Wir drei waren gute Freund*innen von Steffen. Seinen Tod am 19.09.2018 haben wir auf unterschiedliche Weise miterlebt. Jens war zuhause und hat über Twitter die Nachricht erhalten, dass ein Journalist gestürzt sei. Fabiana saß im Zug zum Hambacher Forst, als sie einen Anruf von Jens erhielt. Dort angekommen, erfuhr sie über eine Pressekonferenz der Polizei, dass der verunfallte Journalist verstorben sei. Kilian stand direkt unter den Bäumen, als Steffen stürzte – mit neuen Speicherkarten für Steffens Kameras.
Was uns in unserem Empfinden eint, ist das Gefühl, dass uns unser Freund entzogen wurde. Keiner von uns kam mehr zu ihm, bevor die Polizei sich aufgereiht und einen Sichtschutz um seinen sterbenden Körper gebaut hat. Es war ein Tod in aller Öffentlichkeit. Und doch war Steffen so weit weg.
Nach seinem Tod verspürten wir eine große Hilflosigkeit. Dabei war das Schlimmste, keine unmittelbar schuldige Instanz finden zu können. Niemand, dem wir hätten sagen können: Du hast mir meinen Freund entrissen. Niemand konnte zur Verantwortung gezogen werden. Also richteten wir unsere Wut auf unseren Freund selbst: Steffen, dem es in dem Moment wichtiger war, zu dokumentieren und das Geschehene aus dem Wald zu tragen, als sich selbst auf 16 Metern Höhe zu sichern.
Die Politik konnte den Unfall nicht einfach übergehen. Plötzlich sprach NRW-Landes- Innenminister Herbert Reul über Steffen, Ministerpräsident Armin Laschet rief bei seinen Eltern an. Sie benutzten Steffens Tod als Beispiel für die Gefahr, die von der Besetzung ausginge. Und ein Teil der Aktivist*innen benutzte wiederum Steffens Tod, um zu zeigen, wie das System über Leichen geht. Nur wir blieben stumm. Steffens Tod war so sinnlos: Denn nach dem Konflikt fielen sowohl die Politik als auch die Besetzung im Hambacher Wald in den Status Quo vor der Räumung zurück. Alles war genauso wie vorher. Nur Steffen fehlte.
Mit seinem plötzlichen Tod hinterließ Steffen ein unfertiges Werk. Zahlreiche Stunden Filmmaterial waren auf unterschiedlichen Festplatten gespeichert, auch sein eigener tödlicher Unfall. In der Auseinandersetzung mit diesem Material wissen wir heute: Steffens Tod war wirklich sinnlos, doch seine Entscheidungen, die dorthin führten, nicht. Er sah sich, ähnlich wie die Besetzer*innen, in der Zwangslage, sich nicht darauf verlassen zu können, dass die Politik nach demokratischen Prozessen arbeitet. Und so blieb ihm, genau wie den Aktivist*innen, kein anderes Mittel, als sich mit seinem Körper und seiner Kamera vor Ort zu engagieren.
Doch Steffens Begeisterung für die Besetzung und seine Radikalisierung waren auch stets durchzogen von moralischem Hader über die eingesetzten Methoden. Der Einsatz des eigenen Körpers als letztes Mittel traf ihn schließlich in seiner letzten Konsequenz.
So wurde der Einsatz des eigenen Lebens als politisches Instrument zur Leitfrage in den heutigen Interviews mit den Aktivist*innen, die Steffen damals schon begegnet sind: „Wie weit gehen wir, um unsere Ziele durchzusetzen?“
Wir erfahren, dass die Grenzen fließend sind und dass es keine richtige Antwort gibt. In jeder Facette des Widerstands finden sich neue Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen. Doch in einer Frage sind sich sowohl die Aktivist*innen als auch Steffen einig: Sie lehren uns, dass es unerlässlich ist, für die eigenen Ideale einzustehen – auch wenn sie zu groß oder naiv erscheinen.
Schlussendlich ist ein Film entstanden, der sich stets im Spannungsfeld zwischen Steffens moralischem Hadern und der Zerrissenheit der Aktivist*innen, zwischen persönlichem Verlust und dem politischen Willen zur Veränderung bewegt.