„Ich hatte das Keyboard die ganze Zeit dabei“

Interview „Diese Frau bringt die Leinwand zum Beben!“, so titelte 2007 die VARIETY über Hannah Herzsprungs fulminantes Debüt in „Vier Minuten“. Die Fortsetzung ist eine existentielle Tour de force des hochaggressiven, hochbegabten Wunderkinds Jenny von Loeben
Hannah Herzsprung und Hassan Akkouch in „15 Jahre“
Hannah Herzsprung und Hassan Akkouch in „15 Jahre“

Foto: Dor Film-West/Four Minutes Filmproduktion/Wild Bunch Germany

In Ihrem neuen Film, der eine Art Fortsetzung von Vier Minuten ist, kommt die von Ihnen verkörperte Figur der Mörderin Jenny nach 15 Jahren aus dem Gefängnis frei. Hatten Sie auch als Schauspielerin das Gefühl, dass in Ihnen diese Figur noch festsitzt, die Sie viele Jahre zuvor so bravourös gemeistert hatten?

Damals, 2005, als ich für die Jenny besetzt wurde, war das meine erste Hauptrolle. Ich war sehr jung, beim ersten Casting gerade mal 21. Ich studierte in Wien eigentlich Filmwissenschaft und bewarb mich fürs Casting so nebenbei. Das Erlebnis der Dreharbeiten war überwältigend und hat in mir den Wunsch ausgelöst: Ich möchte für immer Schauspielerin sein. Aber dennoch hatte ich die Jenny danach auch abgelegt. Und das war glaube ich gut so, weil ich damals rein intuitiv gespielt habe und von Chris auch sehr geführt wurde und mich entsprechend behütet fühlte. Ich habe mich in den Jahren danach natürlich emanzipiert und vermutlich auch deshalb die Jenny losgelassen, auch um nicht in dieser Kategorie der schwierigen Rebellin zu verharren.

Das ist interessant, weil Chris Kraus behauptet, dass Sie die Jenny sofort bei den ersten Improvisationen zu 15 Jahre per Fingerschnippen hervorzaubern konnten. Er spricht davon, dass Sie immer noch die „Jenny-bones“ hatten.

Das freut mich, dass er das so empfindet, aber ich war eigentlich unsicher. Vielleicht aber hatte es damit zu tun, dass die Arbeit mit Chris bei meinem ersten Film auch so prägend gewesen war. Und als wir uns dann in dieser Arbeitsatmosphäre nach diesem riesigen Zeitsprung wieder begegneten, war vielleicht plötzlich alles wieder da – obwohl noch Minuten vorher alles verschwunden schien. So wie beim Fahrradfahren, das man auch nie verlernt, auch wenn man zwanzig Jahre nicht mehr im Sattel saß. Ich habe auch ein enormes Vertrauen zu Chris, weil er eben ein auf das Spiel fokussierter Regisseur ist.

Was heißt das denn genau? Was bedeutet es für Ihre Arbeit, wenn ein Regisseur vorwiegend auf das Spiel fokussiert ist? Ist das nicht immer so?

In dieser Absolutheit seltener, als man denkt. Zum einen gibt es auch viele Regisseure, die über die Technik und das Visuelle inszenieren, also über die Kamera. Bei Regisseurinnen ist das vielleicht nicht so häufig. Andere wiederum machen Konzeptfilme über Choreographien im Raum oder haben dokumentarische Ansätze oder lassen die Darstellerinnen ganz frei agieren. Und im TV-Bereich ist sowieso nur sehr wenig Zeit für die Schauspielerei. Jemand wie Chris oder beispielsweise auch Dominik Graf kommen zum einen über die Präzision und die extrem gute Vorbereitung. Zum anderen sind diese Art Regisseure auch leidenschaftlich am Spiel des Casts interessiert. Chris probt im Vorhinein viel. Er schaut unglaublich genau zu, ihm entgeht wenig. Aber vor allem gibt es eine Übereinstimmung zwischen seiner Body language, die äußerst leicht lesbar ist, und dem, was er sagt und verbal analysiert.

Was heißt das?

Na ja, Darstellende sind darauf geeicht, das Gegenüber genau zu beobachten. Das ist ein Muskel, auf den man in unserem Beruf trainiert ist, damit man beispielweise in jedem Moment des Spiels auf unerwartete Aktionen des Ensembles reagieren kann. Und Body Language lügt nie. Wenn man als Schauspielerin also auf einen Regisseur trifft, bei dem die Body language sagt, mir hat das gar nicht gefallen eben, was probiert wurde, der aber dann einen anlächelt und sagt, super gemacht, du bist echt eine Granate, dann ist das nicht sehr vertrauenerweckend. Bei Chris stimmen Körpersprache und verbale Sprache beim Inszenieren immer überein. Das ist eine sehr gute Grundlage für eine Zusammenarbeit.

War die Vorbereitung für 15 JAHRE für Sie denn genauso mörderisch wie damals für VIER MINUTEN, als Sie ein ganzes Jahr Klavierspielen lernen mussten?

Diesmal war es härter, weil die Finanzierung des Films sich immer weiter verzögerte. Die Pandemie, Förderungen, die nicht kamen, viele Unsicherheiten. In den ganzen Jahren musste dennoch die Figur auf einen möglichen Dreh vorbereitet bleiben. Allzeit bereit sozusagen. Und natürlich drohte aufgrund verschiedenster Krisen auch ständig der Zusammenbruch des Projekts. Was die musikalische Vorbereitung betraf, so hatte ich über einen jahrelangen Zeitraum einmal in der Woche Piano-Unterricht. Ab vier Monate vor Drehstart siebenmal die Woche. Mehrere Stunden am Tag. Und auch während des Drehs. Ich hatte das Keyboard die ganze Zeit dabei. Im Trailer. Im Hotel. Im Auto. Am Set. Und der Klavierlehrer gehörte zum Produktionsteam. Jeden Morgen hat er mit mir die Stücke geübt. Und vorher war eine Stunde Work Out. Damit hatten wir ein halbes Jahr vor Dreh sehr intensiv begonnen.

Warum das?

Jenny sollte durch und durch aus Muskeln bestehen. Ihre Routine, um das Gefängnis zu überleben, ist Kraftsport. Wir hatten zunächst überlegt, dass die Jenny wie Charlize Theron in Monster 10 Kilogramm Übergewicht hat. Ich hatte schon angefangen, mich mit einem Coach ernährungstechnisch darauf vorzubereiten. Aber am Ende haben wir es gegen die Muskelvariante eingetauscht, und ich musste wieder abnehmen.

Und Singen haben Sie auch gelernt.

Ja, nicht zum ersten Mal für einen Film. Chris sagte einmal, er habe noch nie so viele Coaches in der Vorbereitung gehabt. Ich hatte alleine zwei Gesangslehrerinnen, den Klavierlehrer, die Fitnesstrainerin, einen Body Coach, die Stuntberater.
Auch Albrecht Schuch musste Singen lernen und Tanzen und Gitarrespielen. Und Hassan Akkouch hatte eine Sprachtrainerin für den Palästinenserakzent, und ebenso einen Gesangslehrer und noch jemanden, der ihn in das Tragen einer Armprothese einwies. Wir hatten auch eine Choreographin natürlich für die Bühnenauftritte. Dann war immer ein VFX-Koordinator am Set. Der Film hatte im Vergleich zu VIER MINUTEN jedenfalls noch einmal einen ganz anderen Bedarf an Vorbereitung und auch an Ausstattung.

Meinen Sie mit Ausstattung die Szenographie oder Kostüm und Maske?

Alles. Beispielweise trugen meine sämtlichen Kolleginnen und Kollegen Perücken, ich ja auch zum Teil mit meiner Narbe über dem Ohr. Dazu hatte ich ein aufwendiges Tattoo an der Hand. Albrecht bekam eine unglaubliche SFX-Glatze. Adele Neuhauser hatte plötzlich silbriges Haar. Und Steffi Reinsperger musste mit so einem künstlichen Gebiss sprechen. Wirklich großartig sah Christian Friedel mit seinem Zöpfchen aus. Und Hassan Akkouch hatte Haare, die ins Gesicht fielen und mich am ersten gemeinsamen Drehtag total irritierten, weil ich seine Augen kaum sehen konnte. Es war jedenfalls jeden Tag in der Maske unglaublich viel los, weshalb wir auch drei leitende Make-Up-Artists hatten.

Das wissen Sie vermutlich, weil Sie auch Koproduzentin des Films sind?

Ich weiß es vor allem, weil ich jeden einzelnen der 48 Drehtage am Set stand und vier Jahre den Film mit durchgekämpft habe. Den Titel der Koproduzentin haben mir Chris und die anderen Produzenten als Dankeschön angeboten, und weil ich auch die TV-Finanzierung mit angeschoben habe. Ich fand es allerdings sehr interessant, einen so intensiven Einblick in die Produktionsabläufe zu bekommen. Nur während des Drehs konnte ich damit nichts anfangen. Es hätte einfach komplett die Konzentration gestört.

07.01.2024, 19:14

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