Nicht auszuklammern

Hartz-Reform Rasche Einigung? Auch wenn Regelsätze, Mindestlöhne und Equal Pay für die Politik Reizthemen sind: Bei den neuen Verhandlungen dürfen sie nicht vom Tisch fallen

Das „Polit-Drama“ um die Hartz IV Reform geht in eine neue Runde. Die Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), sowie von Sachsen Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), haben die Reißleine gezogen und damit das Scheitern der Hartz-Reform im Bundesrat verhindert. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat sich als "Dritter" im Bunde dazu gesellt. Angepeilt wird eine Entscheidung bis zum 1. März.

Erstaunlich ist: Die Spitzen von CDU/CSU und SPD stellen wenige Tage nach dem ergebnislosen Verhandlungsmarathon fest, eine rasche Einigung kann und muss erfolgen. Doppelbödig ist, wenn Kurt Beck jetzt die Verhandlungsführung den Ministerpräsidenten übertragen und dies dann selbst für die SPD übernehmen will. Fragt sich: Sind Ministerpräsidenten, die vor Landtagswahlen stehen – wie Kurt Beck und Wolfgang Böhmer – weniger von Polittaktik beeinflusst als die bisherigen Verhandlungsführerinnen Ursula von der Leyen (CDU), Manuela Schwesig (SPD) und ihre Partei- sowie Fraktionsspitzen?

Reizthemen für die Bundesregierung

Falsch ist jedoch, wenn wesentliche Teile des Verhandlungspaketes „vor die Klammer“ gezogen werden sollen: insbesondere die Höhe der Regelsätze und „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bei der Leiharbeit. Beides sind Reizthemen für die Bundesregierung, für die betroffenen Menschen sind sie jedoch existenziell wichtig. Mit der von der Bundesregierung vorgesehenen Mini-Erhöhung von fünf Euro wird das Gesetz unweigerlich wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Wenn die Ausgaben für die Nutzung von Verkehrsmitteln erhöht werden sollen, ist dies richtig. Notwendig bleibt jedoch, dass Hartz-Empfänger einen Regelsatz erhalten, der ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Weiterhin müssen sie auch in Zukunft ein Glas Bier trinken, eine defekte Waschmaschine ersetzen oder ein gebrauchtes Fahrrad kaufen können. Wenn es der Bundesregierung um die Menschen geht, müsste sie – unabhängig von den weiteren Verhandlungen – umgehend den selbst vorgeschlagenen höheren Regelsatz von 364 Euro rückwirkend zum 1. Januar überweisen.

Wichtig ist, dass Einigkeit über weitere tarifliche Mindestlöhne auch bei der Leiharbeit erzielt wird. Damit ist jedoch für die betroffenen Menschen noch keine Existenzsicherung bei Arbeit und in der Rente garantiert. Mit 7,60 Euro brutto Stundenlohn im Westen und 6,65 Euro Brutto im Osten werden Leiharbeitnehmer mit Familienverantwortung kaum der Hartz IV Falle entkommen. Dies gilt umso mehr, weil die Übernahme in feste Beschäftigung mit unter 15 Prozent im Schnitt äußerst niedrig ist.

Großzügige Angebote – aber woher kommt das Geld?

Deshalb ist es falsch, wenn jetzt "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ausgeklammert werden soll. Für die betroffenen Leiharbeiter ist es unerlässlich, bei einem Einsatz im Entleihbetrieb möglichst bald gleichen Lohn für gleiche Arbeit wie die Stammarbeitskräfte zu erhalten. Sie haben ein ungleich höheres Risiko zu tragen. Denn nach dem im Durchschnitt etwa drei Monate währenden Arbeitseinsatz bei einem Entleiher landen sie wieder im Entleihbetrieb. Dort erhalten sie häufig nur den tariflichen Mindestlohn oder noch weniger und werden entlassen, wenn kein Anschlussauftrag in einem Entleihbetrieb erfolgt.

Um Chaos in den Job-Centern zu vermeiden, muss die Umsetzung für die Kinderpakete von den Kommunen mit ihren Einrichtungen und Erfahrungen in der Kindes- und Jugendhilfe übertragen werden. Das großzügige Angebot des Bundes, die Ausgaben für die Grundsicherung an Rentner und einen höheren Anteil an den Wohnkosten für Hartz IV zu übernehmen, hat die Begehrlichkeiten in den Rathäusern geweckt. Schlimm ist, dass diese „schön-gerechneten“ Beträge von 3,5 bis 4 Milliarden Euro im Jahr den Kommunen zusätzliche Lasten aufbürden. Fatal wäre, wenn die Leistungen aus der Kasse der Bundesagentur für Arbeit genommen würden. Dann müsste die Arbeitsmarktpolitik fast vollständig zusammengestrichen werden.

Bei aller Würdigung des Bundesrates sowie der Ministerpräsidenten Beck und Böhmer, die versuchen, ein Scheitern der Hartz-Reform abzuwenden, dürfen wesentliche Teile des Verhandlungspaketes nicht ausgeklammert werden. Dies gilt für verfassungsfeste menschenwürdige Regelsätze genauso wie für Mindestlöhne und "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" bei der Leiharbeit. Und dies gilt unabhängig davon, wer die Verhandlungen auf beiden Seiten führt.

Ursula Engelen-Kefer war bis 2006 Vizechefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), bis 2009 im Parteivorstand der SPD. Heute arbeitet sie als Autorin und Honorarprofessorin vor allem über Arbeitsmarktpolitik

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