Stegner schielt nach backbord

Schleswig-Holstein Die SPD im Nordwesten schließt eine Kooperation mit der Linken nicht aus. Fürchten muss sie jedoch die zunehmende machtpolitische Beweglichkeit der Grünen

Viel Zeit ist den vier Kieler SPD-Ministern am Dienstag nicht geblieben. Binnen eines Tages mussten sie nach der Entlassung durch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen ihre Büros räumen.

Es ist dies nur eine der vielen Widersprüchlichkeiten des Machtkampfes im Nordwesten: Weil ihm ein anderer Weg zu Neuwahlen verstellt blieb, musste der CDU-Mann ausgerechnet jene Sozialdemokraten rausschmeißen, die er zuvor noch als lebende Beweise der guten Zusammenarbeit gegen den SPD-Landeschef Ralf Stegner ins Feld geführt hatte. Der war es auch, dem zuerst eine Lüge vorgeworfen wurde – bis der Ministerpräsident selbst eingestehen musste, die Unwahrheit gesagt zu haben. Und bei aller Empörung über die angeblich allein durch „Doktor Stegner“ vergiftete schwarz-rote Koalitionsatmosphäre, hört man inzwischen auch deutliche CDU-Kritik am Unschuldslamm Carstensen.

Wie man es auch dreht, es bleibt dabei: Die Landes-CDU will mit dem vorgezogenen Urnengang aus den schwachen Umfragewerten der Sozialdemokraten Kapital schlagen und hofft darauf, mit dem Rückenwind der Bundestagswahl eine schwarz-gelbe Koalition zu schmieden. Die Bundes-CDU, der angesichts des Eiertanzes von Carstensen die Angelegenheit inzwischen eher peinlich zu sein scheint, nimmt das Schauspiel trotzdem hin – immerhin könnte eine Kieler CDU-FDP-Regierung noch einmal für die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nützlich sein.

Bauchschmerzthema Rot-Rot

Und die SPD? Auf der einen Seite ist Stegner im Berliner Willy-Brandt-Haus keineswegs der Lieblingslandeschef. Mit seinem linkssozialdemokratischen Kurs, mit Vorstößen zur Vermögens- und Reichensteuer, hat er sich bei Steinmeier und Co. nicht nur Freunde gemacht. Auch dass es nun zu einer weiteren Landtagswahl kommt, in der das Bauchschmerzthema Rot-Rot eine wichtige Rolle spielen wird, mag manchem in der SPD-Spitze missfallen.

Auf der anderen Seite scheint Stegner noch am ehesten in der Lage, die Sozialdemokraten aus ihrer bündnispolitischen Selbstfesselung im Westen zu befreien. Was im Saarland möglich ist, wäre in Schleswig-Holstein noch eher denkbar, weil keine aufgebauschte Personenunverträglichkeit – Oskar Lafontaine – dazwischen steht. Stegner gehörte immer zu jenen, die eine Kooperation mit der Linken nicht ausschließen wollten. Er zählt außerdem zur Parteilinken, was wiederum der Linkspartei eine Annäherung an den Lieblingsgegner SPD erleichtern könnte.

Regierungsanspruch als Halluzination

Hinzu kommt die bundespolitische Lage. Fällt Kiel, stehen im Westen nur noch Bremen und Rheinland-Pfalz auf der Liste der SPD-regierten Länder. Das würde den föderalen Einfluss der Sozialdemokraten weiter beschneiden und den bundespolitischen Regierungsanspruch vollends zur Machthalluzination verkümmern lassen. Kompensationen bei den bevorstehenden Wahlen im Saarland, in Sachsen und in Thüringen sind nach den aktuellen Umfragen keineswegs sicher.

Das Problem der Kieler SPD sind die in Frage kommenden Bündnispartner. Ob die schleswig-holsteinische Linke tatsächlich in den Landtag kommt, ist noch längst nicht sicher. Der Landesverband machte in der Vergangenheit nicht nur mit positiven Schlagzeilen auf sich aufmerksam. Bei den Bundestagswahlen 2005 erreichte die Linke ein eher unterdurchschnittliches Landesergebnis. In den Umfragen liegt sie derzeit bei vier bis fünf Prozent.


Entscheidender noch aber ist die fortschreitende machtpolitische Öffnung der Grünen gegenüber CDU und FDP. Im Bund deuten gerade dieser Tage neue Signale auf Schwarz-Grün. Auf der Beliebtheitsskala liegt diese Variante bereits fast mit einer FDP-CDU-Regierung gleichauf. Ein Großteil der Anhänger der Grünen (nicht zu verwechseln mit der Basis) wäre es lieber, mit der Union zu regieren als gegen eine Merkel-Westerwelle-Koalition zu opponieren.

Und: Was auf Bundesebene ausgeschlossen wurde, ein Jamaika-Bündnis, wird in Schleswig-Holstein nicht mehr ausgeschlossen. Auch wenn man sich die Landes-FDP dabei als sozialliberal schönreden und Carstensens Regierungspolitik verdrängen muss. Einen Vorgeschmack haben die Protagonisten gerade erst gegeben: Gleich zweimal vertagte der Kieler Landtag eine Debatte über die Pannenserie in der Atomruine Krümmel – mit den Stimmen von CDU, FDP und Grünen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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