Drogen Im heißen Süden Kolumbiens erfährt man die ganze Sinnlosigkeit des amerikanischen „War on drugs“. Den Kokabauern fehlt immer noch eine andere Lebensgrundlage
Hernei Ruiz hat sein Leben lang auf einem verdorrten Berghang bei Macizo, einem heißen, verlassenen Flecken im Süden Kolumbiens, Koka angebaut. Der braun gebrannte Bauer wohnt in einem alten Haus am Rande des Dorfplatzes, wo er einen kleinen Laden betreibt, um Kokakekse und Kokarum zu verkaufen. Kein Wunder, dass sich Ruiz dafür einsetzt, dass Koka als Nahrungsmittel anerkannt wird.
„Vom Verkauf unserer Produkte können zehn Familien leben“, sagt Ruiz. Aber die Kokapflanze ist hoffnungslos stigmatisiert. „La mata que mata“ lautet seit Jahren das geflügelte Wort in Bogotá – „die Pflanze, die tötet“.
Neben Ruiz’ Laden steht ein uralter Kapokbaum, an den ein verwittertes Schild genagelt wurde: „In Lerma lieb
222;In Lerma lieben wir das Leben und stärken den Frieden.“ Ruiz sagt, das Elend in der Gegend habe in den achtziger Jahren begonnen. Die Bauern in dieser Gegend hatten seit Jahrhunderten Koka angebaut – für Heilzwecke oder um nur darauf zu kauen. 1983 seien die Preise auf einmal in die Höhe geschossen: „Wir wussten nicht warum und wussten es dann doch. Agenten aus den Kartellen in Medellin oder Cali kamen und kauften, was sie kriegen konnten. Plötzlich schwammen wir in Geld.“Es entstanden Bars und Bordelle selbst in dem von der Außenwelt eher abgeschirmten Ort Lerma mit seinen gut 500 Bewohnern. „Um diese Zeit hatten wir einige amerikanische Peace-Corps-Freiwillige hier, die uns beibrachten, wie man Koka inhaliert. Aber da hatten wir längst begriffen, worum es ging.“ Mit dem Geld kam die Gewalt: „Auftragsmörder aus Medellin tauchten bei uns auf. Alles lief aus dem Ruder. Oft lagen morgens Leichen auf der Straße. In den Bars wurden Menschen erschossen, nach draußen gezogen, und die Party ging weiter. Kinder spielte mit einer Pistole in der Tasche auf der Straße Fußball.“Jedes Kreuz ein ToterDer Wahnsinn jener Jahre ist inzwischen vorbei, aber der Süden des Landes ist gefährlich geblieben. Große Teile der Region werden von der linken Guerilla, der FARC oder ELN, kontrolliert. Wer das Land beherrscht, besitzt auch die besten Kokafelder. Seit ein paar Jahren kommt ein neues lukratives Geschäft hinzu – das illegale Goldschürfen. „Mit mehr als hundert schweren Maschinen wird heute in den Flussbecken nach Gold gesucht“, meint Juan David Mellizo, ein Bauernführer aus diesem Gebiet, während wir über die Panamericana, die legendäre Trasse von Nord- nach Südamerika fahren. „Niemand hat eine Konzession zum Schürfen, aber jeder schürft.“Jahrelang war Kolumbien der größte Kokaproduzent auf dem Subkontinent, bis es diese Position an Peru verlor. Ist das ein Erfolg des „Plan Colombia“, der einst von den USA ausging? Gil Kerlikowske, Direktor des amerikanischen Büros für Drogenbekämpfung (ONDCP), glaubt das. In einem Interview für die Zeitung El Colombiano nennt er den Rückgang der Kokaproduktion in Kolumbien „historisch“. Dadurch sei die Rauschgift-Produktion in diesem Land seit 2001 um 70 Prozent gesunken. Fast jeder zweite Drogentransfer werde heute durch die Polizei abgefangen. Man habe 2012 gut 100.000 Hektar Fläche aus der Luft besprüht und 30.000 Kokapflanzen vernichtet. Leider ein relativer Erfolg. „Zu selten werden die Kokabauern mit alternativen Gewächsen ausgestattet. Also beginnen sie einfach woanders wieder von vorn.“In Lerma zeigt der Dorflehrer Luis Alberto Gómez auf eine Karte: „Dort ist jemand erschossen worden. Dort. Dort. Dort.“ Etwa 160 Kreuze sind auf seiner Topografie zu sehen, jedes Kreuz steht für einen Toten. Damit sie nicht vergessen werden, betreibt er diese Kartierung. „Die meisten sind für nichts und wieder nichts gestorben.“ Für ihn sei das Anti-Drogenprogramm ein einziger Misserfolg. „Wir hatten hier drei Wellen. Es begann damit, dass Kokapflanzen mit Macheten abgeschlagen wurden. Danach kam das Pflanzengift Glysophat zum Zuge. Nun ziehen militärische Hundertschaften durchs Gelände und reißen die Pflanze mit ihren Wurzeln aus dem Boden. Aber Kokasträucher sind noch immer da. Und sie werden da sein, solange es für die Farmer keine Alternative gibt.“Für Gómez hat die Anti-Drogenpolitik nur Verlierer produziert. „Sie kostet Milliarden, die man besser für die ländlichen Regionen ausgegeben hätte. Der Zwang, Koka zu bekämpfen, wurde aus den USA mit dem ‚Plan Colombia‘ importiert, wofür eine komplette Militärstruktur entstand.“ Vom Effekt her habe das nur dazu geführt, die Anbaugebiete zu verlegen. „Derzeit wird mehr Koka am Amazonas angebaut, was früher kaum vorkam. Außerdem beginnen viele Kokabauern nach dem Verlust ihrer Kulturen wieder mit dem Anbau – nur auf einem größeren Areal, weil das schlechter besprüht werden kann. Viele könnten sonst ihre Familien nicht über Wasser halten. Die Frauen würden in die Stadt gehen, um in Privathaushalten zu putzen – die Söhne durch Diebstahl und Überfälle in die Kriminalität abgleiten. Am Ende sind die Familien kaputt, ein Teufelskreis.“Seit US-Präsident Richard Nixon 1971 den „War on drugs“ erklärte, hat kein anderes Land Südamerikas so sehr unter diesem Feldzug gelitten wie Kolumbien. Um zu vermeiden, als „failed state“ stigmatisiert zu werden, hat jede Regierung in Bogotá den seit 2000 geltenden „Plan Colombia“ akzeptiert. Er lieferte das strategische Tableau für eine Schlacht ohne Ende, die zehn Milliarden Dollar kostete und zu Tausenden von Toten führte.Inzwischen haben immer mehr lateinamerikanische Politiker begriffen, dass es keinen Sinn hat, weiterzumachen wie bisher. Nachdem Guatemalas Präsident Fernando Pérez eine andere Drogenpolitik forderte, schlossen sich dem die Regierungen Uruguays und Kolumbiens an. „Wenn der Gebrauch von Drogen weltweit legalisiert würde, könnte ich das nur unterstützen“, so der kolumbianische Staatschef Manuel Santos schon vor einem Jahr. Als erstes Land auf dem Subkontinent will Uruguay nun Gebrauch und Verkauf von Marihuana legalisieren. Wie beim Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vom Juni heißt es auch in Montevideo, der Armut als Nährboden für den Drogenhandel sollte begegnet werden.Schweine oder KokainEine solche Empfehlung kann der Kokabauer Luis Carlos aus dem kolumbianischen Aguas Frescas nur gutheißen. Er hat sich einem UN-Projekt angeschlossen, um Kokasträucher durch andere Erwerbsquellen zu ersetzen. Der Mann in Gummistiefeln zeigt auf einen Haufen verdorrter Sträucher am Feldrain. „Die gehörten mir. Ich habe sie vor vier Monaten aus dem Boden gezogen. Freiwillig.“ In zwei Wochen soll er anderes Pflanzgut bekommen, zusätzlich gibt es für den Ertragsausfall umgerechnet 600 Euro pro Haushalt.Carlos will für das Geld Schweine züchten. Aber er glaubt selber nicht so recht an den Erfolg. „In der Vergangenheit haben wir schon alles probiert, Yucca, Kakao, Mais, Zuckerrohr, Ananas, Bananen, Nüsse, Fruchtbäume. Aber alles ist verdorrt. Das gibt der Boden eben nicht her.“ Carlos weiß, dass Koka viel Elend verursachen kann. „Aber auch ich muss überleben. Wenn es mit den Schweinen nichts wird, kehre ich zur Kokapflanze zurück. Koka ist der einzige Strauch, der unsere heißen, trockenen Sommer überlebt. Die Pflanze bringt einfach das meiste Geld. Und die Abnehmer kommen bei uns vorbei ...“Auch das spielt nämlich eine Rolle: „Einige Bauern brauchen zehn Stunden, um zur Panamericana zu kommen“, erzählt Carlos. „Für viele Produkte dauert das viel zu lang. Nach zehn Stunden sind sie verdorben. Darum fordern wir, dass in die Infrastruktur investiert wird. Wir brauchen aber nicht nur bessere Wege, sondern auch Händler, die zu uns kommen und unsere Produkte abnehmen. Und wir brauchen mehr Wasser. Werden keine neuen Leitungen gebaut, sind Zuckerrohrfelder undenkbar. Mit Wasser fängt alles an – ohne hört alles auf.“Zurück in Lerma beschreibt Hernei Ruiz die gleiche aussichtslose Lage der Kokabauern um ihn herum. „Wenn wir etwas anderes probieren, etwa den Verkauf von Panela, einem Zuckerrohrprodukt, dann müssen wir laut Hygieneamt eine mit Diesel betriebene Zuckerrohrmaschine anschaffen. Die kostet mehrere tausend Dollar. Woher soll das Geld kommen? Wir stellen unser Panela seit Jahrhunderten mit einer von Pferden angetriebenen Maschine her.“ Was hält er von legalisiertem Kokaanbau? „Nichts. Nur weil Kokain verboten bleibt, ist das Produkt so teuer und bringt uns viel ein“, sagt Ruiz. „Wäre Koka legalisiert, würde der Preis einbrechen und uns ruinieren. Es kann nur den langsamen Übergang auf andere Produkte geben. Bis dahin gilt: Was wir tun ist illegal – aber unvermeidlich.“
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