Der Verteidigungsminister bringt politisch zu Ende, was er seit Tagen rhetorisch vorantreibt. Er definiert den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr kurzerhand um
Hatte Franz Josef Jung als Verteidigungsminister den Begriff „Krieg“ stets gemieden, sprach Nachfolger zu Guttenberg zunächst von „kriegsähnlichen Zuständen“, um nun auf der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth zum Begriff „nicht internationaler bewaffneter Konflikt“ überzugehen. Alles andere als bloße Semantik, sondern der Zugriff auf eine Terminologie, die dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ein anderes Rechtskorsett verpasst. Und das mit weitreichenden Folgen.
Zu Guttenberg bemüht plötzlich das nicht unumstrittene humanitäre Völkerrecht (ius in bello), das seit Jahrzehnten den Begriff „Krieg“ weitgehend tabuisiert, stattdessen von „internationalen bewaffneten Konflikten“ und „
nd „nicht internationalen bewaffneten Konflikten“ spricht. Während im ersten Fall die militärische Konfrontation zwischen Staaten gemeint ist, zielt der zweite Begriff auf einen Zustand, in dem nationale Streitkräfte in Kämpfe mit aufständischen Gruppen verwickelt sind und sich aus Gründen des Selbsterhalts fremder militärischer Hilfe versichern.Auf Afghanistan bezogen heißt das: Die demnächst wohl 150.000 Soldaten der International Security Assistance Force (ISAF) und der Operation Enduring Freedom (OEF) schirmen keinen Wiederaufbau mehr ab, sondern helfen der dortigen Regierung, einen Aufstand niederzuschlagen. Die Begriffe „Friedensmission“, „Stabilisierungseinsatz“ oder „Aufbauhilfe“ haben ausgedient. Die NATO unterhält als militärisches Rückgrat von ISAF eine Militärkoalition mit der afghanischen Nationalarmee in einer „kriegs-“, genauer: "bürgerkriegsähnlichen Situation". Verteidigungsminister zu Guttenberg bringt politisch zu Ende, was er seit geraumer Zeit rhetorisch vorantreibt. Setzt sich seine Lesart durch, würde für die Bundesregierung wie die Bundeswehr rechtlich vieles anders, um nicht zu sagen: einfacher. Der Einsatz von Gewalt stünde unter keinem Selbstverteidigungsvorbehalt mehr, sondern wäre konfliktkonformes Verhalten. Für einen „nicht internationalen bewaffneten Konflikt“ gelten zwar in völkerrechtlicher Hinsicht Normen, wie sie die Genfer Konventionen von 1949 verankern, das bedeutet aber auch, Verstöße müssen nach nationalstaatlichem Recht des Gastlandes geahndet werden. Auf seinem Boden findet der Rechtsbruch schließlich statt. Wenn überhaupt, wären danach der Bombenabwurf und die 142 Toten von Kundus vor einem afghanischen Gericht zu verhandeln. Was das angesichts einer in dieser Hinsicht kaum entwickelten Rechtsprechung in Afghanistan verheißt, muss nicht weiter ausgeführt werden. Von dem Umstand, dass hier ein Protektorat über seine Schutzmächte richten sollte, ganz zu schweigen. Deutsches Strafrecht hat ausgesorgt Werden die Kampfhandlungen von Kundus bis Kandahar zum „nicht internationalen bewaffneten Konflikt“ erklärt, ist damit noch nicht gesagt, ob sich das humanitäre Völkerrecht überhaupt anwenden lässt oder durch die Wirklichkeit eher außer Kraft gesetzt wird. In einem asymmetrischen Krieg dieser Intensität und Dauer lässt sich etwa die Frage, inwieweit die Zivilbevölkerung geschützt werden muss oder angegriffen werden darf, immer als Sache des Ermessens hinstellen. Menschenleben werden gegen militärische Effizienz abgewogen – Zivilisten nicht zwingend von Kombattanten unterschieden. Dies alles mag nach moralisch-ethischen Kriterien verwerflich sein. Rechtlich lässt es sich künftig nur noch schwer würdigen. Das deutsche Strafrecht hat ausgesorgt, wenn zu Guttenbergs Konfliktdefinition greift. Den Soldaten wäre ein anderer Rechtsstatus zuerkannt, der auf eine garantierte Straffreiheit bei nahezu allen Eventualitäten ihres Handelns hinausläuft. Sie sind keine Bewacher des nationalen Aufbaus mehr, sondern Kombattanten in einem „bewaffneten Konflikt“ und dürfen, was man dann alles dürfen darf. Zum Beispiel Tanklastzüge bombardieren, auch wenn dadurch Zivilisten in Gefahr geraten und getötet werden. Zwar verlangt das humanitäre Völkerrecht, dass die Zivilbevölkerung vor irrtümlichen und willkürlichen Angriffen zu schützen ist. Doch verstößt ein „Kollateralschaden“ nicht in jedem Fall gegen dieses Gebot. Begründung: Der in Afghanistan geführte Guerilla-Kampf macht es oft kaum möglich, Gegner von Zivilisten zu trennen.Auf Tuchfühlung zu Franz Josef Jung Das Bombardement von Kundus am 4. September 2009 lag danach im Ermessen des handelnden Kommandeurs. Von Guttenbergs definitorischer Schwenk versieht den verantwortlichen Offizier mit nachträglichem Freispruch. Genau genommen hält er Tuchfühlung mit Franz Josef Jung. Was der mit dem Recht auf Selbstverteidigung gerechtfertigt hat, legitimiert zu Guttenberg nun mit einem völkerrecht sanktionierten Kriegsrecht.Eine derartige Kurskorrektur bezeugt nicht nur einen Paradigmenwechsel, sondern verspricht politische Vorteile. Den Afghanistan-Konflikt vor der Londoner Afgahnistan-Konferenz mit geschärftem Realitätssinn klar als militärischen Konflikt zu beschreiben, hilft ein unumgängliches Truppenplus wie eine möglicherweise wachsende Zahl von Gefallenen zu begründen. Wenn die Bundeswehr statt in einem „Stabilisierungseinsatz“ plötzlich doch in einem „nicht internationalen bewaffneten Konflikt“ steht, untergräbt dass freilich die rechtliche wie politische Substanz des im Jahr 2008 von einer Mehrheit des Bundestages beschlossenen Afghanistan-Mandats. Zu Guttenberg weiß das sehr wohl, er weiß um die Notwendigkeit, sich seinen Realo-Bellizismus von der koalitionären Mehrheit im Parlament absegnen zu lassen.