Nur ein Rauschen war zu hören, als die Fankurven am vergangenen Spieltag gegen das Sicherheitskonzept der Liga protestierten
Illustration: Der Freitag, Foto: HLPhoto/Fotolia
Vor ein paar Jahren fuhr ich einmal zu einem Auswärtsspiel von Hertha BSC nach Cottbus. Ich war, wie meistens auf diesen Fahrten, allein unterwegs, befand mich aber im Regionalexpress mitten im Gewühl der anderen Fans. So konnte ich gar nicht anders, als das eine oder andere Gespräch mitzuhören.
Ich erinnere mich noch genau an mein Erstaunen darüber, dass die vier jüngeren Männer, die über meinem Sitzplatz stehend eine Art Zelt bildeten, von dem Bierflaschen, Hände, Schals und Fahnenstangen herunterhingen, eineinhalb Stunden kein Wort über das Spiel, die Erfolgsserie unter dem damaligen Trainer Lucien Favre oder mögliche Aufstellungen verloren. Ihr ganzes Interesse galt dem Plan, ein paar Bengalische Feuer an der Cottbuser Polizei vorbe
izei vorbei und dann ins Stadion zu bringen. Und sie diskutierten auch intensiv die Momente, an denen sie ihr Feuerwerk abbrennen wollten.Während des Spiels waren die Hertha-Fans im Stadion der Freundschaft in eine Art Gitterkäfig gesperrt, und das ganze Match hindurch hatte ich das Gefühl, dass ich eher wegen dieser abenteuerlich anmutenden Tribünenkonstruktion beunruhigt sein müsste, als wegen der Pyrotechnik, die dann auch pünktlich nach einem Tor von Cottbus zum Einsatz kam. Der Hertha-Spieler Patrick Ebert kam in die Berliner Ecke des Spielfelds gelaufen und hob resigniert die Hände. Wir konnten ihn nicht hören, aber wir verstanden ihn auch so. „Was soll das, Jungs?“Ein mildes RauschenVor dieser Frage steht in diesen Tagen auch die Deutsche Fußball Liga (DFL), von der man den Eindruck haben könnte, dass sie die Fans quer durch die Republik nicht versteht. Jedenfalls haben die Funktionäre es geschafft, den Eindruck zu erwecken, dass in einem Papier, über das die Erst- und Zweitligavereine am 12. Dezember abstimmen sollen, ein Sicherkeitskonzept vorgeschlagen wird, das an manchen Stellen seltsam nach einem „war on terror“ aussieht.Die Fans haben darauf bereits reagiert und an den vergangenen Spieltagen schon einmal vorgemacht, welche Stimmung künftig in den Stadien herrschen könnte, wenn man der Fankultur zu starke Fesseln anlegt: Sie schwiegen zwölf Minuten und zwölf Sekunden lang, übrig blieb ein mildes Grundrauschen, in dem Bratwurstduft noch die intensivste Sinneserfahrung war. Ob die Bundesliga in so einer Atmosphäre ihre drei oder bald vier Champion’s-League-Startplätze behaupten wird können, das steht in den Sternen.Wenn man das DFL-Papier „Sicheres Stadionerlebnis“ dann allerdings liest, stellt man fest, dass es darin nur um ein paar Stellen geht, an denen von einer signifikanten Erweiterung der exekutiven Kompetenzen die Rede ist. Angedacht ist die Einrichtung von „Personen-Körperkontrollen“ bei den „Risikospielen“ sowie eine rigide Durchsetzung der bestehenden Stadionordnung; vorgeschlagen wird ein Vermummungsverbot und natürlich die Bestraftung von Fans, die Pyrotechnik zum Einsatz bringen. Auf der anderen Seite soll es auch künftig Stehplatzränge geben.AusstestenDennoch: Zwischen den Fangruppierungen und den Vereinen hat sich schon länger etwas aufgestaut, und dieses Unbehagen hat nun ein bundesweites Thema gefunden. Im Grunde geht die Angelegenheit sogar noch darüber hinaus, denn sie betrifft auch die Position des deutschen Fußballs in der internationalen Szene. Die Diskussion um das Sicherheitskonzept ist deswegen von so großem Interesse, weil es nicht nur um den Fußball als solchen geht, sondern um einen heiklen gesellschaftlichen und politischen Moment insgesamt. Zur Disposition steht die Frage, wie viel Freiheit und Spontanität in einem weitgehend normierten öffentlichen Raum noch möglich ist.Die deutsche Liga ist eben noch nicht so rigoros durchkorporatisiert wie etwa die englische, wo in so manchem neuen Stadion die Stimmung wegbricht. Es gibt in der Bundesliga eben noch Besonderheiten wie die Stehplatzränge, ohne die selbst ein Profitcenter wie die Allianz Arena in München nicht auskommt. Die Dortmunder „Gelbe Wand“ ist im Grunde ein Weltkulturerbe. All das steht nun potentiell zur Disposition, jedenfall bei sogenannten „Risikospielen“. Und die Fans reagieren äußerst argwöhnisch, denn sie befürchten, dass sie in Zukunft nur noch den Stimmungsfaktor in einem kommerzialisierten Eventzusammenhang abgeben sollen, ohne ihre gewachsene (und wachsende) Kultur genuin einbringen zu können.Natürlich ist einzuräumen, dass es zuletzt eine Reihe von Vorfällen gab, die den Bedenkenträgern Vorschub leisten (dazu gehört aber nicht der schreckliche Tod eines Linienrichters in den Niederlanden, Täter waren hier nicht Fans, sondern drei jugendliche Spieler). Die Umstände, unter denen vor ein paar Monaten in Düsseldorf der Abstieg von Hertha BSC in die zweite Liga besiegelt wurde, führten deutlich vor Augen, dass so mancher Verein mit den Anforderungen des modernen Spielbetriebs punktuell überfordert sein kann. Dass es vor dem eigentlich fälligen Spielabbruch die Hertha-Fans gewesen waren, die für Aufruhr gesorgt hatten, ist dabei Teil des Problems: Es sind nämlich häufig gerade die Auswärtsfahrten, auf denen sich die Fans gern ein paar Freiheiten nehmen.Das Austesten der „gegnerischen“ Sicherheitssysteme ist Teil der symbolischen Logik, mit der die Spiele von den Fans begleitet werden. Ich erinnere mich gut an ein Heimspiel von Hertha in Berlin, bei dem die Fans von Hansa Rostock, damals noch in der ersten Liga, einen deutlichen „Auswärtssieg“ errangen, was Stimmgewalt und Rauchentwicklung betraf. Heute würde die Ostkurve sich so etwas nicht mehr bieten lassen.In den Paragraphen des am 12. Dezember zu beschließenden Regelwerks findet sich nun auch ein Passus, der es zumindest theoretisch ermöglicht, dass bei bestimmten Spielen die Anhänger der Auswärtsmannschaft kein Kartenkontingent zugewiesen bekommen könnten. Dies vor allem rührt an die Grundlagen der Fankultur. Die wirklichen Supporter zeigen sich auswärts, für viele sind diese Spiele der Höhepunkt der ganzen Woche, und entsprechend stark sind häufig die Fandarbietungen, die damit auch eine Unterscheidung zwischen Traditionsteams (mit starkem Support in der Fremde) und Retortenteams treffen, mit denen manchmal nur ein paar Dutzend Fans reisen.Schon die beschwichtigenden Erläuterungen, die die DFL diesem Passus hinterherschickt, zeigen, dass es hier um eine sehr ernste Sache geht. Denn allzu schnell könnte hier von „Risikospielen“ auf „Risikovereine“ geschlossen werden, und wer will ausschließen, dass die Verweigerung eines Gäste-Kontingents nicht missbräuchlich gehandhabt wird. Der Passus ist ein klassischer Fall von „executive overstretch“. Auch die Sache mit der Pyrotechnik zeugt von einer einseitig polizeilichen Sicht der Dinge. Die sogenannten „Bengalos“ sind neben den mächtigen Gesängen das stärkste Stimmungsinstrument, das den Fans zur Verfügung steht, und wer jemals in einem griechischen oder türkischen Stadion war (ich bin einmal eigens zu Olimpiacos Piräus gefahren), wird einräumen müssen, dass es auch etwas für sich hätte, Bengalos unter bestimmten Bedingungen zuzulassen.Beeindruckende EffekteAnstatt hier nach spezifischen Lösungen zu suchen (zum Beispiel nach bestimmten Haftungsausschlüssen in bestimmten Fansektoren, sodass in der Kurve eben andere Bedingungen gelten als etwa in dem „bürgerlichen“ Sektor, in dem ich sitze), gilt ausgerechnet an einem Spektakelort wie in einem Stadion eine strikte Verbotslogik (während einem in der Woche nach Weihnachten in einer Stadt wie Berlin jederzeit jemand ungeahndet auf offener Straße einen Böller vor die Füße werfen darf).Letzten Montag hat Hertha BSC wieder in Cottbus gespielt, dieses Mal war es ein Spitzenspiel in der zweiten Liga. Es war kalt, das Stadion nur mäßig besucht, aber der Sektor der Herthaner bestens gefüllt. Als nach den zwölf Minuten und zwölf Sekunden das Protestschweigen beendet wurde, zeigte sich, dass der Ordnungsdienst des FC Energie Cottbus einmal mehr nicht sonderlich streng gewesen war. Es kam zu beeindruckenden pyrotechnischen Effekten, das Spiel wurde dadurch nicht gestört, aber Hertha wird Strafe zahlen müssen. Es war nichts weiter als ein ritualisiertes Oppositionsverhalten, ein Stück Ligaalltag, ein Moment einer noch nicht restlos domestizierten Fankultur, an deren Erhaltung der DFL eigentlich mehr gelegen sein sollte als an ausufernden Verbotsspielräumen.
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