Medwedjew will Wurst und Freiheit kosten

Russland Die russische Führung hofiert die Opposition. Wenn mit der Wirtschaftskrise soziale Einbrüche drohen, sollen die bisher Geschmähten nicht zusätzlich für Unruhe sorgen

Russlands Präsident hatte gerade das dringende Bedürfnis, russische Bürger- und Menschenrechtler im Kreml zu treffen. Es ging um Pressefreiheit, Schutz der Kinder und Korruption. Dabei holte die Korruptionsexpertin Ella Panfilowa weit aus. Wichtiger als die neuerdings praktizierte Offenlegung der Eigentumsverhältnisse von Spitzenbeamten, sei „die Information darüber, wo die Kinder unserer Elite lernen und arbeiten. Dienen sie in der Armee wie die Enkel der englischen Königin? Sind sie überhaupt bereit, ihre Zukunft mit Russland zu verbinden?“ Wladislaw Surkow, stellvertretender Chef der Präsidialverwaltung, sah angestrengt vor sich hin. Dieser resolute Ton passte irgendwie nicht so recht im Salon des Präsidenten. Doch Dmitri Medwedjew hörte einen nach dem anderen geduldig an und ließ sich auch Kritik an der staatlichen Drangsalierung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gefallen. Das Protokoll der dreistündigen Sitzung wurde dann – höchst ungewöhnlich – auf der Präsidenten-Website kremlin.ru in voller Länge veröffentlicht.

Auf Fingerspitzengefühl kommt es an

Ella Panfilowa hatte ein Klima des Misstrauens beklagt, das durch die noch von Wladimir Putin 2006 verschärfte Registratur für NGOs entstanden sei. Diese Organisationen, von denen viele Gelder aus dem Ausland beziehen, würden permanent unter Verdacht stehen. In Russland gäbe es eine „Krise des Vertrauens“, denn die Gesellschaft traue der Macht nicht und die Macht dem Volk nicht. Um so mehr sei es nötig, dem Land „freie Wahlen mit Konkurrenz“ und „freie Massenmedien“ zurückzugeben.

Der Tag dieser denkwürdigen Begegnung im Kreml, hatte am frühen Morgen mit einer Überraschung am Zeitungskiosk begonnen. Die oppositionelle Nowaja Gazeta titelte mit einem Medwedjew-Exklusiv-Interview, in dem der Präsident zu verstehen gab, er halte nichts von der Formel „Wurst gegen Freiheit“. Eine Abgrenzung zu Wladimir Putin, der diesen Slogan gern als Metapher für den ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag in der Ära nach Jelzin gebraucht hatte. Stabilität und Wohlstand statt Demokratie, ließ sich der überschreiben.

Noch vor kurzem war sich so mancher Russland-Experte zu 150 Prozent sicher: Auch wenn Medwedjew den Staat führe, im Grunde habe sich nichts geändert – Putin ziehe weiter die Fäden. Jetzt aber, da der russische Präsident zusehends an Profil gewinnt und sich um einen guten Draht zu oppositionellen Medien bemüht, will sich niemand mehr daran erinnern. Es zeigt sich, dass es in die Irre führt, Kreml-Politik nur mit Großmachtgehabe und „Knüppel frei für die Opposition“ zu assoziieren. Hinter den Zinnen der einstigen Zaren-Residenz sitzen ein paar kluge Berater, die wissen, dass es gerade in der Krise darauf ankommt, Kontakt mit dem Volk zu halten und notfalls zu inszenieren. Gerade jetzt, wenn die Rohstoff-Erlöse an Fülle verlieren und der Staat weniger verdient, kommt es auf Fingerspitzengefühl an.

Außendienst für Putin

Niemand – auch kein hoch bezahlter Meinungsforscher – weiß heute, was passiert, sollte es in Russland Ende 2009 zehn Millionen Arbeitslose geben. Die Aussichten sind wenig ermutigend: Im ersten Quartal brach die Industrieproduktion um 15 Prozent ein. Erste Unternehmen sind dazu übergegangen, ihre Arbeiter in Nudeln und anderen Naturalien zu bezahlen.

Vielleicht bleibt alles ruhig, vielleicht bricht aber auch – wie im Frühjahr 2005, als Rentner gegen Sozialkürzungen auf die Straße gingen – spontan sozialer Unmut aus. Dem will das Gespann Medwedjew-Putin offenbar vorbeugen und pflegt eine Teilung der Arbeit.
Während Medwedjew die Oppositionspresse und die so genannten „gesellschaftlichen Gruppen“ empfängt, widmet sich Putin dem Außendienst und tingelt durch die Provinz, spricht mit Bergleuten im sibirischen Nowokusnezk und den Autobauern von Lada an der Wolga. Sie sollen den Mut nicht verlieren, der Staat werde helfen. Die Inszenierung läuft immer nach dem gleichen Raster ab: Der Premierminister sitzt in einer Fabrik-Halle auf einem einfachen schwarzen Büro-Drehstuhl, umringt von ausgesuchten Vertretern der Arbeiterklasse, deren Gesichter müde und skeptisch sind. Die unausgesprochene Botschaft lautet stets: Es gibt keinen Grund für Proteste. Ihr müsst kürzer treten, aber wir sorgen für euch.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden