Literatur Peter Handke reist zu einer Nachschrift nach Serbien - ein eigensinniger literarischer Versuch, dem Land in der Wahrnehmung Westeuropas seine Wirklichkeit zurück zu geben
Angeblich – das kleine journalistische Beiwort ist es, gegen das Peter Handke in dem schmalen Buch Die Kuckucke von VelikaHoča anschreibt. Er entdeckt es in allen deutschen Medien, wenn sie aus Serbien berichten. Mit diesem Wörtchen werden Aussagen, die von dort kommen, unglaubwürdig, zumindest vage, und es wird wie nebenbei platziert, ohne jede Mühe. Gibt es da überhaupt etwas Verlässliches, Festes? Ist Serbien nicht eher wie ein tiefes Loch, das sich in der europäischen Geografie gebildet hat?
Handkes Schreiben über Serbien ist nichts anderes als ein eigensinniges literarisches Unterfangen, dem Land in der Wahrnehmung Westeuropas seine Wirklichkeit zurück zu geben. Dafür muss er es selber wahrnehmen, hinfahren, sich aussetzen.
nfahren, sich aussetzen.Verarmtes, geschichtsloses LandIn diesem Loch, das Serbien für Europa ist, darf unmerklich das schlechte Gewissen aller versickern. Zugleich löst sich darin das Bild des einstigen Jugoslawiens endgültig auf. Das sei eine verdiente Strafe für Serbien, reden sich die Beobachter rundum ein, denn es galt – ob zu Recht oder zu Unrecht, sei hier ausgeklammert – als Unterpfand Jugoslawiens, das von Europa eilig und ohne Bedauern aufgegeben wurde. Irgendwann kann Serbien wieder ausgespuckt werden als ein verarmtes, geschichtsloses Land, um das man einen Bogen macht.Indem er Serbien schreibend die verweigerte Aufmerksamkeit zuwendet, wird Handke unwillkürlich zum Kritiker des politischen Opportunismus und der deutschen medialen Selbst-Gleichschaltung. Dieser Text führt – indem er sich den Ungeliebten zuwendet – das so ungleich zugeteilte Mitgefühl vor.Handke nimmt wieder – wie in der Winterlichen Reise von 1995 – die Leser mit auf eine vorsichtige Erkundungsreise. Es geht diesmal in ein serbisches Dorf, eine so genannte „Enklave“ im Kosovo. Mit einem dort geborenen jungen serbischen Dichter, im Auto mit Belgrader Kennzeichen, nicht ohne bange Gefühle, fährt er durchs Land. Ein alter Freund übersetzt. Ein wenig kann er sich auch selbst mit Serbokroatisch weiterhelfen. Mit Englisch unter Albanern. So überqueren sie „die vielen neuen Grenzen außerhalb des nichtvereinigten Teils von Europa“.Überall nur ZeichenhaftesEs ist Ostern. Handke horcht, er beobachtet Serben und zuweilen Albaner, internationale Polizisten und frühere Hilfskräfte, von denen einige hier hängen gebliebenen sind. Sein Erzählen nimmt eine fast unmerkliche Wellenbewegung an, es ist wie ein ständiges, scheues Deuten. Er selbst meint, er habe in allem Erlebten keine Bedeutungen gefunden, auch nicht im nach hinein. „Nur Zeichenhaftes“.Die Enklaven im Kosovo ziehen Handke an, diese in wenigen Dörfern zusammengeschobenen Reste der serbischen Bevölkerung, versorgt von internationalen Organisationen. Die verbliebenen Menschen versuchen sich einzurichten, das ist die Wirklichkeit, die Handke mit seinem Erzählen für die Literatur rettet, doch bei ihm werden diese Dörfer unmerklich auch mythische Orte der Gegenwart – durch die existenzielle Erfahrung des Verlassen-Werdens und der Verarmung unter den Augen der internationalen Institutionen und Mächte, deren Kalkül kaum durchschaubar ist. In der Morawischen Nacht ist eine Fahrt heraus aus der Enklave im verbeulten, überfüllten Bus bis an die serbische Grenze zu einer Schicksalsreise geworden. Solche gibt es an vielen Stellen der Welt. Im kleinen Dorf Velika Hoča, in dessen Mitte die Kirche steht, mit dem Haus des Popen und dessen Frau, sieht er die einen zusammenrücken, die anderen vereinsamen, sieht leere Blicke der Resignation oder das „unheimliche Lächeln (der Geduld?)“. Die Kuckucke rufen von früh bis spät zu Hunderten in jener Osterwoche des vergangenen Jahres. Handke ist Naturbeobachter, auf den Kuckucksruf hatte er schon auf der Reise gewartet, ihn vermisst. Und hier nun „ein regelrechtes Kuckuckswelttreffen“.Er sucht die Quelle des Dorfbachs im Gehölz und steht in einer Wolke von winzigen lila Schmetterlingen, und ist dankbar, wenn ihm ohne Ankündigung die dreizehn alten, verfallenen Kirchlein und Kapellenzwischen verwilderten Weinbergen gezeigt werden, die meisten seit langem verfallen. Manches erlebt er am sehr frühen Morgen, allein..An einem Morgen läuft er hinüber ins einstige Nachbardorf, ein heute rein albanisches, durch das Niemandsland „zwischen den zwei wenn auch nicht mehr deutlich verfeindeten, so doch einander wie endgültig aus dem Sinn geratenen Dörfern“. Er geht hindurch zwischen den Mauern, die die Höfe hoch umgeben und hört keinen Laut. Endlich eine alte Frau, sie schaut aus einer Fensterluke, ihre Blicke begegnen sich. In ihrem sieht er Panik, die sich auch bei seinem Gruß nicht verliert. Etwas ist passiert.Was die Menschen unter den Bomben, die 1999 auch rund um Velika Hoča fielen, und was sie danach erlebten, fragt er nicht. Überhaupt hört er auf, direkt zu fragen. Handke wünscht sich, dass ihm die Dinge zufallen, „unterlaufen“, wie er es in seinem jüngsten, schmalen Buch Bis daß der Tag euch scheidet eine Frau in ihrem Monolog sagt. Die Frau charakterisiert den Mann als einen, der die Dinge immer bewusst tut, sie bestimmt, eingrenzt. Und was er tut, muss etwas bedeuten. „Du warst außerstande, die stille Welt ihre Arbeit tun und ihr Spiel spielen zu lassen – sie, kurz gesagt, zu lassen.“ Was die Menschen in Velika Hoča, wenn er sie lässt, von sich aus erzählen, handelt nicht von Vergangenheiten, sondern vom „jetzt und jetzt“.Viele Serben wollen nicht unbedingt in oder mit Velika Hoča verteidigt werden. Sie wollen zuerst den Anteil der serbischen Schuld an den Kriegen behandeln und das unter sich klären. Das scheint ein Argument für jene, die sich hierzulande über Handke empören. Sie urteilen nach Medien-Zitaten, nur selten haben sie ihn gelesen, sie bekennen sich sogar dazu, als dürfte man diese Texte kaum anfassen. Es ist ein deutscher Komplex: statt Neugier ein Zurückzucken, wenn Menschen einer „falschen Seite“ zugeordnet werden.Die tragische IntensitätIn einer der letzten Ausgaben der Literaturzeitschrift Schreibheft stellt Handke Autoren aus Serbien vor. Sein Übersetzer Žarko Radaković interviewt ihn. Am Anfang stockt man: Handke wirft dem Dichter Charles Simic vor, sich an die Medien verschachert zu haben. Er kann austeilen. Doch Simic hat einen bewegenden Artikel des offenen Protestes während der Bombardierung Belgrads durch die Nato veröffentlicht.Schon in den nächsten Sätzen zeigt sich Handke wiederum als ein wahrer Lesender, und da stellt sich gleich das Vergnügen ein. Er beginnt mit der jugoslawischen Literatur, die er früh las und die „mich genauso auf die Schaukel oder in Schwung gebracht hat wie Sherwood Anderson oder Juan Rulfo oder Jorge Luis Borges“. Das Universelle an den elf jetzt ausgewählten serbischen Schriftstellern sieht er in der „geballten Unauflöslichkeit des Lebens“. Jugoslawien, der Balkan, versammle die „tragische Intensität Europas“.Handke bekennt: „Für mich ist der Rand die Mitte. Es gibt nichts Schöneres als den Rand und die Peripherie. Es ist ein anderer Traum der Welt … Die Randerscheinungen, sie sind halt wie Nordlichter. Sie machen uns staunen, und man sieht die Welt anders nach ihnen.“ Peter Handke hat sich neu auf den Weg gemacht, nachdem er literarisch schon nahezu kanonisiert war. Er richtet den Blick auf etwas, das im Begriff ist, zu verschwinden. Unsere Zivilisation verschmerzt zu leicht, dass sie ihre Unterschiede einbüßt, weil der kapitalistische Markt sie einebnet, sie sträubt sich nicht, hält sich nicht mit Nachsinnen auf, streicht aus, ist einverstanden mit den Verlusten. Handke nicht.
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