„Eine Liebeserklärung an die Liebe“

Kommentar „Wie nutzen wir die Zeit, die uns gegeben ist?“: Eine Frage, die sich jungen Menschen heute verstärkt stellt. Regisseurin Aylin Tezel gehört selbst zur Generation Y – und begibt sich mit „Falling into Place“ auch auf die Suche nach sich selbst
„Eine Liebeserklärung an die Liebe“

Foto: Julian Krubasik/Port au Prince Pictures

Wie nutzen wir die Zeit, die uns gegeben ist? Mit wem teilen wir sie? Und wie sehr bestimmt die Art und Weise, wie wir gelernt haben zu lieben, unser Dasein in der Welt?

Ich gehöre mit Ende 30 einer Generation an, die alle Möglichkeiten und kaum Grenzen hat, und so unruhig ist wie nie zuvor. Wir leben auf einem „nervösen Planeten“, sind Einflüssen ausgesetzt, die uns extrem fordern – Covid, Klimawandel und politische Unruhen. Die letzten Reste unseres Selbstwerts verlieren wir auf Dating Apps und im Social Media Dschungel. Und ganz nebenbei sind wir dazu aufgefordert die Traumata der Vergangenheit zu verarbeiten. Das Leben kann überwältigend sein. Aber es fängt woanders an: Wieso ist es so schwer sich selbst zu lieben?

In Falling Into Place sind Kira und Ian beide auf der Flucht vor sich selbst, als sie sich zum ersten Mal treffen. Zwar will sich Kira ihrer selbst stellen, bleibt aber zunächst auf ausgetretenen Pfaden in ihrem Kopf stecken. Für Ian hingegen ist das Leben „eine Wiederholung von Ablenkungen, damit man vergisst, dass man sterben wird.“ Er hat keine Lust, sich mit Gefühlen von Scham und Schuld zu konfrontieren, stattdessen will er das Leben in vollen Zügen auskosten. Die 24 Stunden, die sie miteinander verbringen, sind intensiv, nicht nur, weil sie dabei zufällig einen der verletzlichsten Momente in Ians Leben miteinander teilen, sondern auch, weil sich ihre Beziehung innerhalb dieser einen Nacht von einem flüchtigen Flirt zu einer echten Verbindung entwickelt. Und wenn wir ihnen dann in ihren individuellen Alltag folgen, beobachten wir, wie all ihre betrunkenen Philosophien in den folgenden Monaten ernsthafte Auswirkungen auf ihr Leben haben.

Kira und Ian sind das Zentrum und das Herz des Films. Ihre Geschichten sind persönlich und individuell, aber die Fragen über das Leben und die Liebe, die unser Film aufwirft, sind universell. Wir alle kennen die Sehnsucht nach Liebe oder nach einem Zuhause, den Schmerz von Verlust und die Angst sich mit Traumata aus unserer Kindheit oder Jugend zu befassen, die Geister der Vergangenheit loszulassen.

Der Ton des Films ist ehrlich und emotional, aber auch humorvoll. Ähnlich wie in Drake Doremus’ Like Crazy sowie Derek Cianfrances Blue Valentine schafft es die Bildsprache unseres Kameramanns Julian Krubasik die Brücke zu schlagen zwischen größter Authentizität und berührender Poesie, immer im Einklang mit der Wahrnehmung unserer Hauptfiguren. Unser Editor David J. Achilles gibt dem Film einen Fluss, der sowohl Kira und Ians gemeinsame Stunden als auch ihre voneinander unabhängigen Leben einfängt und miteinander verwebt, sowie dem Fallen in die Gedanken und in das Erleben der beiden viel Platz lässt.

Mit Des Hamilton konnten wir einen der renommiertesten UK Casting Director gewinnen, der schon Filme wie Jojo Rabbit oder Only God forgives besetzte und uns eine große Auswahl an hochtalentierten Schauspieler:innen für das im Film gewünschte Ensemble aus schottischen, irischen und englischen Figuren vorstellte. Herausstechend war hier für uns der schottische Newcomer Chris Fulton (Bridgerton, Outlander), der mit seinem schelmischen Humor, seiner intensiven Schauspielkraft und einer untergründigen Verletzlichkeit perfekt auf die Rolle von Ian passte. Auch für die weiteren Rollen konnten wir unsere absoluten Wunschbesetzungen gewinnen: namhafte Schauspieler:innen wie Alexandra Dowling (Game of Thrones), Olwen Fouéré (The Northman), Michael Carter (Star Wars), Samuel Anderson (Another Life) und Shooting Stars wie Layo-Christina Akinlude (The End of the F***ing World) und Rory Fleck Byrne (The Foreigner). Einen kleinen Überraschungs-Cameo bietet der australische Singer- Songwriter Stu Larsen. Mit der besonderen Situation, dass mit mir als KIRA ihre Spielpartnerin und ihre Regisseurin ein und dieselbe Person sind, ging unser Ensemble vollkommen vertrauensvoll und unterstützend um.

Farben und Musik haben eine große Bedeutung für diesen Film, denn sie bilden die Sprache, mit der unsere Hauptfiguren sich künstlerisch ausdrücken. Mit Coll Hamilton konnten wir einen der führenden schottischen Maler für Kiras Kunst gewinnen und der Grammy nominierte britische Komponist Jon Hopkins schrieb für uns die Piano Kompositionen von Ian. Den weiteren gefühlvollen Score liefert der Berliner Ben Lukas Boysen.

Zwei weitere Hauptfiguren in unserer Geschichte sind die schottische Insel Isle of Skye und die Metropole London, zwei Orte, die sowohl die stille Sehnsucht als auch die laute Zerrissenheit von Kira und Ian widerspiegeln. Die Menschen auf der Isle of Skye haben ihre eigene Lebensweise, ihren eignen Rhythmus. Ians Eltern leben isoliert und reagieren auf die familiären Traumata mit Sprachlosigkeit, in ihrem Haus ist es still. Die Natur dagegen ist kraftvoll und allgegenwärtig. London bildet den krassen Gegensatz. Eine pulsierende Hauptstadt, die momentan politisch, kulturell und spirituell zerrissen ist. Sie ist schnell, atemlos, unnachgiebig, und es ist leicht, sich in diesem anonymen Strom zu verlieren. Kira und Ian versuchen beide, in dieser Stadt ein Zuhause zu finden, das nichts mit ihren Wurzeln zu tun hat. London wird sie und ihre Träume zunächst ablehnen und trotzdem der Ort bleiben, der ihnen Hoffnung gibt.

Es erfordert Mut, erwachsen zu werden und aus den verschiedenen Versionen seiner selbst herauszuwachsen — in jedem Alter. Für mich ist diese Geschichte nicht nur eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, sie ist auch eine Erinnerung daran, dass das Leben eine Reihe von Entscheidungen ist. Entscheidungen, die wir selbst treffen, oder die für uns getroffen werden, und die uns verändern. Ich würde mich freuen, wenn der Film die Zuschauer:innen dazu einlädt sich persönliche Fragen zu stellen: Entscheide ich mich, meine Zeit mit Dingen zu verbringen, die ich mag, mit Menschen, die ich liebe? Bin ich mutig genug, mich selbst anzuschauen? Nicht in der Version, die meine Eltern von mir kennen, nicht in der Version, die mein:e Geliebte:r kennt. Sondern die nackte, reine und ehrliche Version. Die die manchmal weh tut aber vor allem befreit.

Falling into Place ist eine Liebeserklärung an die Liebe, in all ihrer Magie, ihrer Merkwürdigkeit, ihrem Schmerz und ihrer Freude.

– Aylin Tezel
Regisseurin von Falling into Place

06.12.2023, 21:36

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