Abstimmungskater Nach der Annahme der "Ausschaffungs-Initiative": Spinnt eigentlich die ganze Schweiz? Nein, in den Städten und unter Kulturschaffenden herrscht Vernunft
Soviel Engagement und soviel Einmischung in die Politik war schon lange nicht mehr. Der altgediente Kabarettist und Schriftsteller Franz Hohler formulierte einen Text, der als Inserat in mehreren großen Schweizer Printmedien zu lesen war. Ein Komitee namens Kunst+Politik – ein Zusammenschluss von Kulturschaffenden aus der deutschen und der französischen Schweiz – ließ drei Werbespots produzieren, die vor allem über das Internet enorme Verbreitung fanden. Auf Facebook gefiel allen die Nein-Parole. Schließlich fabrizerten mehr als hundert Künstlerinnen und Künstler aller Sparten und aus allen Landesteilen öffentliche Statements.
Die sogenannte Ausschaffungs-Initiative hatte also die Schweizer Kulturschaffenden mobilisiert. Sie wehrten sich g
ten sich gegen die Schweizerische Volkspartei SVP, welche eine Verfassungsänderung zur Volksabstimmung gebracht hatte, derzufolge Ausländerinnen und Ausländer ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren, wenn sie kriminell werden oder „missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe bezogen haben“.Ein Witz, würde man meinen, denn der Text der Initiative geht ganz und gar nicht konform mit geltendem europäischen Recht, etwa dem der Personenfreizügigkeit. Und obwohl die Schweiz nicht in der EU ist, hat sie diverse bilaterale Verträge mit ihr abgeschlossen, deren Einhaltung in ihrem ureigenen Interesse ist. „Ich habe es satt, mich weiter für eine paranoide, fremdenfeindliche Schweiz schämen zu müssen, die Menschenwürde, internationales Völkerrecht und die eigene Verfassung mit Füßen tritt“, schrieb denn auch der Zürcher Kabarettist und Verleger Patrick Frey im Aufruf der Hundert. Franz Hohler meinte in seinem ebenso satirischen wie wahrhaftigen Gegenvorschlag zur Verfassungsänderung, dass sich die Schweiz vielmehr bei den Ausländern für ihre geleisteten Dienste in Krankenhäusern oder bei der Abfallbeseitigung bedanken sollte, und dass ansonsten straffällige Ausländer ganz normal denselben gesetzlichen Bestimmungen wie die Schweizer unterlägen.Die Rolle der WelschenFranz Hohlers Sicht scheint zwar grundvernünftig und nach landeskundlichen Kriterien „urschweizerisch“, indes sie wurde nicht allgemein geteilt. Die anderen bürgerlichen Parteien begegneten der SVP-Initiative mit ihrem so genannten Gegenvorschlag, in dem die Integration der Ausländer an die erste Stelle gesetzt, die schwammige Rechtslage der Ausschaffungsinitiative spezifiziert und die drakonischen Strafen etwas abgemildert wurden. Die sozialdemokratischen Parlamentarier, bei der Ausarbeitung dieses Papiers noch dabei, wurden aber dann von ihrem Parteitag gezwungen, diesen Gegenvorschlag mit der öffentlichen Parteiparole ebenfalls abzulehnen.Kaum lagen die Abstimmungsergebnisse vor, wurde dann bestätigt, was man geahnt hatte. Schließlich befürworteten vergangenen Sonntag knapp 53 Prozent der Stimmenden in der Schweiz die Ausschaffungsinitiative. Das Schweizer Volk stimmte praktisch gleich wie zur fatalen Minarettsverbot-Initiative von vor einem Jahr. Von den 26 Kantonen der Schweiz waren nur sechs dagegen, vor allem die französische Schweiz sagte Nein. Als einziger Deutschschweizer Kanton lehnte Basel-Stadt die Initiative ab, was mich als Bewohner dieses Kantons maßlos stolz macht. Aber auch die Städte Bern (70 Prozent Nein) und Zürich (60 Prozent Nein) stellten sich krass gegen das Umland. Der Gegenvorschlag hatte nirgends eine Chance.Die Schweiz, obwohl so dicht besiedelt wie kaum ein anderes europäisches Land, ist in weiten Teilen massiv anti-urban eingestellt. Zwar wohnen drei Viertel der Bewölkerung in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern und Agglomerationen, man fühlt sich aber nicht als Städter. Anders nur in den größeren Städten. In ihnen, die ja eigentlich unter den kriminellen Migranten leiden sollten, wird eine schärfere Ausländerpolitik massiv abgelehnt. Hier gibt es tatsächlich jenes weltoffene Klima, mit dem offiziell gerne geworben wird. Aber auch in der Agglomeration der Wirtschaftszentren gab es überdurchschnittlich viele Neinstimmen. Last but not least waren die Unterschiede zwischen deutscher und französischer Schweiz enorm. Vielleicht haben die Welschen, selbst eine Minderheit in der Schweiz, mehr Sympathien für andere Minderheiten? Oder dass sie, mehrheitlich Befürworter des Schweizer EU-Beitritts, nicht an eine isolierte, nationale Lösung dieses Problems glauben.Kultur kann man abschaffenDas Unbehagen über den reaktionären Heimatblock und das xenophobe Hinterwäldlertum, über diesen Stadt-Land-Antagonismus hat sicher die Einmischung von Kunst und Kultur in dieser Abstimmung befeuert. Schließlich ist es die SVP, welche die Kulturschaffenden immer wieder ins Visier nimmt: Diese Kultur brauchen wir nicht, da kann man ruhig noch mehr sparen, die kann man auch ganz abschaffen.Unklar bleibt indes, wie viel die ganze Mobilisierung durch die Kultur bei dieser Abstimmung gebracht hat. Offensichtlich müssen sich fortschrittliche Kräfte, zu denen die Kulturschaffenden hoffentlich gehören, fürderhin darauf einstellen, dass der Stadt-Land-Gegensatz immer stärker ins Gewicht fällt. Das ist jetzt schon in einem anderen Zusammenhang der Fall, nämlich bei der Kultursubvention. Wie immer geht es ums Geld. In Basel tobt seit eh und je der Konflikt, dass das breite Angebot der Kulturinstitutionen von der Bevölkerung des umliegenden Kantons Basel-Land zwar begierig benutzt, aber nicht oder nur unzureichend finanziell unterstützt wird. Federführend in diesen Subventionsdiskussionen und -streichungen ist stets die SVP.Teures GeschäftDie Steuern in den größeren Schweizer Städten hingegen sind unverhältnismäßig hoch. Diese Steuergerechtigkeits-Initiative der Sozialdemokraten wollte vor allem einen schweizweit einheitlichen Mindeststeuersatz für die hohen Einkommen und Vermögen, um da ein bisschen Gerechtigkeit zu schaffen. Nun will man dem Schweizervolk nicht mangelndes Gerechtigkeitsgefühl unterstellen, noch wichtiger scheint aber der Wunsch vieler Schweizerinnen und Schweizern zu sein, eines Tages selbst zu den Begüterten und Besitzenden zu gehören, sie lehnen solche Initiativen deshalb rundweg ab (einst wurde auch eine moderate Reichtumssteuer abgelehnt). Wie zu erwarten, ist die Steuergerechtigkeits-Initiative dort am deutlichsten verworfen worden, wo der niedrigste Steuersatz für Reiche herrscht.Während die Kulturschaffenden massiv gegen die unmenschliche Ausschaffungs-Initiative mobil gemacht haben, gab es allerdings wenig Unterstützung für die Steuergerechtigkeit. Wahrscheinlich zahlen Künstlerinnen und Künstler einfach zu wenig Steuern, damit sie sich für dieses Thema erwärmen können. Nein, im Ernst, der Grund dürfte eher darin liegen, dass es ein mühseliges, kräfteraubendes und teures Geschäft ist, eine politische Abstimmungskampagne gegen die Profis aus den politischen Parteien aufzuziehen; es war eben keine Selbstverständlichkeit, dass sich ein so heterogenes Völkchen wie die Schweizer Kulturschaffenden gegen die Ausschaffungs-Initivative organisiert haben.Bleibt festzuhalten: Gleich nach der Annahme der Initiative kam es in den größeren Städten zu Demonstrationen gegen die Fremdenfeindlichkeit. Denn sie und nur sie ist Grund für die Annahme der Ausschaffungs-Initiative.
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