Ein kafkaesker Prozess

Türkei Der Fall des Schriftsteller Dogan Akhanli zeigt den verzweifelten Versuch eines ineffektiven türkischen Justizapparats, unliebsame Kritiker zu bändigen

Wenn die Wahrheit nicht ins Konzept passt, dann wird sie eben zurechtgebogen. Zur Not auch durch unter Folter erzwungene Aussagen. Das lässt sich nicht zuletzt dem Fall des Schriftstellers Dogan Akhanli entnehmen. Die türkische Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, vor 21 Jahren eine Wechselstube überfallen und dabei den Besitzer getötet zu haben. Außerdem soll er eine linksgerichtete Terrorgruppe unterstützt haben. Einer der Hauptzeugen hat bei der Gerichtsverhandlung in dieser Woche zugegeben, dass ihn die türkische Polizei zur Aussage gezwungen habe. Auch weitere Zeugen, etwa die Angehörigen des Getöteten, werfen den Vernehmern vor, sie seien dazu gedrängt worden, gegen Dogan Akhanli auszusagen. Der Schriftsteller hatte seinen schwer kranken und mittlerweile verstorbenen Vater besuchen wollen und wurde am 10. August dieses Jahres – bei seiner ersten Einreise in die Türkei nach vielen Jahren – in Istanbul festgenommen. Für Akhanlis Anwälte sind die gegen ihren Mandanten erhobenen Anschuldigungen konstruiert.


Das Gericht hat inzwischen entschieden, den Angeklagten aus der Untersuchungshaft zu entlassen – ein dringender Tatverdacht sei nicht gegeben. Akhanli kann jederzeit nach Deutschland zurückkehren, wo er nach seiner Flucht aus der Türkei politisches Asyl erhalten und mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat. Der jetzige Prozess – Beobachter beschreiben ihn als einigermaßen kafkaesk – soll erst am 9. März fortgesetzt werden.

Was Dogan Akhanli derzeit erlebt, mag ihn an frühere Erfahrungen mit der Justiz und Polizei der Türkei zwischen 1975 und 1991 erinnern, als er mehrmals verhaftet, teilweise gefoltert, wieder freigelassen und erneut verfolgt wurde. Ihm wurde seinerzeit unter anderem zur Last gelegt, Mitglied in einer Kommunistischen Partei zu sein. Vor den Repressalien floh er 1991 mit seiner Familie nach Deutschland und machte dort später als Autor von „Die Richter des Jüngsten Gerichts“, eines Romans über den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges, von sich reden.

Die jetzige Anklage lässt an den Fall der Soziologin und Schriftstellerin Pinar Selek denken, der ebenfalls – wegen angeblicher Propaganda für die PKK und einer nie bewiesenen Beteiligung an einem Bombenanschlag auf einem Istanbuler Basar – ein nie enden wollender Prozess anhängt. Auch in diesem Verfahren hat der Hauptzeuge der Anklage eingeräumt, seine Selek belastenden Aussagen unter Folter gemacht zu haben, woraufhin die Menschenrechtsaktivistin 2006 freigesprochen wurde. Doch soll im Februar 2011 der Prozess von Neuem beginnen. Selek, die zur Zeit als Stipendiatin in Berlin lebt, hat unter anderem über den diskriminierenden Umgang mit Transsexuellen und über die Erziehung zur Männlichkeit unter anderem in der türkischen Armee geschrieben. Auffällig ist, dass die Staatsanwaltschaft beide Schriftsteller mörderischer, aber vollkommen unbewiesener Verbrechen beschuldigt.

Umsturzversuche oder Verunglimpfung

Das zeigt vor allem eins: Behörden und Justizapparat scheint es nur so möglich zu sein, linke und Menschenrechts-Aktivisten strafrechtlich zu verfolgen.

Es verwundert kaum, wenn unter diesen Bedingungen die türkische Republik ihr kritisches intellektuelles Potential immer mehr ans Ausland verliert, weil Ultranationalisten hinter jeder Kritik wahlweise Umsturzversuche oder eine Verunglimpfung des Türkentums wittern. Kritiker sprechen von einer fortwährenden Paranoia der Hardliner, innere und äußere Feinde würden versuchen, die Türkei zu spalten. Trotz der oft beschworenen Liberalisierung – immerhin hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan es geschafft, die Macht der Generäle juristisch zurückzudrängen und das Primat der Politik über dem des Militärs zu behaupten – hat sich diesbezüglich offenkundig wenig verändert, was unter anderem erklärt, warum die Prozesse um Akhanli und Selek stattfinden. Eine andere mögliche Erklärung sind rechtsstaatliche Defizite in der türkischen Justiz. Doch vieles spricht im Augenblick für einen Komplott einiger Personen im Justiz- und Staatsapparat, sich unbequemer Schriftsteller und linker Aktivisten zu entledigen.

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