Pola, warum wolltest du „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ verfilmen? Was hat dich an der Geschichte gereizt?
Pola Beck Vor mittlerweile mehr als zehn Jahren hat mein Agent mir das Buch in die Hand gedrückt und meinte, das könne was für mich sein. Es gibt Geschichten, die sich nach dem Lesen anfühlen, als hätte man eine Reise gemacht. Man ist dann völlig erledigt und gleichzeitig total erfüllt. So ging es mir mit Olgas Buch. Mascha, die Hauptfigur, hat mich sehr berührt. Ihre Suche nach einem Platz im Leben, die Art, wie sie sich nimmt, was sie will und die Kämpfe, die sie aus-steht, haben mich mitgenommen. Einerseits wollte ich also von dieser Frau erzählen. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass Mascha uns etwas über das Leben mitgibt und darüber, wie man mit Verlust und traumatischen Erlebnissen umgehen kann. Diese Lebenskraft wollte ich in einen Film übertragen. Was mich an dem Buch außerdem gereizt hat, ist Olgas Humor, ihr feiner Witz und diese teilweise absurden Szenarien in den traurigsten Momenten. Ich hoffe, dass das auch im Film spürbar wird. Es gibt da lustige und auch strange Situationen, bei denen man schmunzeln darf, obwohl es todtraurig ist.
Du hast gesagt, dein Agent hat dich auf das Buch aufmerksam gemacht. Habt ihr das Projekt erst angestoßen oder gab es die Idee, den Stoff zu verfilmen schon früher?
PB Ich weiß, dass damals noch zwei andere Regisseur:innen Interesse an der Verfilmung hatten. Ich habe mich dann mehrmals mit Olga getroffen, ihr meine Vision vorgestellt und erzählt, mit wem ich das Projekt machen will. Zwischen uns hat sich damals schnell ein Vertrauensgefühl entwickelt. Ich glaube, Olga, du mochtest auch die Idee, dass Aylin Tezel die Rolle der Mascha spielt, weil du meinen Abschlussfilm „Am Himmel der Tag“ (2012) gesehen hattest.
Olga Grjasnowa Ich mochte „Am Himmel der Tag“ sehr gerne. Als wir 2012 zum ersten Mal miteinander gesprochen haben, stand die Verfilmung noch ganz am Anfang, da gab es noch nicht einmal ein Drehbuch. Mich hat damals vor allem überzeugt, wie sehr Pola für das Projekt gebrannt hat. Sie hat das jahrelang durchgeboxt, selbst als es zwischendurch kaum Hoffnung gab, dass der Film zustande kommen würde. Das war ziemlich beeindruckend, ich hätte da schon längst aufgegeben.
Weshalb war Aylin Tezel in euren Augen die Richtige für die Rolle der Mascha?
OG Weil Aylin eine fantastische Schauspielerin ist.
PB Es war eine große Frage, wie man den Film besetzt. Mascha spricht fünf Sprachen und ist eine richtige Kosmopolitin. Sie hat nicht nur eine russische Identität oder eine jüdische oder eine deutsche Identität, sondern sie hat diese verschiedenen Identitäten gleichzeitig, je nachdem, mit wem sie gerade zusammen ist. Mir war es sehr wichtig, für die Rolle jemanden zu besetzen, die das selbst als Person lebt und ausstrahlt. Aylin hat sowohl deutsche als auch türkische Wurzeln, sie ist ständig unterwegs und nirgendwo so richtig zu Hause. Aylin hat diese Kraft von Mascha in sich und dieses Kosmopolitische, dieses Rastlose. Außerdem bringt Aylin eine unglaubliche emotionale Bandbreite mit. Sie kann einen tief berühren, aber sie hat auch diese Wucht, die Mascha hat. Als Privatperson ist Aylin eine Naturgewalt, sie hat eine Power und einen Willen, den manche Menschen gar nicht von ihr erwarten, weil ihre Erscheinung sehr zart ist. Diese Kombi ist total faszinierend. Außerdem hat sie die Gabe, dass man als Zuschauer:in emotional an sie herankommt, selbst in Momenten, wo Mascha sich extrem verhält. Es ist Aylin zu verdanken, dass man dann trotzdem bei ihr sein möchte und sie am liebsten in den Arm nehmen würde.
OG Grundsätzlich hat der Film einfach einen wahnsinnig guten, sehr diversen Cast. Jede Rolle ist gut besetzt.
Weshalb war es dir wichtig, dass der Film nicht zu brav wird?
PB Als Filmemacherin weigere ich mich, Geschichten zu erzählen, die nur in meinem eigenen Dunstkreis herum dümpeln. Gerade der deutsche Film, vor allem im Fernsehen, konzentriert sich gern auf schöne Geschichten aus der gutbürgerlichen Mitte. Das langweilt mich beim Zuschauen. Ich möchte etwas erzählen, das universeller ist, das vibriert. Ich möchte Filme mit Figuren machen, die sich zeitgemäß anfühlen und sich in einer Vielfalt zeigen, die nicht kleingeistig oder brav ist. Mit „Der Russe ist einer, der Birken liebt“, wollte ich einen sinnlichen Film drehen, der aber nicht jedem gefallen muss, der herausfordert und an dem man sich reiben kann. Es war mir wichtig, große Emotionen zu zeigen, nicht immer alles zu unterdrücken oder ordentlich-chronologisch aufzubereiten.