Die Reichen müssen zahlen!

Leseprobe Eine stärkere Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften kann nicht nur der enormen Ungleichheit in unserer Gesellschaft entgegen wirken, sondern ermöglicht uns auch das wichtigste Projekt dieses Zeitalters: die Rettung unserer Lebensgrundlagen
Villen, Yachten, Autos: Mit ihrem ausschweifenden Lebensstil treiben die reichsten Menschen der Welt die CO₂-Emissionen in die Höhe
Villen, Yachten, Autos: Mit ihrem ausschweifenden Lebensstil treiben die reichsten Menschen der Welt die CO₂-Emissionen in die Höhe

Foto: GIUSEPPE CACACE/AFP/Getty Images

Sie möchten also einen Aufstand vermeiden?

Wir schreiben dieses Buch im Sommer des Jahres 2023. Die Welt erlebt eine noch nie dagewesene Serie von Extremwetterereignissen, in den USA als billion-dollar weather bezeichnet, weil sie Schäden in Milliardenhöhe verursachen. Der Zyklon Freddy wütete in Malawi, Mosambik, Madagaskar und Zimbabwe, tötete über 1.000 Menschen und raubte mehr als einer halben Million ihre Heimat. Gigantische Waldbrände fraßen sich durch Kanada, noch in Tausenden Meilen Entfernung verdunkelte ihr Rauch den Himmel. Tödliche Hitzewellen erdrückten Asien, Europa und die Vereinigten Staaten. Erdrutsche vernichteten Leben und Besitz in Brasilien und Ruanda.

Es ließen sich jede Menge weiterer Beispiele anführen. Sie alle machen deutlich: Für Milliarden Menschen überall auf der Welt wird die Lage zusehends schlimmer. Immer mehr von uns müssen erkennen, dass auch unser Leben, unsere Familien, unser Zuhause nicht sicher sind. Jedes neue Jahr beschert uns neue Katastrophen. Und mit jedem Jahr kann die Wissenschaft deutlicher zeigen, dass diese Katastrophen mit dem Temperaturanstieg zusammenhängen, den wir mit unserem ungezügelten Hunger nach Kohle, Öl und Gas auslösen.

Derweil machen Regierungen und Großunternehmen hehre Versprechungen, auf saubere Energien umzusteigen. Sie setzen sich Ziele, die sie nie wirklich zu erreichen erwarten, wenn sie nicht von vornherein so unambitioniert und fern sind, dass sie ohnehin keine Konsequenzen haben. Das Haupthindernis für gleichermaßen ambitionierte wie erreichbare Ziele sind letztlich immer die Kosten. Solange es profitabler ist, fossile Energieträger zu verbrennen als Solarfarmen zu bauen, bietet der Markt keinen Anreiz, damit aufzuhören – umso weniger, wenn klimaschädliches Verhalten auch noch subventioniert wird. Die Regierungen müssen einschreiten. Staatliche Maßnahmen sind zwar erst einmal mit Kosten verbunden. Doch die Investitionen rentieren sich, die Stabilität unseres Planeten und unser aller Wohlstand sind auf sie angewiesen. Wo aber soll das nötige Geld herkommen? Und welche Maßnahmen zu seiner Akquirierung würden eine demokratische Mehrheit finden?

Es ist unvermeidlich, dass diejenigen, die über die größten finanziellen Mittel verfügen, eine größere Verantwortung tragen müssen. Würden sie, die global die größte Verantwortung an der ökologischen Krise tragen, angemessen und fair besteuert, könnten wir die Umstellung unserer Energieversorgung finanzieren. Und wir könnten soziale Unruhen verhindern.

Eine Momentaufnahme der Ungleichheit

Mittlerweile haben die wohlhabendsten Menschen einen so großen Reichtum angehäuft, dass er die politische Stabilität vieler Länder auf der ganzen Welt bedroht. Denn er führt zu massiver ökonomischer, ökologischer und machtpolitischer Ungleichheit.

Während Millionen Menschen durch die weltweite Covid19-Pandemie in die Armut gedrängt wurden, haben sich die Vermögen der zehn reichsten Personen der Welt verdoppelt. Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verfügen heute über 76 Prozent des weltweiten Vermögens. [1]

In Deutschland besitzen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung rund 60 Prozent des Gesamtvermögens, das oberste Prozent etwa 30 Prozent – wovon sie wiederum 60 Prozent geerbt haben, nicht etwa hart erarbeitet. Zu diesem obersten Prozent gehören Sie, wenn Sie ein Vermögen von ungefähr 5 Millionen Euro haben. [2]

Diese Zahlen mögen abstrakt wirken. Vielleicht werden sie greifbarer wenn Sie bedenken, dass der durchschnittliche Monatslohn einer in Vollzeit arbeitenden Person in Deutschland 2021 bei ungefähr 4.100 Euro brutto lag. Stellen Sie sich vor, diese Durchschnittsperson würde überhaupt kein Geld ausgeben.

Sie zahlt keine Miete, keinen Strom, keine Verkehrsmittel. Sie kauft ihren Kindern keine neue Kleidung und zu essen bekommen sie natürlich auch nichts. Dann würde sie immer noch mehr als 20.000 Jahre brauchen, um eine Milliarde Dollar anzusparen, zumindest ohne Zinserträge. Um zu Elon Musk aufzuschließen, der im Juni 2023 über ungefähr 250,4 Milliarden Dollar netto verfügte, müsste sie sich über vier Millionen Jahre solchen Luxus wie Nahrungsmittel verkneifen.

Die extreme und immer schnellere Zunahme der Ungleichheit ist kein historisches Gesetz. Sie ist eine politische Entscheidung. Im Allgemeinen hat die Ungleichheit seit dem Ende des 19. Jahrhunderts abgenommen – zum Teil als Nebenfolge historischer Ereignisse wie der Weltkriege oder der Weltwirtschaftskrise, die die Vermögen der Wohlhabenden dezimierten, zum Teil aufgrund gezielten politischen Handelns. Eines der wichtigsten Instrumente dieses Handelns war eine progressive Steuerpolitik. In der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich viele westliche Länder zu modernen Wohlfahrtsstaaten. Sie machten enorme Fortschritte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Chancengleichheit, und alle profitierten davon. Und diese Fortschritte hingen mit hohen und weiter steigenden Steuersätzen zusammen.

In den 1980er Jahren kehrte sich der Trend um: Im Westen setzte sich eine neoliberale Wirtschaftspolitik durch, die die Steuern senkte und den Finanzsektor deregulierte. Die Zunahme der Ungleichheit von Einkommen und Wohlstand in den meisten Ländern der Welt war ihre Folge. In den USA zeigte sich das besonders drastisch: Das Wachstum des Besitzes der Vermögenden beschleunigte sich, während die Einkommen der Arbeitnehmer:innen weitgehend stagnierten. Und weil Reichtum immer mehr Reichtum erzeugt, konzentrierte er immer stärker an der Spitze der Gesellschaft. Währenddessen stiegen die Lebenshaltungskosten, sodass immer mehr Menschen Schulden machen mussten und sich nur mit Mühe und Not ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Krankenversicherung und Bildung leisten konnten. Von dort war der Weg nicht mehr weit in unsere Gegenwart, in der eine völlig bizarre Aussage wie diese die volle Wahrheit ist: Die 26 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung. [3]

Was hat das alles mit dem Klimawandel zu tun?

Wollen wir die rasante Veränderung unserer Welt verstehen, müssen wir auch die tiefe Ungleichheit verstehen – nicht nur die der Verteilung des Wohlstands, sondern auch die der ökologischen Folgen dieses Wohlstands.

Höhere Einkommen und steigender Wohlstand führen zu mehr Konsum und Ressourcenverbrauch. Reiche haben schlicht einen viel größeren CO2-Fußabdruck. Menschen mit mehr Geld leben in größeren Häusern, die mehr Energie verbrauchen, sie fahren größere Autos, die mehr Sprit verbrauchen, sie reisen mehr in der Welt herum und vor allem investieren sie ihr Geld in schmutzige Industrien.

Von den acht Milliarden Menschen auf der Erde sind 800 Millionen, die oberen zehn Prozent, für fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung verursacht gerade einmal zwölf Prozent dieser Emissionen. [4] Ein krasser Gegensatz, der umso deutlicher wird, wenn wir die Wohlstandsleiter noch weiter hinaufblicken. Das reichste Prozent, das sind rund 77 Millionen Menschen, tragen fast 17 Prozent zu den Treibhausgasemissionen bei. Steigen wir noch ein wenig höher: Die ihrem Nettovermögen nach reichsten 0,1 Prozent der Menschheit, rund 7,7 Millionen Menschen, sind verantwortlich für über sieben Prozent aller CO2-Emissionen – das 70Fache des weltweiten Durchschnitts. Ganz oben schließlich verursachen gerade einmal 770.000 Personen, 0,01 Prozent der Weltbevölkerung, fast vier Prozent der weltweiten Emissionen – mehr als die Industriestaaten Deutschland und Japan zusammen! [5]

Das ist nicht weiter verwunderlich: Die elf Minuten kurzen Weltraumtrips von Richard Branson oder Jeff Bezos im Juli 2021 zum Beispiel setzten insgesamt etwa 300 Tonnen CO2 in der Atmosphäre frei, ungefähr 75 Tonnen pro Passagier. Ein Mensch, der zur ärmsten Milliarde der Weltbevölkerung gehört, braucht für diese Menge ein ganzes Leben. [6]

Wie der Reichtum selbst konzentriert sich also auch die Verantwortung für die Klimakatastrophe massiv an der Spitze der Pyramide.

Und die Reichsten sind nicht nur für den größten Teil der Treibhausgasemissionen verantwortlich, diese nehmen auch noch rasant weiter zu – während die von Gering- und Normalverdienenden verursachten Emissionen in vielen westlichen Ländern sogar zurückgehen. [7] Diesen Luxus gönnen wir uns in einer Zeit, in der die Welt zügig das CO2-Budget verbrennt, das ihr bleibt, wenn wir die Hoffnung nicht aufgeben wollen, die globale Erwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Die globale Temperatur liegt heute schon um mindestens 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau – und die Emissionen nehmen immer weiter zu.

Es ist also überdeutlich, dass die beiden drängendsten Krisen der Menschheit – die ökologische und die soziale – eng miteinander verwoben sind. Die Bewältigung der einen Krise in Angriff zu nehmen, ist unerlässlich, um auch die andere bekämpfen zu können.

Dabei geht es mitnichten darum, die Verantwortung auf die Entscheidungen individueller Verbraucher:innen abzuwälzen. Es geht um die grundlegende Reform eines Systems, das diese extreme Ungleichheit ermöglicht.

04.04.2024, 09:03

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