Die karnevalistische Poetik

Interview Thomas Köck ist als Theaterautor bereits mehrfach für seine Texte ausgezeichnet worden. Nach „the world flames like a discokugel (styx spricht)“ ist „aerocircus“ sein zweites Stück für das RambaZamba Theater. Ein Gespräch mit Frank Raddatz
„Der Karneval sucht nicht als Vehikel nach einer sinnhaften Aussage [...] sondern er ist sich selbst genug“, Theaterautor Thomas Köck
„Der Karneval sucht nicht als Vehikel nach einer sinnhaften Aussage [...] sondern er ist sich selbst genug“, Theaterautor Thomas Köck

Foto: CARL DE SOUZA/AFP via Getty Images

FR: Lieber Thomas, wie kam es zu der Verbindung zum RambaZamba Theater?

TK: Die Zusammenarbeit begann mit einer kleinen musikalischen Lesung. Um den europäischen Rechtsdruck zu dokumentieren, hatte ich mit den Kolleg:innen Gerhild Steinbuch, Jörg Albrecht und Sandra Gugic den Blog Nazis & Goldmund gestartet. Darin veröffentlichten wir wöchentlich Texte. Das RZt kam auf uns zu, um einen dieser Texte in Form einer performativen Intervention zu inszenieren. Die Schauspielerin Stefanie Reinsperger und der Musiker Andreas Spechtl performten dann gemeinsam mit den RZt Spieler:innen einen Text von mir über einen Aufmarsch der Identitären. Die Hausband 21 downbeat hat außerdem noch zwei, drei Songs aus dem Textmaterial gebastelt. Das fand ich ganz großartig – sowohl die Energie als auch das Elektropoparrangement. Mit 21 downbeat habe ich später anlässlich der Buchpremiere von eure paläste sind leer (all we ever wanted) im Roten Salon der Volksbühne ein Konzert gegeben. Als ARTE mich eingeladen hat, einen Beitrag für das Format Square für Künstler beizusteuern, entschied ich mich, einen Kurzfilm mit Hieu Pham, Zora Schemm und weiteren RZt-Spieler:innen zu machen. Mit Andreas Spechtl kam dann noch die Tanz-Séance ghostdance mit einer Technoshow in den Katakomben der Kulturbrauerei hinzu. Zuletzt entstand noch das Stück the world flames like a discokugel (styx spricht), wo ich mit Mateja Meded den Text verfasst habe und Jacob Höhne daraus eine große Show-of-no-Return gemacht hat. Ich finde es jetzt rückblickend krass und gigantisch, was das RZt so alles auf die Beine gestellt hat. Ich liebe diese Energie und Experimentierfreude.
Für mich macht es auch Teil des Zaubers dieses Hauses aus mit welcher Bandbreite dort agiert wird von klassischen Theaterabenden bis zum Genrecrossing. Als ich 2011 nach Berlin kam, ging ich immer wieder in das Haus, weil ich so etwas aus Wien nicht kannte. Ich war von der performativen Qualität begeistert, die ich an dem Haus miterleben durfte. Ich hatte das RZt also zuvor schon als ganz besonderen Ort auf dem Schirm – doppelt schön, dass sich daraus eine Arbeitsbeziehung entwickeln konnte.

Die Darsteller haben definitiv etwas, das kaum artifiziell herstellbar ist, weil es nicht kognitiv vermittelt werden kann. Kommt es zu Veränderungen in deiner Schreibbewegung, wenn du weißt, dass der Text im RZt uraufgeführt wird?

Ich kenn die Spieler:innen jetzt schon besser und kann beim Arbeiten an einzelne Personen denken. Ich weiß, was sie können und was ihnen Spaß macht. Ich schaue, dass die Texte pointierter, kürzer und zugespitzt situativer sind. Das ist sicher auch für andere Texte im eher klassischen Stadttheater gut. Ich habe da aber oft einen anderen Widerstand, weil die Körper natürlich andere sind, weil sie sich anders im Raum bewegen, zum Raum verhalten, sie sind ganz anders trainiert. Aber es ist letztlich auch an anderen Häusern so, dass es gut ist die Stimmung im Haus und die Spielenden kennenzulernen, um gute Texte für die Menschen zu schreiben. Das RZt ist insofern besonders, als es von einem ganz anderen Umgang mit Körperlichkeit und Text als Tool geprägt ist, weil Sprache plötzlich zu einem kaum reproduzierbaren Ereignis wird, wenn sie auf die RZt Spieler:innen trifft. Sie lassen entstehen, was man oft vergeblich sucht. Eine Fremdheit kommt beim Sprechen in die Sprache der Theatertexte hinein, so dass man als Zuschauer wirklich hinhören muss. Aber ohne Anstrengung, nur angezogen von dem Nicht-Repräsentativen und gestischen Sprechen. Ganz unwillkürlich entstehen dort überraschende Sinnzusammenhänge und Lautverschiebungen, die Sprache wird wie von selbst körperlich, was ich als Autor fantastisch finde, weil ich in meinen Texten auch immer ein bisschen gegen Grammatik und syntaktische Regeln arbeite und auf die Materialität der Sprache baue. Diese Lebendigkeit der Materialität beim Sprechen hat mich schon immer besonders fasziniert und die Arbeit im RZt ist oft sehr körperbetont und dynamisch und so bekommt auch die Sprache wie von selbst dort ihre Materialität zurück.

Das Stück aerocircus, das du für das RZt geschrieben hast, ist ganz explizit um das Karnevalistische zentriert.

Beim aerocircus ist klar, dass in einem Zirkus auch körperliches Theater gemacht wird, weil die artistischen Fähigkeiten noch mehr in den Vordergrund treten als in herkömmlichen Settings des Sprechtheaters. Was ich mir oft von Schauspieler:innen an klassischen Stadttheatern wünsche, dass man nicht repräsentativ spricht, sondern dass das sprachliche Material und die Ausdehnung von Lauten und Sound spürbar wird, dass es nicht über den Sinn, sondern über den Sound genommen wird, passiert im RambaZamba. Das verführt zum Karnevalistischen, dem tragenden Moment bei aerocircus. Der Karneval sucht nicht als Vehikel nach einer sinnhaften Aussage oder will angehört werden, sondern er ist sich selbst genug. Es soll keine Botschaft transportiert werden, sondern Sprache und Musik werden zelebriert, weil es sich um einen Präsenz-Akt, ein Ereignis handelt. Dieses ereignishafte Moment, nach dem das Theater eigentlich immer sucht, ist dem RZt schon immer zu eigen, weil die Spieler:innen eine ganz eigene körperliche Präsenz mitbringen. Etwas Vergleichbares künstlich herzustellen wäre auf einer herkömmlichen Bühne mit klassisch trainierten Spieler:innen ein riesiger Aufwand, wenn es am Ende nicht kunstig und angestrengt klingen soll. Im RZt entsteht dieser Präsenzeffekt wie nebenbei und mit ihm ein Zauber des Augenblicks, der das Ganze verschiebt und zusammenhält.

Ungewöhnlich ist wie du den ökologischen Themen Schwung verleihst, in dem in diesem Zusammenhang eine Art Fest-Charakter freilegst.

Ich bin auf die karnevalistische Form gekommen, weil mich die Frage interessiert, wie man in der Moderne Geschichten erzählt, gerade weil die Moderne in sich viel widersprüchlicher ist, als dass man das in Gänze abbilden könnte. Ihre klassische Strategie ist das lineare Erzählen, das in die Held:innenenreise übersetzt wird. Der Versuch einer nichtlinearen Poetik wie ihn zum Beispiel Ursula le Guin mit der Carrier-Bag-Theory-of-Fiction entwickelt, ist in dieser Hinsicht enorm relevant für mein Schreiben. Sie benennt, dass die lineare Poetik ihre Wurzeln in der anthropologischen Grundsituation der jagenden Männer hat, die mit Speer und Beute zurückkommen und die abenteuerliche Geschichte davon erzählen, was da draußen passiert ist. Man braucht, um diese Narration zu erzählen, einen Hirsch, einen Jäger mit Speer und Leute ums Lagerfeuer herum, die dem Jäger zuhören, wie er von seiner großen Geschichte erzählt mit dem Höhepunkt der Erlegung des Wilds. Dieser Höhepunkt der Beute und Ausbeutung passt nicht zufällig wunderbar in unsere Wachstumsgesellschaft. An diese Theorie konnte ich insofern anknüpfen, als dass ich mich immer schon gefragt habe, wie wir auch andere Geschichten erzählt bekommen und worauf wir achten müssen, wenn wir über Ökologie, Wachstums- und Postwachstumsgesellschaften reden. Dagegen will das Karnevalistische als Prinzip nicht wachsen oder sich ausbreiten, sondern einfach stattfinden. Es ist ein Happening und verschwindet dann wieder. Man könnte ihm unterstellen, das am wenigsten nachhaltige Erzählprinzip überhaupt zu sein, gemäß dem Motto: Nach mir die Sintflut. Aber es krallt sich nicht fest. Er tritt auf, macht sinnentleerte Tricks und verschwindet wieder. Das ist dem circensischen Tun genug. Versteckt sich im Karneval eine neue Poetik? Eine neue Art des Geschichtenerzählens, ohne dass an deren Ende eine Reifung oder Eroberung steht, also eine gesteigerte Leistung als Code für Wachstum. Die Literatur ist eines der wenigen Medien, die nicht linear und parallel-episodisch denken muss, sondern sich frei durch Raum und Zeit bewegt. Mich interessieren die Möglichkeiten einer neuen Poetologie, von Erzählstrategien einer Postwachstumsgesellschaft viel mehr als der Warnschrei: „Achtung, die Welt geht unter und fällt uns auf die Füße“ oder die uns von überall anschreienden Ich-Stories, die ja auch oft Wachstumserzählungen sind.

Oft wird in der ökologischen Auseinandersetzung getan, als solle alles beim Alten bleiben nur ohne CO2-Emissionen. Wenn es aber um die Transformation zu neuen Ästhetiken und Geschichten geht, zeigt sich – das Anthropozän hat das Potential für eine Kulturrevolution. Noch tut sich die Gesellschaft unglaublich schwer mit dieser Transformation, weil sie sich durch die Klimakatastrophe gezwungen wird, eine neue Zukunft zu imaginieren, was bedeutet auch eine andere Vergangenheit zu konstruieren. Das Plastik fällt nicht vom Himmel, sondern ist in das kulturelle System mitsamt seinen Wissenschaften eingebettet und geht daraus hervor.

Das Mikroplastik ist nur die Spitze eines kulturästhetischen Eisbergs dieser Gesellschaft und ihrer zivilisatorischer Ausformung. Um das Mikroplastik herum existiert ein ganzes System, das schließlich in solchen Materialien mündet. Dahinter stehen alle Produktionsabläufe, durch die ganze globale Netze an Wertschöpfungsketten aufgebaut werden. Man kann nicht sagen, das System müsse bleiben, aber das Mikroplastik müsse weg. In diesem Zusammenhang ist es das Verdienst des RZt, dass es allein durch die Körperlichkeit die konventionelle Vorstellung von Leistung in Frage stellt. Was gilt in unserer Gesellschaft als normale Leistungsfähigkeit und welche wiederkehrenden Muster und Stereotypen werden in diesen Kontexten virulent? Damit ist ein kaum zu überschätzendes Transformationspotential verbunden.

Thomas Köck (er/ihm), geboren in Steyr, Oberösterreich, wurde durch Musik sozialisiert und studierte Philosophie in Wien sowie Szenisches Schreiben und Film an der Universität der Künste Berlin. Er arbeitete beim theatercombinat wien, war mit einem Dokumentarfilmprojekt über Beirut zu Berlinale Talents eingeladen, war Hausautor am Nationaltheater Mannheim, bloggt mit Kolleg:innen auf nazisundgoldmund.net gegen rechts und entwickelt mit Andreas Spechtl unter dem Label ghostdance konzertante readymades. Für seine Theatertexte wurde er mehrfach ausgezeichnet. Gemeinsam mit Mateja Meded schrieb er für das RZt the world flames like a discokugel (styx spricht). Die Inszenierung in der Regie von Jacob Höhne bedeutet die weltweite Uraufführung der thematischen Verbindung von Klimawandel und Inklusion. Jetzt hat er für das RZt das Stück aerocircus geschrieben.

Dr. Frank Raddatz (er/ihm) gründete 2019 zusammen mit der Meeresbiologin Antje Boetius an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft das Theater des Anthropozän. Neben Inszenierungen dieses Theaters zum Wald, zum Wasser, der Welt unter unseren Flüssen und den Rechten der Natur, veröffentlichte er zahlreiche Texte zur anthropozänen Bühne und deren spezifischen Fragestellungen. Das TdA kooperiert mit unterschiedlichen Wissenschaftsinstitutionen und seit 2022 mit dem RambaZamba Theater. Er ist Dramaturg der Produktion aerocircus.

28.11.2023, 13:18

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