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Politik : Was will François Hollande? Interessiert das, neben Merkozy? -Teil I

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Der einäugige Blick aus der Ferne, jeder Nähe abhold - Deutsche Beobachtungseinseitigkeiten des französischen Wahlkampfs und wie man ihnen begegnen könnte

Es ist schon sehr auffällig, dass sich die europäische „Holzpresse“, die Online-Zines und die Bloggosphäre gemeinschaftlich dazu entscheiden haben, den französischen Wahlkampf um die Präsidentschaft vornehmlich aus der Perspektive des Amtsinhabers und seiner neuen Cohabitation, Angela Merkel, zu betrachten.

Allenfalls noch die fremdenfeindliche und nationalistische Front National Chefin, Marine Le Pen, erregt so viel Aufmerksamkeit, dass im Dutzend über ihre Schwierigkeiten berichtet wird, die nötigen Deputierten und Funktionsträgerstimmen hinter sich zu bringen, um überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden. - Es herrscht Personalisierung pur, mit dem Beigeschmack der extremen Verengung auf ein nicht wirklich zusammen passendes Paso-Doble Paar.

Niemand interessiert sich ernsthaft, ausser in Frankreich selbst, für die politischen Gegenpositionen und Gegenpersönlichkeiten zum kleinen Mann, nebst schöner Gattin und Kind im Élysée, obwohl doch dessen Realpolitik eine Katastrophe für das Land war und weiterhin ist. Sarkozy sucht nun sein Heil in den schweren, aber kurzen Armen seiner politischen Richtungsfreundin aus dem, nach (finanz)wirtschaftlichen Kennzahlen, eindeutig stärkeren Deutschland. Auch das kommt nicht so gut an, in der „France profonde“ (das eigentliche Frankreich).

Wenn auch diese tönerne Stärke Deutschlands im Inneren schon einige große, hohle Stellen aufweist und daher nicht unbedingt den Realitäten hinter dem Kennzeichen D entspricht, so nimmt kaum jemand in den deutschen Medien diese wirre Flucht an „Muttis“ breiten Busen unter die Lupe.

Die Probleme in Deutschland haben es derweil an sich, still und eher unbeaufsichtigt vor sich hin zu muckern! Die schon vorprogrammierte Altersarmut, die Ausdehnung von Niedriglohn, der Aufbrauch der angesparten materiellen Reserven bei der Unterschicht und unteren Mittelschicht, die überproportionalen Zuwächse an Einkommen und Vermögen bei den obersten 2-10% der Einkommenspyramide und vor allem, bei den Vermögens- und Besitzreichsten, die Überalterung der Gesellschaft, sie werden verdeckt durch die Gewohnheit der Medien, immerzu Durchschnittszahlen, die verzerrt positive Bilder vorgaukeln, zu publizieren. - Reicht das intellektuelle Rüstzeug nicht mehr zur Analyse? - Dereinst werden diese Fakten gewaltig ärgern, im ach so zahlenmäßig starken Germanien.

In Frankreich stehen die Konfliktparteien stärker auf der Straße, sind sichtbar, und das nicht nur über Personen. Der soziale Kampf in den Regionen und Suburbanisationen der Ballungsräume ist spürbarer und Alltag in den Medien. Das gilt auch deshalb, weil wesentlich mehr junge Leute (bis zu 30 oder gar 40%) direkt wirtschaftlich und sozial betroffen sind. Sie bekommen keine Arbeit, egal wie gut ihre Ausbildung war.

In Deutschland gibt es dafür die als „Wutbürgerschaft“ medial und politisch verunglimpften Protestbewegungen gegen Großprojekte, die aufgrund der etablierten einseitigen medialen Bewertung und der geringen Recherchetiefe der Presse auch keine großen Erfolge vorweisen können. Es fehlt ihnen an dauerhaft sichtbaren Persönlichkeiten, also an dem, was die Presse- und TV-Medien mehrheitlich wirklich suchen!

Die Mammutprojekte zur Gewinnmaximierung der Bau- und Immobilienwirtschaft und des weitgehend monopolisierten großen Center-Einzelhandels laufen daher unbeeindruckt weiter ab und gewinnen sogar Volksentscheide. Die Zusatzkosten, Preisüberschreitungen und Fehlkalkulationen werden über Fahrpreise, Immoblienpreise und zusätzliche staatliche Finanzierungen, die geschickt über ein Jahrzehnt oder noch länger gestreckt in die staatlichen und kommunalen Budgets eingehen, abgesichert.

Ab und an muss ein Ministerpräsident sein Lieblingsobjekt, z.B. eine legendäre Rennstrecke, doch einmal aufgeben, weil er beschissen wurde und sich auch recht gerne bescheißen lies. Dann kommt eher zufällig ans Licht, wie die Millionen- und Milliardengräber der vorgeblich weitsichtigen Strukturpolitik mit Steuermitteln und unter Schuldenaufnahme, die alle etablierten Parteien bevorzugen, wirklich funktionieren.

Was steht in François Hollandes 60 Punkten?

I - Frankreich wirtschaflich auf die Füße stellen

Der Kandidat möchte Frankreich vom Kopf auf die Füße stellen (Redresser la France).

Er plant eine Abkehr von bisherigen Modellen der Großplanung, die zentral und langfristig vom nationalen Staat bestimmt werden und vornehmlich die größere Industrie und das nationale Dienstleistungsgewerbe stärkten. Dafür möchte er die PME (= Les petites et les moyennes entreprises), das sind die kleine und mittelständische Betriebe, fördern und den regionalen Verwaltungen das Recht zugestehen, mit eigenständigen Budgets, für die der Zentralstaat die Mittel bereit stellt, regionale Wirtschaftsförderung zu betreiben.

Schaltzentrale dieser neuen Wirtschaftspolitik mit Priorität für die Regionalwirtschaft, soll eine neu geschaffene, staatliche Investitionsbank sein, die am Markt nicht als Abschöpferin von Zins und Spekulationsgewinnen auftritt, sondern als reine Kreditbank für die Realwirtschaft arbeitet.

Vordringlich sollen Projekte gefördert werden, die ökologisch verträglich sind und die energiewirtschaftliche Einseitigkeit Frankreichs (große nukleare Kraftwerke) abmildern.

Eine weitere Maßnahme soll ein ca. 20 Milliarden Euro starker Förderfond sein (Livret d´ Éspargne), der vornehmlich die Projekte der PME stützt die sich der nachhaltigen Betriebssanierung widmen. Die Basisfördersumme dieses schon eingerichteten Wirtschaftsförderungsinstumentes, - ehemals ein Idee der heutigen Weltwährungsfondchefin (IWF) Christine Lagarde in ihrer Amtszeit als Dominique de Villepins Finanzministerin-, soll von 6.000 Euro auf 12.000 Euro steigen und unbürokratisch für die genannten Zwecke eingesetzt werden können. Die Förderung erfasse dann auch die TPE (Très petit entreprises), also sehr kleine Unternehmen. Gemeint sind damit selbständige Einzelunternehmer und kleinste Familienbetriebe. - Das wäre z.B. in der Tourismuswirtschaft sinnvoll, bei der kleine Pensionsbetriebe in den Regionen ihre Zimmer und Logis im Standard anheben könnten, die dazu derzeit weder die nötigen eigenen Rücklagen, Sicherheiten oder Zins- und Tilgunsentnahmen aus dem laufenden Geschäft für Bankkredite aufbringen können. Diese Unternehmen profitierten auch von einer energetischen Sanierung ihrer Immoblien.

Staatliche Finanzierungen solle es zukünftig nur noch für jene Betriebe geben, die auch in den Regionen produzieren und dort Leute einstellen. - Das ging bisher auch ohne diese Kritierien, wenn die Zentralregierung dies befürwortete.

Problematisch dürfte ein Vorschlag Hollandes für die Großindustrie werden. Er möchte diese Firmen anregen, ihre Produktionsstätten nach Frankreich zurück zu verlegen. Firmen, die hingegen aus Frankreich hinaus gehen, sollen zukünftig ihre staatlichen Zuschüsse zurück zahlen müssen.

Nicht ungewöhnlich für einen Sozialisten, möchte der Kandidat die staatlichen Betriebe, SNCF (Eisenbahn), EDF (Électricité de France), La Poste, in ihrem Status erhalten, also weitere Privatisierungen verhindern und auch die Kontrolle des Staates bezüglich des Geschäftsgebarens nicht aufgeben. Das spielt sicher bei der, von den Sozialisten propagierten, vorsichtigen „Energiewende“ unseres Nachbarn eine große Rolle!

Während Sarkozy sich nun an deutsche Postionen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik anlehnt, pflegt sein Herausforderer die Bindung an die EU. Die europäische Landwirtschaftspolitik, ohnehin der Hauptmotor der Agrarwirtschaft und gleichzeitig Hüter des Subventionsbergs, solle sich auf die regionale und lokale Landwirtschaft konzentrieren und den biologischen Anbau förden. Regionale Versorgungsmärkte möchte Hollande gefördert wissen und die Kreislaufwirtschaft lokal gestärkt sehen. Hier trifft er populäre Anliegen, denn es herrscht dafür in Frankreich mehr Bewusstsein, als es sich je beim Nachbarn an Rhein, Elbe und Donau einstellte. Politisch ist das ebenfalls sehr geschickt, weil der Sozialist die chancenlosen Grünen und die relativ unabhängige alternative Agrarbewegung seines Landes einbinden kann.

Hollande möchte die Geschäftsbeziehungen der privaten und staatlichen französischen Banken mit den Finanzdienstleistern in den globalen Steuerparadiesen verbieten. Das ist ehrgeizig, aber auch schwer durchsetzbar. Vage, weil von so vielen widerstrebenden Partnern in der Wirtschaft und den ablehnenden Regierungen in Europa abhängig, bleiben seine Vorschläge für eine ganzes Steuersystem auf Spekulationen und Transaktionen an den Finanzmärkten. Nicht nur die Tobin-Steuer (allgemeine Transaktionssteuer) sondern auch Abgaben auf Stock-Options und gar Verbote bestimmter Transaktionen schweben ihm vor. Hierzu schlägt er eine europäische Kontrollbehörde vor, bei der alle großen Fiananzgeschäfte notiert werden müssen.

Für das Staatsbudget verspricht er die Einhaltung des 3%-Kritieriums bis 2013 und bis zum Ende seiner ersten Amtszeit einen ausgeglichenen Haushalt. Das ist mutig, liegt aber auf der Linie die derzeit auch Sarkozy fahren muss, will er es sich mit uns Deutschen und unserer Kanzlerin nicht verderben.

Wie will der Sozialist diese Ziele erreichen? - Ob es wirklich reicht, gerade einmal 29 Milliarden Euro durch die Streichung von Subventionen und durch die Schließung von Steuerschlupflöchern einzusparen? Die notwendigen Sparanstrengungen dürften sich eher beim doppelten oder dreifachen dieses Betrags bewegen.

Die Vorschläge zum Arbeitsmarkt bleiben allgemein. Während in der Spitze Boni-Zahlungen und Perspektiv-Zuschläge beschränkt werden sollen, setzt sich der Kandidat für eine Verbesserung bei der prekären Beschäftigung ein. Er plant dafür einen runden Tisch der Arbeitgeber und Gewerkschaften, die einen Sozialpakt verabschieden sollen. - Wer vergleicht, der stellt schnell fest, solche runden Tische waren auch ein Spielzeug des jetzigen Präsidenten. Es kommt darauf an, wo die Regierung dann Platz nimmt, und ob ihr eine neutrale Rolle an jeder Tischform abgenommen wird. Sarkozy saß konsequent bei seinen Freunden.

Auf europäischer Ebene möchte sich Hollande gegen strenge Austeritätsprogramme (strenge Spar- und Fiskalpolitik in der Krise) wehren, die die Krise nur verschärft hätten. - Da prallen unterschiedliche Wirtschaftdoktrinen, insbesondere jene der deutschen konservativen Regierung unter Merkel, sowie jene Großbritanniens unter Cameron, mit der Meinung des Kandidaten zusammen. Denn dort heißt es weiterhin, der Staat müsse funktionell und finanziell zurück geführt werden. - Vorbeugend bietet Hollande Deutschland einen neuen Wirtschaftspakt an. Das ist sicher Wunschdenken, so lange Angela Merkel regiert.

Als neues Instrument der Wirtschaftsförderung auf EU- Ebene, soll es Europa-Obligationen geben. D.h., die EU bietet auf dem Kapitalmarkt verzinste Papiere an, deren Verkaufserlös direkt in die Struktur- und Wirtschaftsförderungsprojekte flösse. Der Herausforderer möchte an den Fünfjahres-Budgets der EU, das nächste läuft von Ende 2014-2020, festhalten.

Hier dürften sich ebenfalls Gräben, dieses Mal zum EU-Parlament, auftun, denn solche längerfristigen Globalbudgets sind von den Parlamentariern kaum mehr zu kontrollieren. Bei der Aufstellung blieben die Regierungen der Mitgliedstaaten und die steuernde EU-Kommission unter sich und bezüglich der verhandelten Sachen immer im Vorteil.

Christoph Leusch

PS: Demnächst kommt Teil II zu den 60 Punkten François Hollandes. Dann geht es um die Bereiche Steuern und Recht, um die Generationengerechtigkeit, den Laizismus, die Integrationsfähigkeiten und Chancen der multikulturellen Gesellschaft, die Rückkehr der Gerechtigkeit, die Wende gegen die Korruption, um die Ausweitung und Erneuerung der Demokratie und die kulturellen und politischen Werte der französischen Gesellschaft, aus der Sicht der Sozialisten.

Wer mehr über die Personen um den Kandidaten wissen möchte, der lese:

www.freitag.de/community/blogs/columbus/franois-hollande-und-seine-quipe-auf-den-stufen-zum-lyse

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.