In Kooperation mit Piffl Medien

„Wir sind es, die uns dem Bild nähern müssen“

Christian Petzold zeigt in „Miroirs No. 3“ grandios die Fragilität des Lebens. Inspiriert von Kleists Metapher fallender Steine, die sich im Fallen stützen, zeigt sein Film, wie sich inmitten von Verlust und Zerstörung neue Strukturen bilden können

Enno Trebs, Matthias Brandt, Barbara Auer und Paula Beer (von li. nach r.) in „Miroirs No. 3“ (Regie: Christian Petzold)

Foto: Piffl Medien

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Miroirs No. 3

Miroirs No. 3

Christian Petzold

Drama

Deutschland 2025

86 Minuten

Ab 18. September 2025 im Kino!

In Kooperation mit Piffl Medien

Miroirs No. 3

Fallende Steine

Wie hat sich die Idee zu Ihrem Film entwickelt?

Die Idee zu diesem Film ist bei den Dreharbeiten von Roter Himmel entstanden, als wir die Szene am Tisch draußen gedreht haben, mit dem Gedicht von Heinrich Heine. Es lag da irgendwie eine Leichtigkeit auf diesem Tag, aber auch ein Druck, weil da viel passiert, während die Paula das Gedicht vorträgt. Um die Schauspieler ein bisschen aufzulockern, habe ich etwas über Heine und Heinrich von Kleist erzählt, die da im Dialog auftauchen. Ich habe von Kleists Brief erzählt, in dem er beschreibt, wie er in Würzburg übernachtet und keinen Schlaf findet. Es ist heiß, sein Körper dampft, er läuft durch die Straßen und will aus dem Stadttor hinaus. Unter dem Stadttor schaut er nach oben und sieht, dass das, was dieses große Steintor zusammenhält, lauter Steine sind, die fallen wollen und sich im Fallen gegenseitig stützen. Dass also im Moment des Fallens, des Zusammenbruchs, über- haupt erst die Gewölbe entstehen, in denen wir Menschen leben können. Und Kleist sagt, er habe in diesem Moment einen ungeheuren Trost verspürt.

Diese Geschichte habe ich den Schauspielern erzählt, und wir sprachen darüber, dass das ein schönes Bild für das Kino ist. Dass Kino oder überhaupt Fiktion davon handelt, dass etwas im Zusammenfallen ist und sich im Zusammenbruch Gewölbe, Strukturen, Gruppen bilden. Und daraus ist eigentlich die Idee entstanden, an diesem Tisch: Da ist eine junge Frau, die trifft auf eine zerstörte Familie, die sich durch sie wieder zusammensetzt. Das war die erste Metapher.

Auf der Brücke

Am Anfang Ihres Films sehen wir Paula Beer, die die Laura spielt, auf einer Brücke stehen und hinunterschauen. Die Szene wird nicht erklärt.

Wir wissen am Anfang gar nichts. Wir haben Zeichen und versuchen, diese Zeichen zu lesen. Wir hören eine Stadt, die sehr laut ist, es rast Verkehr vorbei, aus den Autos dringen Musikfetzen. Wir sehen eine junge Frau auf dieser hässlichen Brücke in der Nähe der Autobahn. Das ist fast ein romantisches Bild, wenn man da steht und ins Wasser schaut, die Paula musste dabei an Undine denken. Und diese junge Frau da redet nicht, sie hat keine bestimmte Geschwindigkeit, sie ist einfach für sich. Das liebe ich im Kino, wenn Filme erst einmal für sich sind und uns als Zuschauer nicht brauchen. Wir sind es, die uns dem Bild nähern müssen, wir müssen anfangen, es zu sehen und zu begreifen, zu lesen, zu erspüren.

Dann geht die junge Fau hinunter zum Wasser, und zum ersten Mal nimmt sie jetzt Geräusche wahr, Bäume, Blätter im Wind, ein Paddelschlag im Wasser. Sie schaut auf und sieht einen Standup-Paddler, ein Bild, das an das Gemälde von Arnold Böcklin erinnert, „Die Toteninsel“. Da gibt es diesen aufrechten Fährmann, der die Toten zur Toteninsel bringt. Das ist das erste, was sie wahrnimmt, der Tod.

Die Werkstatt

Vater und Sohn tauchen erst relativ spät im Film auf. Erst erzählt Betty von ihnen, dann sehen wir sie in der Werkstatt, dann folgen sie der Einladung zum Essen, ohne zu wissen, was sie erwartet.

Die beiden Männer essen vor der Werkstatt eine serbische Bohnensuppe, trinken ihr Bier, da kommen Kunden, da findet offensichtlich irgendetwas nicht ganz Legales statt. Im Hintergrund stehen Rudimente der DDR herum, ein alter Traktor, mit den ganzen Schrottautos dort hat das auch etwas Amerikanisches. Sie kommen mit den Reparaturen offenbar nicht mehr hinterher, vielleicht braucht das auch keiner mehr, weil im Kapitalismus das, was kaputt ist, wegge- schmissen wird. Die beiden da können alles reparieren. Und reparieren bedeutet einen Gegenstand zu begreifen, zu verstehen, was daran kaputt ist.

Sie wollen auch begreifen, was an dieser Familie kaputt ist. Aber das schaffen sie nicht. Sie kriegen das nicht repariert, was hier passiert ist. Und die leben in einem Provisorium, wie in einem Trailerpark, in zwei Zimmern neben der Werkstatt. Man sieht das, wenn die abends nach dem Essen nach Hause kommen, der Sohn geht in sein Kabuff, da steht noch ein Wäscheständer davor, und der Vater raucht eine Zigarette im Abendlicht. Und dieses Provisorium zu zeigen, reichen ein Vorhang und ein Wäscheständer. Das, was wir nicht sehen, ist das Kino, das ist Vorstellung, Imagination. So wie wir auch das Zimmer der toten Tochter im Film nie sehen. Aber wir vermuten und ahnen, und das ist viel reicher.

Lügen und Lachen

Vor allem Max, der Sohn, hat Schwierigkeiten, sich mit Lauras Anwesenheit abzufinden.

Es gibt die Szene, wo Max zum Haus kommt, und wir merken, der will wissen, was hier eigentlich los ist. Wer ist diese junge Frau? Die arbeitet da im Kräutergarten, sie bietet ihm Kaffee an, als ob ihr diese Welt dort schon gehören würde. Das macht ihn völlig rasend. Im Hintergrund wird das Klavier gestimmt, und wir erfahren, dass sie eigentlich Klavierstudentin ist. Und dann sagt sie noch: „Ich glaube, deine Eltern wollen mal ein bisschen für sich sein ...“ In diesem Moment spüren wir, dass die Laura in dieser falschen Existenz angekommen ist. Das spürt auch der Max, und dagegen wehrt er sich. Und gleichzeitig merkt er, dass er die trotz allem gerne mag.

Das ist auch etwas, was ich im Kino mag. Der Sohn spürt die Lüge, er weiß, dass diese Lüge zur Katastrophe führt. Aber er kann die Lüge nicht zerstören, weil er seinen Eltern diese paar Tage des Glücks nicht zerstören will.

Eine der schönsten Szenen im Film ist die, wenn Max und Laura plötzlich gleichzeitig anfangen zu lachen.

Sie sitzen zusammen draußen am Tisch vor der Werkstatt und sie hören den Song von Frankie Valli... Das ist ein Moment, wo die Schauspieler auch nicht mehr weiter wissen. Sie sind in der Situation ihrer Figuren, sie wissen, was da passiert, aber die Figur reicht nicht, um fünf Minuten dabei gefilmt zu werden, wie man zusammen Musik hört. Das kann man eigentlich nicht spielen. Und das fällt den beiden im selben Moment auf, sie gucken sich an und fangen an zu lachen.

In diesem Moment sind sie aber nicht mehr Laura und Max, sondern sie sind Paula und Enno. Und dieses Lachen ist genau das richtige Lachen für die Szene, denn beide sind in diesem Moment bei sich. Er ist nicht mehr der Sohn, der sein Leben verpasst, und sie ist nicht mehr die Ersatztochter. Dieser Moment war mir wichtig, die so lange zu filmen, bis sie von sich aus lachen.

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