Am 20. April 1889 kam der 12. Imam in Braunau am Inn zur Welt. Er hatte eine erstaunlich helle Haut für einen Abkömmling der arabischen Halbinsel – dafür besaß er aber mindestens jenes Maß an Selbstbewusstsein und weltanschaulicher Festigkeit, wie man es von einem Propheten erwarten konnte. Und das passte gut zum Vorhaben der deutschen Gesandtschaft in Teheran: Im Februar 1941 war sie als erste auf die Idee verfallen, Adolf Hitler als vom Koran vorhergesagten Erlöser der Muslime zu präsentieren, auf dass sie in dem schnauzbärtigen Diktator die endlich wieder gegenwärtig gewordene Lichtgestalt ihres Glaubens erkennen mochten. Man müsse den Muslimen klarmachen, heißt es in dem Papier der Gesandtschaft, „dass in der Gestalt Ad
Kultur : Der zwölfte Imam
"Hitlers Muslime": Volker Koop hat sich mit den historischen Beziehungen der Nationalsozialisten zur Welt des Korans befasst
Von
Kersten Knipp
Adolf Hitlers der Zwölfte Imam von Gott auf die Welt gesandt worden ist.“Die Zitate und Passagen, die der Historiker Volker Koop in seinem Buch über Hitlers Muslime zusammengetragen hat, sind nicht ohne Komik, trotz aller Ernsthaftigkeit des Themas. „Hitlers Muslime“: Darunter kann man die Muslime verstehen, die in den Strukturen des Dritten Reiches ihren Dienst taten – allein die SS hatte bis Ende 1944 rund 150 000 „fremdvölkische“, überwiegend muslimische Soldaten einberufen. Der Titel zielt aber auch auf die Vorstellungen, die Hitler von den Muslimen hatte. Die waren nicht sonderlich konzis, entsprachen aber strategisch ebenso wie mythisch seinen Vorstellungen einer kommenden Welt. Und das hieß für ihn vor allem: eine Welt ohne Juden. „Es würde mit Deutschland besser stehen“, erklärte Hitlers Adjutant Heinrich Himmler, „wenn damals in Wien der Herrgott nicht den Deutschen, sondern den Muselmanen den Sieg gegeben hätte. Dann hätte sich das jüdische Christentum nicht über Europa ausbreiten können.“Schutz vor StalinUnd so sollten auch die Muslime helfen, den Kurs der Geschichte nun ein für alle Mal zu korrigieren. Es war das Unglück mehrerer zehntausend Muslime und ihrer Führer, den Worten des deutschen Diktators Glauben geschenkt zu haben. Freilich, den zwölften Imam sahen sie nicht in ihm, weshalb die NS-Propaganda entsprechende Inszenierungspläne auch bald wieder fallen ließ. Aber die Menschenfänger in Berlin entwickelten andere Mittel, die Umworbenen zu ködern. „Letztlich wurden auch die Muslime von den Nationalsozialisten getäuscht und missbraucht – wie Millionen anderer Menschen auch“, schreibt Koop in der Einleitung seines Buchs.Zuhilfe kamen den Nazis dabei zwei historische Konstellationen, die zumindest manche Muslime empfänglich für die Heilslehren aus Berlin machten; oder besser: sie hoffen ließen, aus deren Durchsetzung ihrerseits politischen Nutzen zu ziehen. So mussten die Muslime Zentralasiens seit der Russischen Revolution und insbesondere unter Stalin von ihrem Glauben abschwören und mit dem Kommunismus eine Ideologie übernehmen, die zumindest den älteren Generationen zutiefst fremd geblieben war. „Ich habe ein Interesse daran, dass sie strenggläubig sind“, erklärte Hitler in zynischer Kälte. Er versprach den Muslimen, sie vom kommunistischen Joch zu befreien und zu eigenständigen Staaten zu verhelfen. Diese Aussicht beflügelte zahllose Muslime der Region, die Nationalsozialisten zu unterstützen, nicht ahnend, dass diese gar nicht daran dachten, ihr Wort zu halten. „Es ist dieses Verlangen selbstverständlich ein Unding“, hieß es lapidar im Schreiben eines SS-Kommandanten an Himmler im November 1943. Dass die islamischen Soldaten auf die Verheißungen der Nazis auch sonst nichts hätten geben dürfen, erkannten sie zu spät. Am Ende des Weltkrieges wurden fast alle von ihnen an die Sowjets ausgeliefert und von diesen auch umgehend hinrichtet.Pakt mit dem TeufelHitler missbrauchte nicht nur die zentralasiatischen Muslime in ihrer Notlage für seine Zwecke. Ebenso hoffte er, aus der Situation der Araber am Mittelmeer, insbesondere der Palästinenser, Kapital zu schlagen. Nach langer Zeit unter kolonialer Vorherrschaft sahen sie seit 1917 der Gründung einer „jüdischen Heimstätte“ entgegen. Hitler war für sie die entscheidende politische Figur, die die Folgen der Balfour-Deklaration noch einmal würde abwenden können. Die Nazis versuchten, ihre Furcht vor einem jüdischen Staat für ihre Sache einzuspannen – zwar nur mit mäßigem Erfolg. Der allerdings ist fotografisch festgehalten und versorgt bis heute die Debatten um den vermeintlichen oder tatsächlichen Antisemitismus mancher Araber beziehungsweise Muslime mit spektakulären Bildern. Die Fotos, die Amin al Husseini, den Mufti von Jerusalem, im vertrauten Gespräch mit Hitler oder beim freundlichen Handschlag mit Himmler zeigen, sind inzwischen Teil des kollektiven Gedächtnisses. Hitlers Antisemitismus und Husseinis Kampf gegen eine „jüdischen Heimstätte“ gingen ein Bündnis ein, aus dem beide Seiten ihren Nutzen ziehen wollten: Die Nazis hofften auf arabische Kämpfer, die zumindest einen Teil der britischen Truppen am östlichen Mittelmeer binden würden. Husseini hoffte, das Unabwendbare doch noch zu verhindern. „Die Achsenmächte sind bereit, die jüdisch-nationale Heimstätte in Palästina zu beseitigen, die gegen die Interessen der arabischen und islamischen Welt gerichtet ist.“ So formulierte er es im Entwurf zu einer Erklärung, die die Unterschriften Hitlers und Mussolinis tragen sollte. Unterzeichnet haben die beiden nicht.Volker Koop hat ein akribisch recherchiertes Buch geschrieben, das einen ebenso weiten wie tief schürfenden Blick auf die Beziehungen des Dritten Reiches zu den Muslimen wirft. Die Ergebnisse, die Koop zusammenträgt, lassen es angeraten erscheinen, heutige Diskussionen über muslimischen oder arabischen Antisemitismus mit äußerster Vorsicht anzugehen. Vor allem legen sie nahe, der Macht der Bilder zu misstrauen. Denn Amin Husseini war nicht zuletzt auch ein Selbstdarsteller. Den Nationalsozialisten präsentierte er sich als Führer von Massen, deren Zahl erheblich kleiner war, als er es darstellte. War Husseini ein Antisemit? Koop beantwortet die Frage nicht eindeutig, das Quellenmaterial lässt es nicht zu. Eines lässt sich aber wohl klar sagen: Den Pakt mit dem Teufel scheute Husseini nicht.