„Die Geschichte entspricht keinen Klischees“

Interview Die Regisseurin Maggie Peren im Gespräch über die Romanvorlage zum Film, die Arbeit mit den Schauspieler:innen und was sie an der Geschichte des Cioma Schönhaus fasziniert hat
„Wichtig war es mir, keine Überlebensgeschichte zu erzählen, sondern eine Geschichte über das Leben“ - Maggie Peren
„Wichtig war es mir, keine Überlebensgeschichte zu erzählen, sondern eine Geschichte über das Leben“ - Maggie Peren

Foto: X-Verleih

Verleih: Wie wurden Sie auf die Lebensgeschichte von Cioma Schönhaus aufmerksam?

Maggie Peren: 2007 bekam ich sein autobiografisches Buch „Der Passfälscher“ auf den Tisch und war fasziniert von der Genauigkeit und der Leichtigkeit, mit der Cioma Schönhaus seinen Alltag in Berlin zu Beginn der 40er Jahre beschreibt. Als könnte man bei den Menschen an die Tür klopfen und sie würden öffnen. Er ging in Restaurants essen, umringt von Nazi-Funktionären. Der echte Cioma war sogar in Hitlers Stammlokal, dem „Kaiserhof, mit Freunden von der Marine unterwegs...

Ich liebe ja die Gedichte von Mascha Kaléko und Ciomas Tonalität ist genau wie ihre Gedichte: So frech und dem Leben zugewandt.

Dieser junge Mann, der im Untergrund Pässe fälscht und in seiner Freizeit das Leben in der Öffentlichkeit verbringt, hat mich so gefesselt, ich begann abends das Buch zu lesen und war um fünf Uhr morgens fertig und ich konnte es nicht glauben, dass es über diese Person noch keinen Film gab. Bald darauf erschien ein Artikel der New York Times, in dem Ciomas autobiographischer Bericht sehr gut besprochen wurde. Danach hat erst mal Hollywood wegen der Rechte angeklopft und es dauerte ein paar Jahre, bis ich wieder ins Spiel kam.

Ich denke, dass es für Amerikaner schwer war, die Mitte der deutschen Gesellschaft so zu greifen. Ciomas Roman zeigt ja keine Nazigrößen, keine direkten Täter. Wahrscheinlich muss man in Deutschland groß geworden sein, um vieles wirklich in der Tiefe zu verstehen.

Was hat Sie an „Der Passfälscher“ fasziniert, warum wollten Sie Cioma Schönhaus‘ Geschichte auf die Leinwand bringen?

Als ich das Buch gelesen habe, fand ich es umwerfend, dass es nie dogmatisch ist, sondern immer voller Verwunderung wie sich Menschen verhalten, wenn die Luft eng wird. Cioma agierte immer aus einer riesigen Lebensfreude heraus und er war immer ein freier Geist. Auch wenn er keine Freiheiten mehr hatte, ist er im Kopf frei geblieben. Cioma wollte sich seinem Schicksal nicht einfach ergeben, sondern es selbst in die Hand nehmen. Wobei er selbst von sich immer gesagt hat, dass er ein unglaublicher Glückspilz war.

Die Geschichte von Cioma ist für mich deswegen so erzählenswert, weil sie keinen Klischees entspricht. Es wurden so viele Stereotype über „den Juden“ verbreitet, da fand ich es großartig, dass Cioma in seinem Handeln, Denken und Sein diesen Bildern nicht entspricht.

Wichtig war es mir, keine Überlebensgeschichte zu erzählen, sondern eine Geschichte über das Leben. Über den Alltag in Berlin, den Antisemitismus und Rassismus, aber auch über die Freuden des Alltags – der erste Kuss, das erste Verliebtsein, die erste Trennung, der beste Freund, mit dem man durch die Nacht zieht.

Für Das Drehbuch zu Dennis Gansels „Napola – Elite für den Führer“ wurden Sie mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Nun kehren Sie nach mehr als 15 Jahren erzählerisch in diese Ära zurück. Wie hat sich Ihr Blick auf diese Zeit verändert?

Eigentlich alles. Wir leben in einer Zeit, in der Antisemitismus auf einmal wieder salonfähig wird. Das erschreckt mich schon sehr. Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass Donald Trump Rassismus salonfähig gemacht hat. Die vier Jahre Trump haben unsere Welt extrem verändert.

Die Figur von der Nachbarin Frau Peters in ihrer extremen Art wäre vor fünf Jahren nicht möglich gewesen, zumindest hätte ich sie so nicht schreiben können. Sie ist derart schamlos, da dienten einige Populisten, auch aus unserem Land, auf jeden Fall als Vorlage.

Was empfinden Sie dabei, wenn Sie sich Filme über die Zeit im Dritten Reich oder den Zweiten Weltkrieg anschauen? Was wollten Sie bei Ihrem Film anders machen?

Cioma hat immer gesagt: „Krieg ist für jeden Beteiligten unfassbar grausam.“ Die Meinung teile ich. Auch ich mag keine Geschichten über Sadisten erzählen. Viele Stoffe über die NS-Diktatur und den Krieg zeigen Folter und roheste Gewalt. Dafür will ich als Filmemacherin aber keine Plattform bieten. Gewalt und Folter sind ehrlich keine Themen von mir. Ich zeige Menschen in ihrer Ambivalenz, in ihren Widersprüchen und Sehnsüchten. Vor allem aber in ihren Sehnsüchten. Mich interessiert Nähe mehr als Distanz, Liebe und Sehnsucht mehr als Ablehnung und Illusion. Und ich zeige auch, wie ein junger Mensch in dieser Zeit trotz Schikane und Verfolgung gelebt hat.

Wie nähert man sich einer solch unglaublichen Lebensgeschichte? Wie wird man ihr gerecht? Und wie haben Sie den richtigen Tonfall gefunden, der sich ja deutlich von anderen Filmen über diese Zeit unterscheidet?

Aus Ciomas Buch ließen sich zehn Serien und zwanzig Spielfilme machen. Joscha Schönhaus, Ciomas Enkel (der im Film übrigens Walter Heymann spielt, der in der Waffenfabrik an der Drehbank neben Cioma steht), war ganz erstaunt, als er den Film gesehen hatte, dass ich nicht mehr zeige, wie Cioma ständig seine Angst überwinden musste.

Doch über Angst hat Cioma mit mir fast nie gesprochen. Vielleicht liegt es daran, dass ich Cioma als alten Mann kennengelernt habe. In den Gesprächen mit Cioma hat man deutlich gespürt, wie schwer der Verlust der Eltern, der Freunde und des Heimatlandes wiegen. Als ich das erste Mal in Basel bei Cioma war und wir in sein Arbeitszimmer gegangen sind, hat ihm seine Frau selbstverständlich zwei Packungen Taschentücher auf den Schreibtisch gelegt. Und die hat er auch gebraucht, weil ihm am Anfang der Treffen oft die Tränen kamen. Aber danach kam auch immer eine sehr freche, extrem witzige Seite von ihm zum Vorschein. Er war ja bis ins hohe Alter extrem jugendlich. Man konnte förmlich spüren, wie er als junger Mann das Leben geliebt hat, aber auch Berlin, das war seine Stadt und Deutschland war sein Heimatland. Obwohl er mit seinen Eltern Russisch und mit seiner Großmutter Jiddisch gesprochen hat, war Deutsch die Sprache in der er gelebt und geträumt hat. Letztlich habe ich aber bei aller Leichtigkeit, die ich in Ciomas Alltag aufzeigen wollte, einen Film über Rassismus und Ausgrenzung gemacht. Und über den unfassbaren Schmerz, der dabei entsteht.

Ein historischer Stoff erfordert besondere Maßnahmen in der Produktion. Was war Ihnen besonders wichtig?

Ich habe mit Szenenbildnerin Evi Stiebler und Christian Stangassinger, der die Bildgestaltung übernommen hat, nach emotionalen Räumen gesucht. Für mich ist ein emotionaler Raum, wenn darin eine Figur spürbar wird. Oder eine Situation im Bild noch erfahrbarer wird, ohne dass der Zuschauer manipuliert wird. Ciomas Zimmer ist der einzige Raum in der Wohnung mit einer gerollten Tapete. Man sieht, dass er gerne zeichnet und Kunst liebt. Er hat kein Bett, sondern ein Sofa, das den Raum groß macht und man spürt förmlich, dass er hier gerne Mädchen einladen würde. Das Zimmer seiner Großmutter spiegelt das Leben einer Frau, die im vorigen Jahrhundert jung war. Seine Eltern haben in den 1920ern geheiratet und damals ihre Möbel gekauft.

Das Haus ist ziemlich alt und hatte noch keinen Gasanschluss. So haben wir uns von Detail zu Detail vorgearbeitet. Wir haben auch viele Dokumentationen angesehen und daraus Dinge übernommen.

Was macht Louis Hofmann in der Hauptrolle für Sie zum perfekten Cioma Schönhaus?

Louis ist einfach unfassbar begabt. Als er zum Casting kam, war er mitten im Dreh von „Dark“ und war noch sehr melancholisch und hatte viel Schwere. Aber sein Talent ist einfach so überbordend, dass klar war, er wird sich die Figur erobern. Und das hat er dann auch gemacht. Er hat sich auf die Rolle ein Jahr lang vorbereitet, sich noch dazu die Schrift beigebracht. Und auch das Fälschen hat er selbst übernommen. Zu seinem riesigen Talent hat er noch ein paar andere Fähigkeiten, die ich wirklich liebe: Er kann zuhören und sein Gegenüber zum Strahlen bringen.

Wie wurden Sie auf Jonathan Berlin, Luna Wedler und Nina Gummich aufmerksam für den Film?

Jonathan war zwei Mal beim Casting für „Hello Again“, meinem Vorgängerfilm, und ich bin einfach ein Riesenfan von ihm. Er ist so unverstellt und hat ein sehr feines Comedy-Timing, genau wie Louis ist er unglaublich begabt. Dann redet er mal eben vor dem Bundestag usw.

Luna hat sich gegen eine Reihe großartiger Schauspielerinnen beim Casting durchgesetzt. Gerda muss sich ja um zu überleben prostituieren.Mir war wichtig, dass sie zwar ein Opfer ihrer Zeit ist, aber versucht, ihr Leben selbst zu gestalten, in dem Rahmen, wie es ihr möglich ist. Luna hat das sofort verstanden. Gerda, wie Luna sie interpretiert hat, ist für mich die Figur, die mich mit am meisten berührt im ganzen Film. Nina Gummich ist unfassbar talentiert und so mutig, – was da bei den Proben passierte, auf was sie sich eingelassen hat, war so ein Geschenk.

Insgesamt sind alle Darstellerinnen und Darsteller, mit denen ich bei dem Film arbeiten durfte, hochbegabt und voller Spielfreude. Ich probe vor dem Dreh sehr viel und auch abends haben wir nach dem Dreh fast jeden Tag bis zu zwei Stunden noch mal alle Szenen für den nächsten Tag geprobt. Ohne das Engagement meiner Darstellerinnen und Darsteller, hätten wir das Pensum so nie geschafft.

Wie haben Sie die Hauptfiguren entwickelt?

Für alle Hauptfiguren habe ich Biografien geschrieben – für Cioma, Det, Gerda und auch Frau Peters. Und dann haben Louis, Luna und Jonathan eine Woche in meiner Küche geprobt. Wir haben Bilder gefunden für die Figuren, aber auch ganz viel improvisiert. Ich muss sagen, dass Louis und mit ihm alle Darstellerinnen und Darsteller sich mit so einer Liebe und Kraft in ihre Figuren geworfen haben. Das war eine Freude. Einen Film aus einer solchen Zeit zu erzählen und dabei so viel Lebenskraft und Spielfreude zu erleben, das war für mich ein ganz großes Glück.

Können Sie uns noch etwas über die Rolle des Herrn Kaufmann, gespielt von Marc Limpach, erzählen? In welcher Beziehung steht er zu Cioma?

Über Franz Kaufmann gibt es ganze Bücher und Doktorarbeiten. Er ist eine so spannende Figur und Marc Limpach die ideale Besetzung. Marc kann unglaubliche Abgründe in Figuren legen und bleibt dabei äußerlich völlig ruhig.

Franz Kaufmann war ein Anhänger der Lehren Carl Barths, der ja in Deutschland verboten war. Er war bis 1936 Oberregierungsrat am Rechnungshof, bevor er dann aufgrund seiner jüdischen Abstammung entlassen wurde und später in den Widerstand ging, was er mit seinem Leben bezahlt hat.

Cioma hat ihn irre gemacht mit seinem Leichtsinn und seinem jugendlichen Wahnsinn, aber am Ende sind sie sich auf Augenhöhe begegnet.

Was erhoffen Sie sich als Reaktion auf den Film?

Ich fände schön, wenn das Bild des „Juden“, das die Nationalsozialisten in ihren Filmen und in ihrer Propaganda so erfolgreich in unsere Köpfe gehämmert haben, mit der Geschichte Cioma Schönhaus‘ zum Auflösen gebracht wird.

Und ich erhoffe mir von dem Film, dass ihn sich viele ansehen. Denn obwohl er in einer sehr traurigen Zeit spielt, ist er voller Optimismus und lebensbejahend. Cioma ist wie eine Sonnenblume, die sich zum Licht dreht.

04.10.2022, 17:02

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