streitbare Exzentriker Rowland mal. Der Einzige, der ihm in jener herausfordernden Zeit un­eingeschränkt den Rücken gestärkt habe, sei Alan McGee gewesen. Mir erzählte McGee mal, dass er dieses Album machen musste, weil Rowland einer seiner Helden gewesen sei. Und als der derangiert und abgebrannt mit dem Plan für diese Platte aus dem Drogenentzug gekommen sei, hätte er einfach nicht ablehnen können.

Wie weit Oasis ohne Alan McGee gekommen wären, ist Spe­kulation. Sie passten jedenfalls in jeder Beziehung perfekt zusammen. Allerdings kam mit den aberwitzigen Erfolgen der Gebrüder Gallagher letztlich auch das Ende von Creation. Und vermutlich war Ed Ball einer der Ersten, der das geahnt hat. Als Oasis 1996 vor 125 000 Menschen im britischen Knebworth ein herrlich größenwahnsinniges Open-Air-Konzert gaben, mus­terte Ball vor der Show in der sogenannten VIP-Area mit wehmütigem Blick den Glamour-Zirkus um ihn herum: Mick Hucknall und Alan McGee kurvten in kleinen Golf-Carts durch das XL-Zelt und Ball flüsterte mir zu, dass das alles irgendwie zu groß geworden sei. Es dauerte nicht mehr lange, bis Creation implodierte: Zu viele Drogen, zu viel Irrsinn, zu viel von allem irgendwie – die Details stehen in diesem Buch.

Danach tauchte McGee für eine Weile ab. Die Gerüchte blieben. Ich liebte immer die Legende, dass er sich von dem Vermögen, das er mit dem Verkauf von Creation gemacht hatte, eine Wohnung im Zentrum von London leisten würde, in der er ausschließlich seine schwarzen Boss-Anzüge aufbewahre. Darauf angesprochen erwiderte er mal, dass er sich daran zwar nicht erinnern könne – die Drogen –, aber dass es auch nicht völlig ausgeschlossen sei. Seitdem sind wir uns immer wieder über den Weg gelaufen – mal geplant, manchmal zufällig. Ich habe vergessen, was mich damals nach Budapest verschlug, jeden­falls staunte ich nicht schlecht, als ich ein Plakat entdeckte, auf dem ein DJ-Set von »Death Disco« angekündigt war. Dahinter verbargen sich McGee und sein Sohn aus erster Ehe, die in einem kleinen, eher runtergerockten Club vergnügt die wenigen Gäste mit Queen- und Clash-Songs beschallten. Ein anderes Mal saß ich frühmorgens, es muss so gegen fünf gewesen sein, allein und übermüdet im Frühstücksraum eines Hotels am Sunset Boulevard, als ein Mann mit Hut und Zeitung herein­spazierte: McGee. Er erzählte, fröhlich aufgedreht wie immer, welche wichtigen Leute er in L. A. treffen müsse, und auf was für aberwitzig exklusive Gästelisten von gerade angesagten Clubs er mich zaubern könne. Schließlich verabredeten wir uns zu einem Spaziergang zu »Tower Records«, einem legendären Plattenladen, der wenige Wochen später für immer dicht­gemacht wurde.

Auf dem Weg dorthin zeigte er mir noch, wo Mark Mothersbough, der Devo-Klangkünstler, sein Studio hat. Es wurde ein kurzweiliger Vormittag, der mir zeigte, dass McGees Liebe zur Musik ungebrochen war.

Auch beruflich kreuzten sich unsere Wege in schöner Regelmäßigkeit, weil McGee immer mal wieder Plattenfirmen startete und versprach, die Branche mit den Turbo-Newcomern, die er am Start hätte, aufzumischen. Und den einen oder anderen Treffer landete er noch.

Allerdings kündigte er auch immer wieder seinen endgül­tigen Abgang an. Mir hat er mehrfach mit ernster Miene mitgeteilt, dass es nun für ihn genug sei mit der Musik und er sich ins Privatleben zurückziehen würde, um sich nur noch um seine Familie zu kümmern. Immerhin zog er deshalb auch mit Frau und Tochter von London nach Wales in ein Haus im idyllischen Nichts. Sein Tatendrang und die Musik holten ihn allerdings immer wieder ein, und schon bald veranstaltete er auch in Wales auf dem Land Konzerte in einer alten, leerstehenden Kirche.

Auch in London ist er wieder unterwegs, managt Bands und betreibt derzeit ein kleines Label, das ausschließlich Vinyl-Singles veröffentlicht: »Just for fun, you know?«, um im nächsten Moment nach Japan zu jetten, wo er für aberwitzige Gagen Platten auflegt: »Was soll ich tun?« Letztlich bleibt die Begegnung mit Alan McGee ein Abenteuer.

Christoph Dallach, Februar 2021.

13.06.2021, 14:00

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