Jetzt mit noch mehr Gefühl

Russland Das Vertrauen in die Parteien sinkt. Nun soll eine Volksfront der Kreml-Partei „Einiges Russland“ einen Schub geben

Die Gründung einer Volksfront durch den Ministerpräsidenten der Russischen Föderation – was hat das zu bedeuten? Selbst erklärte Kreml-Beobachter konnten sich die Sache nicht gleich erklären. Volksfronten hatte es zuletzt unter Michail Gorbatschow gegeben. Doch von einem Beben des Umbruchs ist im heutigen Russland nichts zu spüren. Wozu also der martialische Begriff? Das Unternehmen hat vermutlich etwas damit zu tun, dass auch in Russland die Polit-Technologen wissen, dass Wahlen viel mit Gefühlen zu tun haben. Warum also nicht auf einen positiv besetzten Begriff aus der Ära der Perestroika zurückgreifen?

Nach Putins Plänen soll die Volksfront die regierende Partei Einiges Russland bei den Duma-Wahlen im Dezember unterstützen. Im Gegenzug dürfen parteilose Volksfront-Aktivisten auf Listenplätze bei der Kreml-Partei rechnen. Zur Teilnahme an der neuen Allianz lädt der Premier den Unternehmerverband, die Allrussischen Gewerkschaften wie auch Jugend-, Frauen- und Rentnerverbände ein – und wird erhört. Insgesamt 40 Organisationen konnten sich bereits für eine Teilnahme erwärmen.

Dmitri Medwedjew reagiert auf Putins Gründungsfieber bisher zurückhaltend, um nicht zu sagen: reserviert. Das Projekt bewege sich „im Rahmen des Wahlgesetzes“, so der Präsident. Konkurrenz sei eben „lebenswichtig für die politische Stabilität im Land“. Medwedjews Chefberater Igor Jurgens vom Reform-Institut INSOR erklärt unumwunden, die Volksfront-Gründung sei „Unsinn“.

Auch Putins Ex-Konsultant Gleb Pawlowski, der 1999 den Weg seines Protegés zur Macht organisierte, kritisierte das Projekt. Pawlowski, der kürzlich erklärte, seine Sympathien würden inzwischen vorrangig dem heutigen Staatschef gelten, sagt salomonisch, „im System der Volksfront gibt es keinen Platz für Dmitri Medwedjew“. Den Grund für eine Einheitsbewegung sieht Pawlowski im schrumpfenden Ansehen der Parteien. Gegenüber der Nesawisimaja Gazeta ließ er durchblicken, die Macht im Kreml habe schlichtweg Angst, das Parteimodell Einiges Russland könne beim Votum über die neue Duma nicht wie gewohnt funktionieren.

Weiter im Tandem?

Bei den Kommunalwahlen im März hat die Staatspartei ihre Stimmenanteile zwar halten können und durchschnittlich 50 Prozent erreicht, doch gab es auch zahlreiche Meldungen über Manipulationen bei der Abstimmung und über Verstöße gegen das Wahlgesetz. Selbst Konstantin Kosatschow aus dem Führungsgremium von Einiges Russland musste einräumen, dass die Wahlergebnisse die derzeit herrschende Stimmung in der Bevölkerung nicht ganz adäquat widerspiegelten.

Nach einer Umfrage des Lewada-Meinungsforschungsinstituts sind 31 Prozent der Befragten sogar der Auffassung, Einiges Russland sei „die Partei der Betrüger und Räuber“. Nach jüngsten Expertisen des Lewada-Zentrums hätten im Mai nur 39 Prozent der Russen – im Vorjahr waren es zum gleichen Zeitpunkt 46 Prozent – die Kreml-Partei gewählt. Der Popularitätswert der Kommunisten stieg dagegen von zwölf auf 18 Prozent – Größenordnungen wie in den neunziger Jahren.

Ex-Putin-Berater Pawlowski meinte, die ideale Lösung sei, wenn Medwedjew Präsident bleibe und in einer Regierung Putin sein Machtfundament habe. Der Premier bleibe „Architekt unserer Macht“, Medwedjew käme die Aufgabe zu, „die Unternehmerkreise und die Mittelschicht zu festigen“. Die russische Gesellschaft sei offener und differenzierter geworden und nicht mehr so „versessen“ auf Patriotismus und Sicherheit wie 2000, als der Tschetschenien-Krieg erneut ausbrach. Damals hätten die Bürger Wladimir Putin vor allem deshalb zum Präsidenten gewählt, weil er Sicherheit und Ordnung versprach.

Im März 2012 wird ein neuer Präsident gewählt. Noch immer ist offen, ob Medwedjew oder Putin ins Rennen gehen oder ob es möglicherweise noch einen dritten Kandidaten aus dem Dunstkreis des Kremls gibt. Wie gewohnt dürfte die Entscheidung, wer für die Präsidentschaftswahl kandidiert, bis zum letztmöglichen Zeitpunkt auf sich warten lassen. Offenbar soll vermieden werden, dass eine der beiden Galionsfiguren für die verbleibende Amtszeit als „lahme Ente“ dasteht.

Ulrich Heyden berichtet für den Freitag seit 1992 aus Russland

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