Wochenlang lag Sébastien Valiela auf der Lauer. Der Fotograf mit dem Kapuzenmantel hatte in einer noblen Pariser Gegend Abend für Abend in einem Treppenhaus verbracht, den Blick auf ein gegenüberliegendes Appartement geheftet. Am 30. Dezember gelang ihm dann der Scoop: François Hollande verlässt mit Motorradhelm das Haus, kurz darauf geht die Schauspielerin Julie Gayet durch die Pforte. Die Affärenbilder des Präsidenten haben die Franzosen erstaunt, können sie doch das Zusammenspiel von Medien und Politikern gravierend ändern.
Valiela hat die Früchte seines Paparazzi-Daseins dem Magazin Closer verkauft. Als Hollandes Liaison dort die Titelseite beherrschte, geißelten etablierte Gazetten in ersten Reaktionen einhellig solchen Voyeurismus
solchen Voyeurismus als unappetitlich. Zugleich kommentierten selbst ernannte Experten das Ende der Beziehung von Valérie Trierweiler und Hollande im Fernsehen und Hörfunk, als wenn es ein urpolitisches Thema wäre. „Als Frau bin ich schockiert, wie Hollande seine Partnerin geradezu eiskalt entlassen hat“, so Nathalie Kosciusko-Morizet, aussichtsreiche Bewerberin der konservativen UMP für das Bürgermeisteramt in Paris. Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, will nun „die wahre Seite von Hollande“ erkannt haben. Und Ex-Premier Jean-Pierre Raffarin, ebenfalls von der UMP, fand „den schnellen Partnerinnenwechsel von Hollande“ besorgniserregend.So spielt die politische Elite in einem Spektakel mit, dessen Regeln ungefragt umgeschrieben wurden. Mit den Fotos von Closer ist ein nirgendwo aufgeschriebenes, aber im stillen Einvernehmen geltendes Gebot der Diskretion zwischen Presse und Elysée-Palast aufgekündigt worden – möglicherweise ein Indiz dafür, wie unbeliebt Hollande bei den Eliten und ihren Salons ist. Nicht allein Closer, die gesamte Klatschpresse ließ sich die Enthüllung viel Zeit und Geld kosten. Als sei die Geschichte extrem wichtig, als sei sie eine wirkliche Recherche wert. Closer gab seiner Publikation gar einen pseudo-aufklärerischen Anstrich. Der Präsident sei bei seinen amourösen Ausflügen nicht ausreichend geschützt, darüber wollte man informieren, weil das alarmierend sei. Ein Argument, das unhaltbar und deshalb schnell vergessen war.Büchse der PandoraEskapaden mit Geliebten kann bislang fast jeder Präsident der V. Republik vorweisen. Was dazu publik wurde, erreichte in gegenseitigem Einverständnis die Öffentlichkeit. Französische Medien respektierten – mehr als die deutschen und noch sehr viel mehr als die angelsächsischen – das zuweilen ausschweifende Privatleben von François Mitterrand oder Jacques Chirac.Ersterer führte zwei Familienleben – ein offizielles mit seiner Frau Danielle und ein zweites, verstecktes, mit seiner Geliebten Anne Pingeot und dem gemeinsamen Kind. Beide Familien waren im Elysée-Palast untergebracht, aber die journalistischen Beobachter verschlossen davor die Augen. Auch damals war es ein gewisser Valiela, der ein Foto von Mitterrand schoss, als der vor einem Restaurant liebevoll den Arm um seine Tochter legte.Paris Match veröffentlichte das Bild – aber erst, nachdem es sechs Wochen im Kühlschrank aufbewahrt und ein Abdruck mit dem Elysée ausgehandelt war. Das Magazin schickte Mitterrand eine Kopie der Aufnahme. „Meine Tochter ist auf dem Foto doch sehr hübsch“, gab der sein Einverständnis. Erst zum Begräbnis Mitterrands im Januar 1996 erschienen nicht nur seine Frau und seine Geliebten, sondern auch die unehelichen Kinder.Nachfolger Chirac war bekannt dafür, sich nachts zu verschiedenen Frauen chauffieren zu lassen. Legendär wurde Bernadette Chiracs gelegentliche Frage ans Parteibüro, wo denn ihr Mann diesmal zu übernachten gedenke. Bis heute treten die Chiracs als Paar auf, und niemand lästert über dieses offensichtliche Arrangement.Die Rache des BoulevardHollande aber wird dieser Bonus der Dezenz verweigert. Vielleicht rächte sich das Boulevard für seine doch eher langweilige Aura. Man nennt ihn gern einen glitschigen Fisch, dessen Politik – einmal arbeitgeberfreundlich, dann wieder gewerkschaftsnah – schwer zu fassen ist. Selbst Trierweiler war als Première Dame unbeliebt und wurde leichten Herzens geopfert.Seit Closer ein Tabu gebrochen hat, können viele konservative Politiker eine gewisse Genugtuung nicht verhehlen: Bei Hollande sei es eben wichtig, den Privatmenschen zu kennen, um über sein Vermögen als Politiker zu urteilen. Damit wird die Büchse der Pandora geöffnet, denn theoretisch müssten dann künftig ebenso Gewerkschafter, Unternehmer oder Manager eine Ehe oder Beziehung passend zum Amt führen. Und wer sollte darüber entscheiden? Die Klatschpresse, deren Reporter sich nächtelang auf die Lauer legen? Und wer kann dann noch ein authentisches, halbwegs unbefangenes Leben führen?Gleichwohl haben die Präsidenten eine Mitschuld am Voyeurismus. Nicolas Sarkozy gab die Liebe zu Carla Bruni auf einer Pressekonferenz bekannt, auf der es eigentlich um das anstehende Regierungsjahr gehen sollte. „Mit Carla, das ist eine ernste Sache“, meinte er, ohne dass ihn jemand danach gefragt hatte."Augenblicklich die Liebe seines Lebens"Bei Hollande war es anders. Mit seiner ersten Frau Ségolène Royal ließ er sich mitsamt den vier Kindern auf dem Wohnzimmersofa fotografieren. Kurz nach seiner Amtseinführung gab er dann in Interviews gefühlige Sätze von sich – zum Beispiel, dass Valérie Trierweiler die Frau seines Lebens sei.Als sich die Öffentlichkeit darüber mokierte, weil er schließlich vier Kinder mit einer anderen Frau hatte, nahm er seine Aussage sogar wieder zurück. Trierweiler sei „augenblicklich die Liebe seines Lebens“, hieß es nun. Hollande versuchte ganz einfach, sein Privatleben den politischen Erwartungen anzupassen. Das musste schief gehen. Allerdings ist der Präsident durch die Trierweiler-Gayet-Affäre derzeit beliebter als in den Monaten zuvor. Franzosen lieben Affären, und wann immer ein Politiker eine oder mehrere Geliebten unterhielt, hat das seiner Karriere mehr genutzt als geschadet.