Die Tarifverhandlungen für die rund zwei Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen haben in der dritten Verhandlungsrunde ein Ergebnis gebracht. Die Gehälter sollen nach dem vereinbarten Stufenplan rückwirkend zum 1. März um 3,5 Prozent steigen. Weitere Raten von jeweils 1,4 Prozent folgen im Januar und im August 2013. Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) hatte 6,5 Prozent innerhalb eines halben Jahres gefordert, während die Arbeitgeber am Beginn der Verhandlungen nur zu einer Lohnerhöhung von 3,3 Prozent über 24 Monate bereit waren.
Erwartungsgemäß trafen sich die Verhandlungspartner in der Mitte. „Das ist ein beachtliches Ergebnis“, sagte Frank Bsirske, Vorsitzende der Ver.di in der Nacht zu Samstag in
Samstag in Potsdam. Endlich konnte die Gewerkschaft für ihre Mitglieder mal wieder eine Lohnerhöhung erstreiten. Das nicht einmal im öffentlichen Dienst, wo der gewerkschaftliche Organisierungsgrad der Beschäftigten vergleichsweise hoch ist, eine Selbstverständlichkeit. ArbeitnehmerInnen der öffentlichen Verwaltungen, den Ämtern, Versorgungs- und Verkehrsbetrieben, Theatern, Museen, Schulen, Krankenhäusern mussten durch niedrige Abschlüsse und Einmalzahlungen in den letzten zehn Jahren Reallohnsenkungen hinnehmen müssen.Nicht einmal InflationsausgleichVon einem kräftigen Gehaltsplus kann jedoch keine Rede sein. Bei einer Inflationsrate von 2,3 Prozent (Februar 2012) bleibt den Beschäftigten in diesem Jahr eine Reallohnerhöhung um knapp zwei Prozent, die Raten in 2013 werden sich aufgrund der Geldentwertung voraussichtlich nicht bemerkbar machen können. Eine "soziale Komponente", ein Lohnplus von mindestens 200 Euro für die Bezieher kleiner Einkommen, wie es Ver.di gefordert hatte, wird es aber nicht geben.Dennoch ist es ein Erfolg, den die Gewerkschaft nach mageren Abschlüssen und Mitgliederschwund gut gebrauchen kann. Lob erntenten die Gewerkschaften nicht selten von Arbeitgebern und konservativen Politikern. Auf dem Bundeskongress der Verdi Ende vergangen Jahres in Leipzig bedankte sich der damalige Bundespräsident Christian Wulff für die „maßvolle Lohnpolitik über viele Jahre hinweg.“ In manchen Fällen wird Rahmen von Tarifabschlüssen nicht einmal der Inflationsausgleich erreicht. Für die über 12.000 Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe erreichte die Ver.di vergangen Mittwoch nach einem kurzen Warnstreik nur eine Lohnerhöhung von 2,6 Prozent. ver.di-Verhandlungsführer Lothar Andres meinte dazu "Die Kollegen hatten eine höhere Erwartungshaltung." Das passiert den Maklern der Arbeit häufiger. Bekennende Gewerkschaftsmitglieder fragen sich deshalb in Onlinekommentarspalten der Zeitungen, warum sie noch Mitgliedsbeiträge zahlen und befürchten, dass in der Nacht der Entscheidung die vollmundigen Ankündigungen vom Vortag vergessen sind. Bsirske lobte zwar die große Entschlossenheit der Streikenden in den vergangenen Wochen, den ganz großen Krawall wollte er anscheinend doch nicht.Anständige Veränderung?Anders als im europäischen Ausland oder im Gegensatz zu kleineren Gewerkschaften hierzulande machen die großen Arbeiterorganisationen von ihrem „Streikrecht zurückhaltend Gebrauch“ weiss das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI). Der Sozialstaat war gestern, der Mittelstand schrumpft, deutsche Unternehmen erzielen Rekordgewinne und Gewerkschaften fühlen sich offenbar immer noch der guten deutschen Sozialpartnerschaft, ein kooperatives Verhältnis von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und Staat verpflichtet das Interessengegensätze lösen und offene Konflikte eindämmen soll. Eine Physiotherapeutin warnte vergangene Woche in einem Chat: „Herr Bsirske, ich gehe erst wieder arbeiten, wenn ich anständig für meine Arbeit bezahlt werde!" Ob die Lohnerhöhungen "anständig" sind, hängt nicht zuletzt davon ab, wie gut die Gewerkschaften ihren Mitgliedern Verhandlungsabschlüsse verkaufen können. Letztlich werden mit dem Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst die Löhne an die Gehälter des Privatsektors und der allgemeinen Lohnentwicklung angeglichen. Das zeigt auch, das die Rede vom „aufgeblähten Sektor“ nach anhaltendem Stellenabbau, Ausgliederungen und Privatisierungen öffentlicher Betriebe und der Einführung von Leistungsprämien im öffentlichen Dienst schon lange ins Reich der Fabeln gehört. Dabei ist es sicher nicht die alleinige Schuld der Gewerkschaften, dass sie im besten Fall Schlimmeres verhindern aber kaum noch spürbare Verbesserungen von Lebens- und Arbeitsumständen erstreiten können.Gesetzliche Schuldenbremse"Wir wollen sie auch ordentlich bezahlen." sagte das Mitglied der Tarifkommission und Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich (CSU) am Ende der Verhandlungen über die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Das passt nur leider nicht zum rigiden Sparkurs, der Ländern und Kommunen durch die gesetzliche Schuldenbremse verordnet wurde. Deshalb hat Friedrich wahrscheinlich Recht, wenn er sagt man sei mit dem Tarifabschluss an die „Schmerzgrenze“ gegangen. Denn die Finanzlage ist in vielen Städten und Gemeinden, die die Lasten der Lohnerhöhungen mittragen müssen, insbesondere nach der Finanz- und Wirtschaftskrise dramatisch.Die Financial Times Deutschland prognostiziert sogar, dass die Banken Kommunen und Städten zukünftig den Kredithahn zudrehen. In einem der reichsten Länder der Welt ist das aber keine finanzielle, sondern in erster Linie eine politische Frage der Lastenverteilung innerhalb der Gesellschaft.Das Streikjahr 2012 bleibt spannend. Nach Jahren der Enthaltsamkeit will auch die IG Metall in diesem Jahr eine kräftige Lohnerhöhung und verweist auf "vergoldete Bilanzen" und Rekordergebnisse bei Autobauern, Zulieferern und Maschinenbauern. Die Arbeitgeber verlangen wie immer Zurückhaltung aufgrund der Risiken, die aus der Euro-Schuldenkrise und der aktuellen Konjunkturabkühlung entstehen. Die streikerprobte IG Metall wird sich wohl anlässlicher der vergleichsweise vielen Streiks in dem noch jungen Jahr nicht lumpen lassen wollen.