Politik : Karat kommt nicht bis Lichterfelde Ost

Für die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien ist die Wahl schon vor dem Sonntag so gut wie gelaufen. Was ihr Endspurt dennoch erzählt: eine Ortsbegehung

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Wer etwas über die Berliner Parteien erfahren will, über ihr Selbstbild kurz vor der Abgeordnetenhauswahl, der braucht eigentlich nur einen Reiseführer und die Einladungen zu ihren Abschlussveranstaltungen. Es sind die Orte, die den Parteien einen Spiegel vorhalten.

Den Anfang vom Ende macht die FDP, die als erste aus dem Rennen um die Gunst der Wähler aussteigt. Es war für die Partei ohnehin ein vergeblicher Lauf. Und weil die Liberalen nicht auf eine fototaugliche Menge von auf der Straße jubelnden Anhängern hoffen können, hat man ins Dehlers geladen. Das Restaurant liegt im Bauch der Parteizentrale an der Reinhardtstraße, einem Bau im Stil der Neo-Renaissance, wobei „Wiedergeburt“ etwas ist, von dem die Liberalen derzeit nur träumen dürfen.

Drei Prozent brachte der Landesverband mit Spitzenkandidat Christoph Meyer in Umfragen auf die Waage, der Abschied aus dem Abgeordnetenhaus gilt vielen als sicher – und dass der Niederlagenserie irgendwann ein nächster Befreiungsschlag folgen wird, ebenso. Die von Generalsekretär Christian Lindner empfohlenen „Brot- und Butterthemen“ werden so wenig an der Misere der FDP ändern wie ein möglicher Rückzug von Außenminister Guido Westerwelle, auf den sich längst nicht nur die Opposition eingeschossen hat.

Die Krise ist tiefer. Jeder Zweite hält die Liberalen für überflüssig, dem Parteichef Philipp Rösler traut kaum noch jemand die Wende zu. Vielleicht denkt mancher beim Wahlkampfabschluss deshalb sogar an den Namensgeber des Restaurants: Unter Fraktionschef Thomas Dehler verließ die FDP 1956 die Koalition mit der Union im Bund – bei den nächsten Wahlen verlor man zwar, aber nur ein bisschen.

Es steht mehr auf dem Spiel als Rot-Rot

Ein bisschen verlieren wird wohl auch die bisher in Berlin mitregierende Linke. Wobei die Niederlage in Prozenten für den Landesverband geringer ausfallen könnte, als sie politisch in Wirklichkeit wäre. In Berlin steht mit Rot-Rot nicht bloß eine Koalitionsbeteiligung auf dem Spiel. Ein schlechtes Abschneiden würde den bundesweiten Abwärtstrend der Linken womöglich beschleunigen. Hinzu kommt: Muss der in der Partei gern und oft kritisierte Landesverband in die Opposition, könnten die Reformer weiter unter Druck geraten, und das kurz vor dem Programmparteitag im Oktober. Rot-Rot mit Wirtschaftssenator Harald Wolf als Spitzenkandidat ist für viele zur Chiffre für Anpassung geworden – vor allem im Westen. Im Osten hingegen, wo die Linke noch immer über 20 Prozent liegt, ist man eher bereit, auch Erfolge zu sehen: die Schulstrukturreform etwa oder die Zahl neuer Stellen. Die kamen in der Hauptstadt indes kaum den Langzeiterwerbslosen zugute, unter denen die Linke anderswo viele Stimmen sammelt.

So gesehen passt es auch, dass der Wahlkampfabschluss der Linken mit Gregor Gysi auf dem Schlossplatz im eher bürgerlichen Köpenick stattfindet, wo viele ältere PDS-Anhänger wohnen, wo der Fraktionschef zweimal das Bundestags-Direktmandat gewann und wo es nicht mehr weit ist zu den links wählenden Hausbesitzern, die Angst vor dem Fluglärm des neuen Berliner Airports haben müssen.

Frank Henkel und seine CDU sind in gewisser Weise das Gegenstück dazu: kulturell und geografisch. Im Osten steht die CDU bei 15, im Westen bei fast 30 Prozent. Wie keine andere Partei verströmt sie noch immer den Geruch der Teilung, wenn auch vielleicht nicht mehr so penetrant wie noch vor ein paar Jahren. Wer seine Abschlusskundgebung im „Metropolen“-Wahlkampf allerdings am S-Bahnhof Lichterfelde Ost abhält, verleugnet gar nicht erst, wo er sich zu Hause fühlt: bei den Regierungsbeamten, die hier in altehrwürdige Villen eingezogen sind, beim Westberliner Kleinbürgertum, das in der Gegend zur Miete wohnt.

Merkel und Künast

Was ein Auftritt der Ostdeutschen Angela Merkel hier zum Wahlkampf beitragen soll, ist ein wenig rätselhaft. Zumal die Kanzlerin kaum bundespolitischen Rückenwind nach Berlin tragen kann und umgekehrt kein CDU-Erfolg zu erwarten ist, den sie sich als Parteichefin zurechnen könnte. Den zweiten Platz gab es auch 2006 schon, und die Chance auf eine Regierungsbeteiligung ist abermals gering.

Dass Merkel vor ein paar Tagen eine Äußerung Renate Künasts relativierte, erinnerte bloß noch einmal daran, wo die CDU ihre Chance gesehen hatte: in einem grün-schwarzen Bündnis. Ein solches hätte nicht nur Merkel und den „Modernisierern“ in ihrer Partei geholfen, sich eine machtpolitische Option zu bewahren. Sondern auch der grünen Spitzenkandidatin, die als Realo-Vertreterin nach dem Hamburg-Debakel ebenfalls Interesse haben musste, die schwarz-grüne Karte wenigstens auf Länderebene im Spiel zu halten.

Doch was von ihr lange als „Strategie der Eigenständigkeit“ verkauft wurde, verstand die grüne Anhängerschaft offenbar als Drohung. Künast brach in Umfragen ein und musste zurückrudern: Sie wolle der Partei keine Koalition mit der CDU vorschlagen. Das Signal für Rot-Grün war eine Art letzter Dienst an der Berliner Partei. Sie lädt zum Wahlkampfabschluss auf den Schöneberger Winterfeldtplatz, wo die Alternative Liste einst über 50 Prozent holte und wo sich heute auf dem Wochenmarkt und in den Kneipen ein inzwischen ebenso ergrautes wie arriviertes Grünen-Publikum tummelt. Damit kehrt Künast gewissermaßen zu den Kernwählern zurück – und zugleich der kleinen Berliner Politik den Rücken.

Sozialdemokratische Hybris

Beim Wiedereintritt in die bundespolitische Atmosphäre wird die Grüne wahrscheinlich Reibungsenergie erzeugen: Parteifreund Jürgen Trittin hat ihre Abwesenheit genutzt, sich breitzumachen. Dem linken Flügel zugerechnet, hat Trittin nie offen mit der CDU geliebäugelt, was ein Vorteil sein kann, wenn alle Zeichen auf Rot-Grün stehen – auch im Bund.

Die Sozialdemokraten gerieren sich auch dort als gemachte Sieger. Ihnen gilt bloß noch die Frage, wer Kanzler werden soll. Nach anhaltenden Peer-Steinbrück-Festspielen in den Medien scharren auch Sigmar Gabriel sowie der linke Parteiflügel wieder mit den Füßen. Letztere setzen auf den sicheren Sieg von Klaus Wowereit, um Akzente zu setzen. Und dass beim Wahlkampfabschluss nicht Frank-Walter Steinmeier oder Steinbrück auftreten, hat in der eher links stehenden Berliner SPD auch seinen Grund.

Das sozialdemokratische Selbstbewusstsein, das als Hybris besser beschrieben ist und wenig zu tun hat mit Erneuerung, ist in der Partei flügelübergreifend anzutreffen. Nirgendwohin passt eine Partei in diesem Zustand daher besser als auf den Potsdamer Platz – einen symbolischen Ort, an dem sich die SPD seit den neunziger Jahren ohnehin am liebsten sieht: im Zentrum, zwischen den Türmen der Wirtschaft, dort, wo Berlin „Metropole“ spielt.

Für die Wähler im Osten der Stadt, wo die Sozialdemokraten inzwischen auch deutlich an der Linken vorbeigezogen sind, hat man Karat engagiert. Die letzte Single der DDR-Rocker heißt: Berlin.