Wenn das Attribut "historisch" berechtigt ist, dann war der 13. Juni auf der koreanischen Halbinsel zweifellos ein solch historischer Tag von beachtlichem Symbolgehalt. Offiziell befinden sich die beiden koreanischen Staaten noch im Kriegszustand - und schon werden nach dem Gipfeltreffen Visionen heraufbeschworen, wie sich auf friedlichem Wege ein Zusammengehen in Form einer Konföderation gestalten könnte. Doch wird hier einer vorerst nur denkbaren, nicht sonderlich realistischen Option vorgegriffen. Kim Dae Jung und Kim Jong Il wollten sich denn auch vorrangig mit der Familienzusammenführung und dem Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen befassen. Nicht wenig - bedenkt man, dass bisher allein Feindbilder und Feindseligkeiten den Umgang miteinander prägten. Eine frie
Politik : Friedensgeflüster im Kriegszustand
Nur jenseits gegenseitiger Unterwerfung wird auf das Treffen von Pjöngjang auch ein Dialog folgen
Von
Rainer Werning
riedliche Ära kann nunmehr vermutet, eine dauerhafte Annäherung erwartet, doch eine (Wieder-) Vereinigung keineswegs auf die Tagesordnung gesetzt werden. Für die nordkoreanische Führung war dieser Gipfel zweifellos ein diplomatisch-politischer Coup der besonderen Art, hatten doch noch Anfang der neunziger Jahre das hochdotierte Londoner Economist Intelligence Unit und das Washingtoner State Department dem Regime im Pjöngjang eine ähnlich rapide Implosion wie den Systemen in der Sowjetunion und in Osteuropa prophezeit.Eigentlich sollte ein solches Treffen schon vor sechs Jahren stattfinden. Die damaligen Präsidenten - Kim Young Sam und Kim Il Sung - hatten sich, teils eingefädelt vom US-amerikanischen Expräsidenten Jimmy Carter, auf eine Begegnung verständigt und bereits das Protokoll abstimmen lassen. Doch Mitte Juli 1994 starb in Pjöngjang der "Große Führer und Geliebte Führer", und Washington hatte Nordkorea wegen seiner vermeintlichen Gewinnung waffenfähigen Plutoniums in dessen Kernkraftkomplex Yongbyon kurzerhand zum "Schurkenstaat" erklärt. Das geschah recht spektakulär - eher stillschweigend traf man hingegen im Frühjahr 1995 jene amerikanisch-nordkoreanische Vereinbarung, die Umrüstungen in Yongbyon und die Lieferung von Leichtwasser-Reaktoren und Kohle an Pjöngjang im Wert von etwa vier Milliarden US-Dollar vorsah. Zeitgleich wurden "Liaison-Büros" in beiden Hauptstädten eröffnet - auch wenn sich die Clinton-Administration nach außen hin nicht rührte und die Schurkenstaat-Stigmatisierung Nordkoreas aufrecht erhielt. In Seoul allerdings setzt man seit dem Amtsantritt Kim Dae Jungs im Februar 1998 demonstrativ auf eine "Sonnenscheinpolitik" gegenüber dem Norden - wohl wissend, dass man dort auf Hilfe für die seit Jahren infolge verheerender Naturkatastrophen von Hungersnot geplagte Bevölkerung hoffte. Kim Dae Jung war vom früheren "Staatsfeind Nummer Eins" zum Führer in Seoul aufgestiegen und besaß insofern für einen Kurswechsel eine andere Legitimation als seine Vorgänger. Das galt nicht zuletzt auch für den Versuch, sich in einen Prozess zu begeben, an dessen Ende eine vorsichtige Lösung von der dominanten Schutzmacht USA stehen konnte. Mit anderen Worten, durch die Entwicklung der vergangenen Jahre kehrt Korea mit seinen beiden Staaten historisch gesehen an einen Wendepunkt zurück, der 1945 nach dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft (1910-45) schon einmal gegeben schien und mit der Erwartung verbunden war, wieder selbst eigene Geschicke lenken zu können.Doch vor Kriegsende hatten sich die USA und Sowjetunion schon darüber verständigt, Korea auch nach einem Sieg über Japan eine Zeitlang treuhänderisch zu verwalten. Der 38. Breitengrad wurde als Demarkationslinie zwischen zwei Groß- und Siegermächten um so undurchlässiger, je schroffer deren Eigeninteressen aufeinander prallten. Während die Sowjetunion ihre letzten Truppenkontingente 1948 aus dem Norden abgezogen hatte, blieb mit 37.000 stationierten GIs die Präsenz der USA im Süden des Landes ungebrochen. Die Staatsgründungen der Republik Korea und der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik am 15. August beziehungsweise 9. September 1948 markierten die imperial begründete Teilung des Landes.An dieser sensiblen Nahtstelle der Ost-West-Konfrontation kam es zum ersten "heißen" Konflikt des Kalten Krieges (1950-53). Vorangegangen waren auf beiden Seiten (Konter)-Attacken sowie Provokationen, die zum Bürgerkrieg mit häufig wechselnden Frontverläufen eskalierten. Massenmobilisierungen sorgten nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens von Panmunjom Mitte Juli 1953 im nördlichen Landesteil dafür, dass die Grundbedürfnisse der Bevölkerung erfüllt und zeitweilig hohe Wachstumsraten erzielt wurden, was auf gerade unabhängig gewordene Länder des Trikonts faszinierend wirkte. Im Süden herrschte bis Ende der achtziger Jahre eine Militärdiktatur, die sich nicht scheute, auf das Mittel des Staatsterrorismus zurückzugreifen, um ein "Wirtschaftsmodell Südkorea" zu begründen, das den erzwungenen sozialen und nationalen Konsens als entscheidenden Vorzug pries.Die bislang herausragenden innerkoreanischen Annäherungen - gemeinsame Rot-Kreuz-Gespräche, die im Nord-Süd-Kommuniqué vom Juli 1972 gipfelten, und der im Dezember 1991 von Seoul und Pjöngjang unterzeichnete Aussöhnungsvertrag geschahen jeweils im Kontext internationaler Umbrüche. Im ersten Fall war kurz zuvor die Feindschaft zwischen der Volksrepublik China und den USA beigelegt worden, so dass die antikommunistische Propaganda an Überzeugungskraft einbüßte. 1991 verschwand mit der Sowjetunion ein Bündnispartner Nordkoreas von der politischen Bühne, mit dem es seit den sechziger Jahren qua gemeinsamem Beistandspakt verbunden war. Beide Male waren aber auch innerkoreanische Prozesse verantwortlich dafür, dass der Dialog abrupt endete. Schließlich geriet Pjöngjangs Autarkie-Politik durch einen auf Devisenbasis umgestellten Handel mit China und Russland, lang andauernde Perioden von Dürre und Überschwemmungen und eigene wirtschaftlich-technologische Versäumnisse ins Wanken.Eine wirkliche Nord-Süd-Verständigung - von dauerhaftem Frieden und (Wieder)Vereinigung ganz zu schweigen - erfordert regelmäßige Konsultationen auf möglichst hoher diplomatischer Ebene und im Geiste des Aussöhnungsvertrages, mit dem ja bereits ein Regelwerk vereinbart wurde. Die Einbindung anerkannter Persönlichkeiten aus Nord wie Süd in diesen offiziellen Dialog wäre unerlässlich, um so eine staatliche Monopolisierung des Versöhnungsgedankens a priori auszuschließen. Besonders das seit 1948 im Süden bestehende Nationale Sicherheitsgesetz erscheint heute anachronistischer denn je. In eine regionale Friedenssicherung sollten auch die früheren Schutzmächte des Nordens China und Russland einbezogen sein, für die sich möglicherweise ein ostasiatisches Pendant zur OSZE anbietet. Sodann wäre zu klären, wie in sämtlichen Sphären des gesellschaftlichen Lebens ein geregeltes Miteinander gewährleistet und in einen Vereinigungsprozess - als befristete Föderation oder Konföderation - jenseits von Unterwerfungen eingetreten werden kann. All das brächte Bedingungen für zivile Umgangsformen zwischen Nord und Süd - in etwa vergleichbar mit dem Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten nach dem Grundlagenvertrag von 1972. Bis aber die Minenfelder geräumt sowie die Traumata der Bürgerkriegsgeneration in Nord und Süd überwunden sind, dürfte eine aufreibende Dialogphase unumgänglich sein.Der Autor war von 1986 bis 1995 Herausgeber des Korea Forum und hat Süd- und Nordkorea seit 1970 mehrfach bereist.