Dienstgrad?

Tatort Harte Prüfung vor der Sommerpause: Der Leipziger Tatort "Heimwärts" betreibt die ziellose Fernsehfilmisierung des Sonntagabendkrimis

Es wird Zeit, dass es Sommer wird. Auch, damit der ARD-Sonntagskrimi pausiert; Ermüdungserscheinungen angesichts der letzten neuen Folge – dem Leipziger "Tatort: Heimwärts" – vor der Zeit, in der das Programm nur mit Wiederholungen bestückt wird, sind nicht zu leugnen. Schweifenden Gedankens glitt unser schläfriger Blick vom Fernsehbild auf die Zeitanzeige des nebenstehenden Rekorders (noch 46 Minuten) und wieder zurück, um zu verharren, zuzugucken, einzudringen in diese Folge, um in Wahrheit aber nur etwas wegzuschaffen von dieser Fernsehsendung, ihrem Ende näher zu kommen, und im Gefühl, eine kleine Ewigkeit geschafft zu haben, rutschte der von Stolz ein wenig aufgeweckte Blick wiederum rüber auf die Zeitanzeige – noch 44 Minuten.

Es war also schlimm, es war sogar sehr schlimm, vielleicht war es auch am schlimmsten, wenn auch nicht schlimm in der Weise, wie Bremen letzte Woche schlimm war. "Heimwärts" war unendlich langweilig und spannungslos, ein Amphibien-Film, ein Hybrid aus dem, was der Tatort doch eigentlich sein sollte (Krimi, Krimi, Krimi), und dem, was parallel im ZDF immer läuft (Feelings, Feelings, Feelings), die Fernsehfilmisierung unseres anständigen Sonntagabendkrimis. Irgendwann, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Kommissarin Saalfeld (Simone Thomalla) zum werweißwievielten Mal ihre Mutter aufsuchte, die nicht ans Telefon ging (damit die Tochter auftaucht, wie wir erfahren), und Kommissar Keppler (Martin Wuttke, der es glücklicherweise wieder nicht schaffte, Sätze wie: "Ich? Ich bin Polizist" so zu sprechen, als stünden sie nicht im allergrößten Weltendrama, das auf den Brettern des allergrößten Burgtheaters gerade gegeben wird) zum werweißwievielten Mal von Opa Holst (der große Joachim Tomaschewsky) gerufen wurde, weil dessen eigen Fleisch und Blut ihn disste, irgendwann fragte man sich, ob hier überhaupt noch jemand ermittelt, beziehungsweise an Aufklärung interessiert ist.

Das Opfer kannten wir kaum: Anna Kowski (Anne Werner) war busy as hell und ist dann tot, die Rückschlüsse auf Arbeitsüberlastung im Pflegemilieu, Lohndumping und Seniorenresidenzneubaufinanzierung per für Freundlichkeit überlassenen Vermögen bleiben wenig ergiebig, weder wird differenziert noch zugespitzt. So tut "Heimwärts" nichts, um uns für jemanden vom durchweg unsympathischen Personal (Ausnahme: Opa Holst, Reinform: der junge Leichenbestatter Bergmann) oder auch den Konflikt (Generationen-Clash? Pflegekostenexplosion? Demographieterror?) zu begeistern – aber alles, um sich permanent unseren Gefühlen anzuwanzen: die Musik (Jens Langbein, Robert Schulte Hemming) weiß immer schon ein paar Takte im voraus, wie wir uns jetzt fühlen müssen, und mit Deutlichkeit wird sowieso nicht gespart.
Bei den Bildern ist das ähnlich: Fürs große Kino reicht's naturgemäß nicht, aber der Kamerakran darf schon mal rausgeholt werden, damit Eindruck geschunden wird. Wie die Kamera (Wolf Siegelmann) im Übrigen ziemlich häufig Alarm macht, wo keiner ist: Es passiert ja sonst nicht viel. Und am Ende sind plötzlich alle Frauen schuld.

Was interessieren würde: Was ist eigentlich aus dem jungen Leichenbestatter geworden?
Worauf sonst nicht so geachtet wird, diesmal aber schon: Warum fährt Mutter Holst eigentlich eigens zu Anna Kowski, um in deren Waschküche zu reden?

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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