In einem Land, das täglich von gegen jedes Linkssein gerichteten Paradoxien geschüttelt wird und das inzwischen fast jede Woche irgendeine kirchlich gesegnete Staatsfeier mit nicht ganz unbegründeten antisozialistischen Akzenten erlebt, ist Rechtsextremismus offiziell kein Thema.
Zwar werden die "patriotische Rechte" und deren verschiedenste Abzweigungen bis hin zu eindeutig rassistischen, antisemitischen, faschistischen "Nebenerscheinungen" nicht gänzlich verschwiegen - aber doch als "ein in der Demokratie durchaus verständliches Phänomen" verharmlost. Polen sei immer schon ein tolerantes Land gewesen, heißt es dann.
Als ich am 14. August beim Pressedienst der Polizei-Kommandantur in Warschau um die Bestätigung oder Dementierung einer von antifaschist
von antifaschistischen Jugendgruppen seit 1990 aufgestellten "Chronik faschistischer Umtriebe und Gewalttaten" (über 50 Tote und fast 16.000 Überfälle) nachsuchte, wurde ich auf eine allgemeine Statistik verwiesen. Da aber existiert keine Rubrik "Rechtsextremismus".Der Begriff ist auch den meisten polnischen Medien fremd. Nach Krawallen oder Anschlägen - zum Teil sogar mit tödlichen Folgen - kann man auf öffentlichen und privaten Fernsehkanälen erfahren, "Hooligans" seien wieder einmal am Werk gewesen. Die Polizei habe einige davon festgenommen, aber bald wieder auf freien Fuß setzen müssen: keine gesetzliche Haftgrundlage! Der seit einem Monat amtierende neue Justizminister Lech Kaczyski (Wahlaktion Solidarnosc/AWS) verlangte vor wenigen Tagen schärfere Maßnahmen gegen ein "organisierten Verbrechertum" - die Untaten der nationalistischen Jugendszene erwähnte er mit keinem Wort.Kürzlich wurde von den Kanzeln und durch das berüchtigte Radio Maryja des Paters Rydzyk eine Kampagne gegen den Kiosk-Verkauf der antiklerikalen Wochenzeitschrift Fakty gestartet und zum Erfolg geführt, zugleich aber kann man fast überall eindeutig pro-faschistische Zeitschriften wie Szczerbiec (der Begriff bezieht sich auf das Schwert von Bolesaw Chrobry, dem ersten polnischen König, der damit 1024 das Stadttor von Kiew zerschlug) erstehen. Das Angebot nationalistischer Magazine wie Nasza Polska (Unser Polen), Tylko Polska (Nur Polen) oder Gazeta Polska (Polnische Zeitung) - um nur einige zu nennen - lassen sich kaum übersehen. Publikationen wie "Die Weisen von Zion", "Die Holocaust-Lüge" und ähnliches von David Irving sind nicht nur in einschlägigen Buchhandlungen zu haben, die werden auch an Ständen vor den Kirchen - zum Beispiel der Heiligen Brygida in Gdansk bei Pater Jankowski - feilgeboten.Dass dies eine Schande sei, davon geben sich die tonangebende liberale Gazeta Wyborcza wie die sozialdemokratische Trybuna überzeugt. Mit anderen Worten - ein bestimmter Kreis der polnischen Öffentlichkeit ist über rechtsextremistische Aktivitäten durchaus im Bilde, zumal es des öfteren bereits zu spektakulären Vorfällen kam - beispielsweise zu Überfällen von Skins der Gruppierung Die Unsrigen, der Republikanischen Liga oder der Großpolnischen Jugend auf Abgeordnete des Demokratischen Linksbündnisses (SLD), zu Angriffen auf Umzüge am 1. Mai oder sogar zu Provokationen des Staatspräsidenten.Doch die Gefahr wird ignoriert - Jan Kowalski, der Durchschnittspole, erfährt so gut wie nichts über den Rechtsextremismus. Ein Freund, der mich am vergangenen Sonntag besuchte, war geradezu entsetzt über eine am 8. August ausgestrahlte Sendung des deutsch-französischen Kulturkanals arte, bei der es unter anderem um die polnische Skinhead-Szene ging. "Ist das wirklich so?" - fragte er mich.Zwei Nächte lang verbrachte ich also im Netz (in Polen derzeit über 1,5 Millionen Teilnehmer) - und was ich durch diese Recherche erfuhr, war haarsträubend und erschütternd zugleich. Ich hatte keine Ahnung, wie viele und verschiedene faschistische Grüppchen und Zirkel es in meinem Lande gibt, wie die miteinander in Verbindung stehen, wie sie auch mit Reklame und Werbung ausgehalten werden, welche Geschäfte sie mit Büchern, Disketten und Platten von verschiedenen Rock-, Metallic-, Rapp-Bands und anderen "Formationen" sowie mit faschistischen Utensilien (Kreuze, Wappen, Aufkleber) machen können. Ein ganzer "Industriezweig". Aus den Besucherstatistiken auf mehr als von 100 Web-sites geht hervor, dass die "Leserklientel" für einzelne Seiten bis zu 70.000 und in einem Fall sogar über 100.000 reicht.Immer wieder tauchen dabei Namen gewisser Figuren der polnischen Politikerszene auf - zum Beispiel von Tejkowski, dem Boss der Nationalen Verteidigung Polens (NOP), von Jan Bryczkowski, der einen ähnlich genannten Verein anführt, von Jan Opuszaski, einem Sejm-Abgeordenten, der sich gerade um die Präsidentschaft bemüht. Obwohl die rechtsextreme Szene vorwiegend römisch-katholisch schwarz gefärbt ist (da wird zum Beispiel die Enzyklika von Pius XI. "Caritate Christi Compulis" zitiert: "Die rechte Ordnung christlicher Barmherzigkeit verbietet weder die wahre Vaterlandsliebe, noch den Nationalismus; ganz im Gegenteil - sie kontrolliert und heiligt ihn"), gibt es bei der vorwiegend "panslawistischen" Provenienz auch heidnische Strömungen. So stark nationalistisch orientiert, unterhalten die polnischen Faschisten über ihre "Infopatria" weltweit äußerst rege übernationale Kontakte zu gleichgesinnten Kreisen: in den USA und in der Ukraine, in Belgien, Österreich, Italien, Südafrika, Frankreich und - was ja nicht verwundert - in Deutschland. Die Deutsche Stimme und die Nationalen Nachrichten werden gleich auf mehreren Netzseiten propagiert. Untereinander fühlt man sich mit Parolen wie "Weg mit der zionistischen Okkupation der ganzen Welt" und "We must secure the existence of White race" verbunden.Dass dies alles auch für Polen ein Problem sein könnte - will den meisten meiner Landsleute nicht in den Kopf ...