Es bleiben Löcher im Sieb

Afghanistan Bisher ist kaum damit zu rechnen, dass die ISAF-Verbände 2014 eine nationale Sicherheitsstruktur hinterlassen können, die den Rückzug der ausländischen Truppen überdauert

Von Joseph Goebbels stammt der Satz, eine Lüge müsse nur groß genug sein und oft genug wiederholt werden, damit die Leute sie glauben. Die große, stets wiederholte Lüge über den Krieg in Afghanistan lautet, dass die Internationale ISAF-Verbände und die afghanischen Sicherheitskräfte die Taliban zurückdrängen. Das wird von Hillary Clinton behauptet und steht so im jüngsten monatlichen Fortschrittsbericht des britischen Außenministeriums, der freilich voller Vorbehalte steckt. Es heißt darin, die dokumentierte Gewalt in den Regionen, in denen das Vereinigte Königreich operiert, sei im Vorjahr erheblich zurückgegangen. Dem dort Erreichten stehe indes ein Anstieg der Vorfälle im Osten des Landes gegenüber. Die Aufständischen leisteten weiter Widerstand, gerieten aber dort, wo sich die Bemühungen von ISAF und afghanischer Armee konzentrierten, „erheblich und nachhaltig“ unter Druck.

Man halte dem entgegen, was das US-Militär im Privaten denkt: „Obwohl die Taliban 2011 schwer gelitten haben, sind sie, was ihre Stärke, Motivation, Finanzierung und taktischen Fähigkeiten betrifft, unbeeinträchtigt ...Viele Afghanen bereiten sich bereits auf eine letztliche Rückkehr der Taliban vor.“ Dies steht in einem Bericht, der auf der Basis von 27.000 Verhören entstand, die mit etwa 4.000 mutmaßlichen Taliban und A- Qaida-Häftlingen geführt wurden, und nun der Times und der BBC vorliegt. Zwar hätten es die Taliban, bei denen es sich um paschtunische Nationalisten handelt, in der Tat schwer, Kabul nach einem Rückzug der ausländischen Truppen wieder einzunehmen. Dennoch untergräbt jede herausstechende Einzelheit dieses Berichtes die Vorstellung, ISAF hinterlasse dort eine nationale Sicherheitsstruktur, die den Rückzug der ausländischen Truppen überdauert.

Um 800 Prozent

Das soll nicht heißen, dass die Pläne in manchen Gebieten nicht aufgehen würden. Die Löcher in diesem Sieb bleiben aber groß genug. Dabei geht es eher um Fragen der Identität und der Legitimität, als um militärische Taktiken. Den Taliban gelingt der Kontakt mit der Bevölkerung – sie betreiben sogar eine Hotline, bei der man anonym Hinweise zu Verbrechen geben kann. Sie schließen lokale Deals mit afghanischen Regierungstruppen ab. Schikane, Korruption und Missbrauch tun ihr Übriges, um ihnen die Leute in die Arme zu treiben – und all das im elften Jahr des Konflikts.

Im Osten ist zuletzt die Zahl der Angriffe um 800 Prozent gestiegen. Da erlaubt die Konzentration der Briten auf drei von vierzehn Distrikten in Helmand kaum Rückschlüsse auf die dort stattfindende Verdrängungsbewegung. Der US-Report widerlegt die Annahme, das Töten von Taliban-Kommandanten aus mittleren Rängen (bei den nächtlichen Razzien handelt es sich oftmals um reine Todesschwadronen) habe irgendeinen nachhaltigen Effekt auf eine Organisation, die sich die Fähigkeit bewahrt hat, die eigene Gewalt selektiv einzuschränken, um den Abzug der NATO-Truppen zu beschleunigen.

In dem Bericht steht auch, die Taliban würden vom pakistanischen Geheimdienst gefördert – von „vertraulicher Unterstützung“ ist gar die Rede. Selbst wenn die Pakistani dies unterließen, die Taliban würden weitermachen. Sie zeigen keinerlei Neigung, sich an den Friedenstisch bomben zu lassen. Die Aufständischen gehen davon aus, dass ihr Wille stärker ist als der Wille der in ihrem Land kämpfenden Soldaten. Irgendwann muss man diese Wahrheit anerkennen.

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Editorial | The Guardian

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