Scharade der Möglichkeiten

Kino Unendlicher Gesprächsstoff: In „Die Liebesfälscher“ erzählt der iranische Filmemacher Abbas Kiarostami eine Geschichte mit Juliette Binoche, die man so und so sehen kann

Ein idealer Film für Partygespräche, was nicht gegen ihn sprechen muss: Jeder kann eine Theorie entwickeln, um das Rätsel von Die Liebesfälscher (Originaltitel: Copie conforme, also etwa „getreues Abbild“) zu entschlüsseln. Für jeden mag in den Worten, Blicken und Gesten der Charaktere etwas anderes zum Vorschein kommen. Der Film bietet Stoff, denn was man glaubt, an Gewissheiten erstritten zu haben, erweist sich bald als widerruflich.

Der Regisseur, den man nie je ohne Sonnenbrille gesehen hat, ist da keine große Hilfe. In Interviews besteht Abbas Kiarostami listig darauf, der Verantwortung einer Klärung (und gar der Handhabe dazu) enthoben zu sein. Wo dem Anschein nicht zu trauen ist, müsste der Zuschauer sich immerhin auf die Maxime verlassen dürfen, dass Wirklichkeit im Kino immer diejenige ist, für die der Filmemacher sich entscheidet. Man spürt, dass Form und Inhalt hier kunstvoll verklammert sind. Den Bildern ist ein Boden des Zweifels eingezogen, eine Zäsur zwischen dem Sichtbaren und seiner Reflexion. Kiarostami weiß, dass das Auge ein bestechliches Instrument und jeder Spiegel oberflächlich ist.

Dass man den Kniff des Films nicht dingfest machen kann, schmälert nicht den Erkenntnis- und Erlebnisreichtum, den er bereithält. Die Handlung will unter Vorbehalt erzählt werden. Ein englischer Autor (William Shimell) stellt auf einer Lesereise in Florenz ein Buch vor, in dem er offenbar die Wertedifferenz zwischen Original und Kopie aufzuheben sucht. Eine Frau aus dem Publikum (Juliette Binoche) verabredet sich mit ihm für den nächsten Tag in ihrem Geschäft für Kunsthandwerk und lädt ihn zu einem Ausflug in die Toskana ein. Weshalb er sich auf diese Verabredung einlässt, bleibt ebenso unklar wie das starke Interesse, das sie an ihm nimmt. Sie ist anscheinend eine alleinerziehende Mutter, die sich als Französin in Italien entwurzelt fühlt und womöglich gern einen Mann an ihrer Seite hätte. Ihre Begegnung könnte zu einem forschenden Dialog über die existenziellen Fragen werden, die sein Buch aufwirft. Aber beharrlich drängen sich die Komplikationen ihres Alltagslebens ins Gespräch. Die Rollen sind bald klar verteilt. Ihr Verhalten ist absichtsvoll, er gibt sich britisch, selbstgefällig und ausweichend. Dialogische Geselligkeit will sich in diesem gereizten Flirten nicht einstellen, eine Chemie sich zunächst nicht anbahnen.

Original und Reproduktion

Die Reise führt sie nach Lucignano, dessen erste Attraktion zum Thema passt: Im Museum ist ein Gemälde ausgestellt, das man lange Zeit fälschlicherweise für ein Original hielt. Der Ort ist auch bei jungen Paaren beliebt, die sich hier sonntags massenhaft vermählen. In einem Café, dessen Wirtin die beiden für ein lang verheiratetes Ehepaar hält, nimmt der Film eine entwaffnende Wendung. Überraschenderweise fügt auch sie sich in dieses Spiel.

Während Kiarostami das Problem von Original und Reproduktion, Wahrheit und Lüge in diversen philosophischen und ästhetischen Verästelungen durchdekliniert, bricht sich unauffällig eine andere Aura in seinem Film Bahn. Der Zuschauer wird in einen heiter-wehmütigen Schwebezustand versetzt, in dem er einer triftigen Studie der Reflexe und Verwerfungen eines Ehelebens folgt. Womöglich haben die beiden an diesem Ort vor 15 Jahren geheiratet. Lassen sich erloschene Gefühle neu beleben, lässt sich eine auch erotische Reizbarkeit neu erlangen? Muss auf Annäherung unweigerlich Zurückweisung folgen? Auch das bietet dankbar unerschöpflichen Gesprächsstoff.

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