Das finale Kunststück der Angela M.

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Auf die Bundeskanzlerin wartet das finale Kunststück für ihren Machterhalt. Eine siechende FDP begehrt auf und lässt allen Frust der letzten zweieinhalb Jahre über ihren Koalitionspartner in die Präsidentschaftsfrage münden. Dieser vermeintliche Coup Röslers, Gauck durchgesetzt zu haben, ist der Anfang vom Ende der FDP in Regierungsverantwortung.

"Auch du mein Sohn..."

Für Angela Merkel ist der 19.02.2012 eine Zäsur. Sie musste ihres Machterhalts wegen den ihr unliebsamen Joachim Gauck als Konsenskandidaten für die kommende Bundesversammlung am 18. März akzeptieren. Gauck wird ein unbequemer, ja zuweilen querulantenhaft anmutender Bundespräsident werden, der so das komplette Gegenteil zum erst kürzlich zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff darstellt.

Wie konnte es dazu kommen? Haben die Sozialdemokraten, haben die Grünen in einem atemberaubenden Verhandlungsmarathon letztlich den von einer Mehrheit in der Bevölkerung getragenen Joachim Gauck durchgesetzt, die Kanzlerin überzeugt, ihre vorherige Ablehung im Juni 2010 sei ein grober Fehler gewesen?

Ausgerechnet der siechende Koalitionspartner, die Freien Demokraten unter dem Vorsitzenden Philipp Rösler, legte sich am frühen Nachmittag des 19.02.2012 auf Herrn Gauck als gemeinsamen Kandidaten von Schwarz-Gelb fest und drohte mit dem Ende der Koalition. Nicht die Opposition, sondern der kleine Koalitionspartner nötigte die Kanzlerin mit der Pistole auf der Brust: "Vogel, friss oder stirb!".

Ein herber Rückschlag für den Machterhalt der Kanzlerin

Im Blogbeitrag vom 11.02.2012 schien die goldene Zukunft von Angela Merkel fast schon zum Selbstläufer zu mutieren. Selbst die Konsenslösung mit der Opposition hätte unter gewissen Voraussetzungen Prestige steigernd für die Kanzlerin wirken können. Dass ausgerechnet das Vabanque-Spiel Röslers, sein "All-in" in diesem Poker um Joachim Gauck aufging, mag ein vermeintlicher Achtungserfolg für die FDP darstellen, ist sie es nun, die letztlich als Hauptverantwortliche gilt für den Durchbruch Gaucks zum Konsenskandidaten von CDU/CSU, SPD, Grüne und eben jener FDP; die Unwägbarkeiten in näherer Zukunft jedoch sind nach dieser Zerreißprobe unfassbar hoch.

Hier entlädt sich an einem Nachmittag der gesamte angestaute Frust der FDP für zweieinhalb Jahre Merkelsche Marginalisierung des Koalitionspartners. Röslers Miene in den anschließenden TV-Interviews war hart und sollte von neuer Durchsetzungskraft und politischer Stärke zeugen. Und dennoch ist ein solches Verhalten an politischer Instinktlosigkeit und Mangel an politlischer Weitsicht kaum mehr zu überbieten.

Schwarz-Gelb ist am Ende - eine Beendigung der Koalition nicht in Sicht

In einem normalen Verlauf der Dinge müsste die Kanzlerin nach diesem Affront alsbald die FDP-Minister aus dem Bundeskabinett entlassen und die Koalition aufkündigen. Ein derartiges Maß an Illoyalität und Stillosigkeit des kleinen Koalitionspartners darf sich die größere Regierungspartei und die Bundeskanzlerin, die gerade versuchen die Flammen im Brandherd Europa zu löschen, nicht bieten lassen. Verlässlichkeit ist von der FDP nicht mehr zu erwarten.

Das tückische in dieser Konstruktion: dieser durchaus veritabler Anlass zur Aufkündigung der Koalition ist der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Es wird schon bald zu einer Wiederbelebung des Gauck-Hypes von 2010 kommen und dann könnte gar die FDP den 5%-Himmel wiedererblicken, ein Anreiz diesen Stilbruch Röslers auf andere Bereiche der Regierungsarbeit auszuweiten.

Zudem ist die Machttaktiererei Merkels nun ein Hindernis, da Neuwahlen mit ungewissen Machtverhältnissen im Bundestag derzeit noch eine größere Bedrohung darstellen, als eine von Tollwut befallene FDP, mit der trotz dieses Umstands eine üppige schwarz-gelbe Mehrheit aus der Bundestagswahl 2009 zu Buche steht. Dieses Pendel könnte jedoch demnächst umschlagen.

Die Antizipation von "Schwarz-Rot-Grün"

Vielleicht hat die FDP und Philipp Rösler mit dieser Aktion, mit diesem Handstreich erfolgreich ein Wiederbelebungsversuch unternommen: sollte der Plan Röslers aufgehen, hätte er an nur einem Nachmittag nicht nur Augenhöhe zur Kanzlerin erreicht, sondern die FDP vor dem sich anbahnenden Aussscheiden aus dem Bundestag bewahrt.

Wie aus Unionskreisen zu hören, werde man der FDP ihr Auftreten vom 19.02.2012 lange nicht vergessen. Man kann ohne Übertreibung von einer dauernden Vergiftung des Koalitionsklimas sprechen. Am Ende könnte Rösler die FDP im Bundestag halten, letztlich jedoch ins Abseits und in die vollständige Regierungsunfähigkeit geraten.

Es gibt seit einigen Jahren eine mehrheitliche Überschneidung der großen Politikansätze zwischen CDU, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen. Schwarz-Rot-Grün bestimmt informell spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 die Leitlinien der Politik nicht mehr nur auf Nebenschauplätzen. Die FDP hat den Wandel auf dem internationalen Parkett, der durch die Finanz-und Wirtschaftskrise erst richtig aufblühte, nie verinnerlichen können, so dass sie nur schwerfällig Regierungsentscheidungen zur Eindämmung der Finanzmärkte mittragen konnte.

CSU und Linke bilden allenfalls noch Karikaturen vom rechten und linken Rand und bieten folklorehaft von Zeit zu Zeit die eine oder andere Posse um ihren Ruf noch zu legitimieren. Schwarz-Rot-Grün könnte schon bald aus dem Schatten des Informellen treten und die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung abbilden. Vielleicht dient der Tag, an dem Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten nominiert worden ist, als der Anfangspunkt dieser Entwicklung.

Auf Merkel wartet nun das finale Kunststück ihres Machterhalts

Im Jahr 2009 gelang der Bundeskanzlerin als erste Regierungschefin der Wechsel in eine andere Koalition. Ihr letztes Kunststück wird es jetzt sein dies ein zweites Mal zu wiederholen. Für die Kanzlerin kann seit dem 19.02.2012 nur noch eine Losung bestehen, und zwar wie die FDP als Koalitionspartner abgewickelt wird und wie sie eine Koalition mit der SPD oder Bündnis 90/Die Grünen erreichen kann. Die professionelle Machttaktikerin muss nun wieder von neuem beginnen ihren Weg zum Machterhalt zu finden.

Zwar ist Angela Merkel durch das Aufdrängen Joachim Gaucks zum Präsidentschaftskandidaten schwer beschädigt, wirkt sie doch schwach und gar ohnmächtig darin, sich hinter Gauck stellen zu müssen. Letztlich begreift sie die neue Situation wohl aber als bloße neue Herausforderung mit dem Ziel des Machterhalts und Machtausbaus. Frau Merkel ist sicher nach der Präsidentenkür nicht im freien Fall in die vollkommene Ohnmacht, allerdings zeigt diese Wende in ihrer Position zu Gauck einmal mehr den unbedingten Willen zur Macht, den sie wie viele Male schon vor inhaltliche Überzeugungen stellt.

Gelingt es ihr aber ihre Kanzlerschaft bei einer möglichen vorgezogenen Neuwahl oder bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr mit der SPD oder gar den Grünen fortzusetzen, wird das die Krönung ihrer politischen Laufbahn.

Die Kanzlerin steht am Beginn ihres eigenen finalen Machtpokers.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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