Am schnellsten war Bild: 11.03 Uhr meldete das Blatt auf seiner Webseite, dass Oskar Lafontaine nicht nur - das war bereits seit Ende der Woche erwartet worden - sein Bundestagsmandat abgibt. Mehr noch, und diese Nachricht hatte trotz aller vorherigen Spekulationen eine weitaus größere Tragweite, dass er auch im Mai beim Parteitag in Rostock nicht erneut für den Linken-Vorsitz kandidieren wird. Die Information kam direkt aus der Runde der Vorstandsmitglieder, die zu jener Stunde im Karl-Liebknecht-Haus tagten.
Bald liefen die ersten Kommentare über Twitter, wo sich etwa Björn Böhning von der SPD fragte: „Geschichte wiederholt sich?“ - den Unterschied eines sofortigen Rücktritts aus politischen Gründen wie im März 1999 und dem nun ange
99 und dem nun angekündigten Rückzug der Gesundheit verwischend. Auch eine Nachrichtenagentur spielte die historische Vergleichskarte aus und sendete eine „Analyse“, in der es hieß, Lafontaines „abrupte Wendungen sind berühmt-berüchtigt“ - da hatte sich der Saarländer öffentlich noch gar nicht geäußert.Das geschah kurz nach 13 Uhr, und der Medienandrang bezeugte auf seine Weise, dass es sich hier um einen „historischen Tag“ handelt, wie es der Live-Kommentator von Phoenix ausdrückte. Zu der Zeit war im zum Bersten gefüllten Luxemburg-Saal schräg gegenüber der Berliner Volksbühne schon längst nicht mehr das Ob die große Frage, sondern eher das Warum? Lafontaine gab seine Antwort (hier das komplette Statement als mp3): „Ich habe heute dem Parteivorstand informiert, dass ich aus gesundheitlichen Gründen auf dem Parteitag nicht mehr für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren werde und auch mein Bundestagsmandat abgeben werde. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass es sich ausschließlich um gesundheitliche Gründe handelt, und dass diese Entscheidung nichts, aber auch gar nichts, zu tun hat mit den Personaldiskussionen, die wir geführt haben in den letzten Wochen.“Der Krebs, ein Warnschuss „Der Krebs war ein Warnschuss“, so der 66-Jährige, der auch an die Folgen des Attentats vom April 1990 erinnerte. Ob der Bitte des Linken-Chefs, seine Entscheidung und die dahinter stehenden Beweggründe zu respektieren, entsprochen wird, werden die nächsten Tage zeigen. Es lehnt sich wohl kaum zu weit aus dem Fenster, wer vorhersagt, dass die öffentliche Interpretation von Lafontaines Schritt durch andere Themen dominiert werden wird. Zu nah liegen die Personalquerelen der vergangenen Wochen, zu sichtbar sind die politischen Differenzen in der Linkspartei, zu viele offene Fragen bleiben nach dem Streit. Einen „Machtkampf“ zwischen ihm und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, so hat es Lafontaine am Samstag erklärt, habe er darin aber ebenso wenig gesehen wie eine Auseinandersetzung zwischen regierungswilligen Ost-und fundamentaloppositionellen West-Landesverbänden.Richtig: Die Wirklichkeit der Linkspartei lässt sich nicht auf eine Die-gegen-Die-Erzählung reduzieren, wie es die meisten Medien getan haben. Sie ist weit vielfältiger. Unterschiedliche Erwartungen und Traditionen, jahrzehntelang getrennte politische Kulturen, miteinander konkurrierende programmatische Ansprüche - all das ist nicht in Ost-West-Schablonen und Realo-Fundi-Logiken zu greifen. Die Linkspartei lässt sich eher als ein Spannungsfeld begreifen, in der sich auch mal quer zu den bekannten Flügeln politische und taktische Übereinstimmungen bei einem Thema bilden - und bei einem anderen wieder auflösen.„Vereinigung“ steht noch ausAls sich Wahlalternative und PDS vor ein paar Jahren auf den gemeinsamen Weg machten, glückte eine organisatorische Fusion, eine parteipolitische Neugründung. Eine Vereinigung der gesellschaftlichen Linken (oder besser eines beträchtlichen Teils davon), war mit dem formalen Zusammengehen keinesfalls abgeschlossen. Eher hat sie im Sommer 2007 im Berliner Hotel Estrel begonnen. Das ist seit Wochen auch das Mantra von Gregor Gysi: Jetzt müsse die Vereinigung erreicht werden, ein Prozess, der nur gelingen könne, wenn die Beteiligten zur Selbstveränderung bereit wären. Und wenn die Bereitschaft existiert, den „Pluralismus zu ertragen“, der schon aus den Bedingungen des politischen Handelns erwächst: In Sachsen-Anhalt mit 30 Prozent Volkspartei zu sein ist etwas grundlegend anderes als in Bayern mit vier Prozent in der außerparlamentarischen Opposition zu agieren.Dass damals im Mai 2005 überhaupt die ersten Schritte gemacht wurden, hat viel mit der Person Oskar Lafontaine zu tun. Vielleicht sogar alles, wie Gregor Gysi meint (hier das komplette Statement als mp3). Die Ankündigung des früheren SPD-Politiker, für ein gemeinsames Wahlbündnis zur Verfügung zu stehen, habe jenen Druck erzeugt, der auch manche Bedenken in WASG und PDS verdrängte. Viel, angefangen von den Wahlerfolgen vor allem im Westen bis zur Veränderung der politischen Agenda, so der Chef der Linksfraktion im Bundestag, sei ohne Lafontaine kaum vorstellbar gewesen. Es sei ja „nicht die Lage der Betroffenen“gewesen, die andere Parteien dazu gebracht hätten, ihre Positionen zu verändern - etwa in der Sozialpolitik. „Sondern die Form der politischen Auseinandersetzung, die wir gewählt haben.“ Was Gysi damit auch meinte, war der „politische Instinkt“ des Saarländers und seine Fähigkeit zur Provokation.Charisma und AutoritätWenn nun immer öfter von einem „Machtvakuum“ an der Spitze der Linken die Rede ist, dann wird damit nicht nur ein reales Dilemma beschrieben - immerhin wird auch der Co-Vorsitzende Lothar Bisky nicht wieder für diesen Posten antreten, ein neuer Bundesgeschäftsführer muss gesucht werden und mit Bodo Ramelow zieht sich ein weiterer „starker Mann“ aus dem Linken-Vorstand zurück. Über die Neuaufstellung der ersten Reihe wollte am Samstag niemand etwas sagen, lediglich die bereits seit längerem genannten Namen - Gesine Lötzsch, Petra Pau, Klaus Ernst und einige mehr - machten die Runde.Eine andere Frage, die ebenfalls mit dem Bild von Vakuum verbunden ist, zielt auf die herausgehobene Rolle der Person Lafontaines ab. Es ist eine Geschichte von Charisma und Führungsfähigkeit, aber auch der Skepsis gegenüber einer Politik, die so stark auf Personen setzt. Es gab in der Linken immer beides: den Kult und die Kritik. Und mancher von denen, die 2005 noch meinten, besser ohne Lafontaine auskommen zu können, gehören nun zu denen, die am stärksten seine Entscheidung bedauern. Fast jeder in der Partei weiß beides zu erzählen: die Wertschätzung gegenüber dem Political Animal, dem Fachpolitiker und glänzenden Redner Lafontaine - und die Erfahrung, dass manche Größe auch mit Arroganz und Ich-Bezogenheit einhergeht, mit Autorität im schlechten Sinne des Wortes.NRW-Wahl wirft Schatten vorausGregor Gysi hat Lafontaine heute als „nicht ersetzbar“ bezeichnet, er selbst verwies dagegen auf die entscheidende Kraft von „Inhalten und Strategie“ der Linkspartei. Und auf die wird Lafontaine zweifellos von Saarbrücken aus, wo er die Linksfraktion im Landtag führen wird, weiter Einfluss nehmen. Eine wichtige Frage werden die Bedingungen sein, zu der die Linke bereits ist, Koalitionen mit SPD und Grünen einzugehen. Dass Lafontaine dabei skeptischer ist als manch anderer in der Partei, ist bekannt. Per Grundsatzentscheid lässt sich diese Debatte aber kaum beenden - es ist eine Diskussion, die immer wieder den jeweiligen Realitäten vor Ort entsprechend geführt werden muss. Schon jetzt wirft die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ihre Schatten voraus, sie könnte zur Folie für die Programmdebatte werden, die sich die Linkspartei für die kommenden Monate aufgegeben hat.In der Ankündigung Lafontaines haben Spitzenpolitiker von SPD und Grünen die Chance gesehen, die Strömungskonflikte in der Linken anzuheizen - oder das, was man dort dafür hält. Die stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten, Hannelore Kraft, bot Mitgliedern der Linkspartei einen Wechsel an und sprach von einer „Zäsur“. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, die Linke müsse sich nun entscheiden, „ob sie weiter den einfachen Weg in die polternde Fundamentalopposition gehen will oder die Chance ergreift, verantwortlich Politik zu gestalten“. Auch Klaus Wowereit meinte inzwischen, die ungeliebte Konkurrenz müsse nun eine finale Entscheidung „zwischen dem ideologischen linken Flügel und den Pragmatikern“ herbeiführen.Die Linkspartei ist gut beraten, sich auf diese Vereinfachungen nicht einzulassen. Dass das in einer „Mediendemokratie“ nicht leicht ist, dürfte sie in den vergangenen Wochen gelernt haben.