Toter Mann wird reanimiert

Eurokrise Ein Schub für die EU, wie er vom Reformvertrag erhofft wurde, bleibt aus. Der EU-Gipfel sieht sich der schwersten Euro-Krise seit Einführung der neuen Währung gegenüber

Die erste Gipfelkonferenz unter Leitung des neuen Ratspräsidenten Herman van Rompuy begeht die EU nicht gerade in Hochstimmung. Van Rompuy, Gordon Brown, Nicolas Sarkozy, Angela Merkel und all die übrigen repräsentieren eine Gemeinschaft, die von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und des Niedergangs geprägt ist. Das Führungspersonal wirkt erschöpft von dem neun lange Jahre dauernden Versuch, eine neue europäische Ordnung zu installieren. Die Gründe für diesen Überdruss sind offensichtlich. Diplomaten in Brüssel, London, Paris und Berlin bleibt nicht verborgen, dass Europa im globalen Ranking weiter an Boden verliert. Zugleich scheinen die Staatsoberhäupter der EU nicht recht zu wissen, wie sie mit der bisher größten Krise ihrer Einheitswährung seit dem Start des Euro vor acht Jahren umgehen sollen. Kleine Machtkämpfe über Fragen, wie der Lissabon-Vertrag mit seinem Regelwerk im Einzelnen anzuwenden ist, runden das unschöne Bild ab.

Vier Präsidenten


Der Lissabon-Vertrag trat Anfang Dezember in Kraft. Er soll die europäische Gemeinschaft aus der Krise führen, indem er Mehrheitsentscheidungen ermöglicht und andere Abläufe vereinfacht, eine gemeinsame Außenpolitik sowie eine starke, einheitliche Führung anstrebt. Von all dem ist bislang nichts zu sehen. Wo Geschlossenheit walten sollte, herrscht Verwirrung. Wo an eine klare Führung gedacht war, gibt es nun Grabenkämpfe und rivalisierende Präsidenten. Als der mongolische Präsident Tsakhiagiin Elbedgdorsch vor einer Woche Brüssel einen Besuch abstattete, zeigte er sich erstaunt über die Vielzahl an Präsidenten, mit denen das Protokoll Gespräche vorsah – derzeit immerhin vier.

Zu wenig Einfluss


Diplomaten und Analysten beklagen, dass die Staatschefs es nicht zu Wege bringen, ihre Macht zu bündeln und wirkungsvoll auf der Weltbühne zu vertreten, worin eigentlich ein weiteres Ziel des Lissabon-Vertrages besteht. Was die wichtigsten Figuren anbelangt, so ist die deutsche Kanzlerin Merkel seit ihrer Wiederwahl im Herbst quasi unsichtbar geblieben, über den Italiener Berlusconi wird nur noch gelacht. Gordon Brown hält man zwar zugute, dass er sich mit der Weltfinanzkrise wirklich große Mühe gibt, er gilt aber als lahme Ente und in der EU wird befürchtet, seine potentiellen konservativen Nachfolger David Cameron und William Hague könnten eine einheitliche europäische Führung eher unterminieren als befördern. Der Einzige, dem Respekt für seinen politischen Willen und seine Energie entgegengebracht wird, ist Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, doch begegnet man ihm wegen seiner Launen nur mit großer Vorsicht.

Der scheidende deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen zeichnete zu Beginn der Woche ein düsteres Bild vom Zustand der Gemeinschaft: „Es gibt keine Einigkeit darüber, wie eines Tages die Grenzen der EU aussehen werden und keine Einigkeit darüber, wie wir unsere Rolle in der Welt definieren“, sagte er gegenüber dem Spiegel. „Wir möchten von den Amerikanern als Partner ernst genommen werden – also sollten wir zuerst an unserer Fähigkeit zur Partnerschaft arbeiten.“

Verarmt und vergreist


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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Ian Traynor | The Guardian

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